Presse-Briefing zu COVID-19-Impfungen

Was weiß die EU? Was plant die EU?

Remagen - 28.01.2021, 09:15 Uhr

Vertreter der EU-Gesundheitsagentur ECDC, der Arzneimittelagentur EMA und der EU-Kommission standen Rede und Antwort zum Thema Corona-Impfungen. (s / Foto: imago images / Hans Lucas)

Vertreter der EU-Gesundheitsagentur ECDC, der Arzneimittelagentur EMA und der EU-Kommission standen Rede und Antwort zum Thema Corona-Impfungen. (s / Foto: imago images / Hans Lucas)


In dem allgemeinen Informationswirrwarr um die Corona-Impfungen stellten sich Vertreter der EU-Gesundheitsagentur ECDC, der Arzneimittelagentur EMA und der EU-Kommission am gestrigen Mittwoch bei einem Briefing den Fragen der Medien. DAZ.online hat dort reingehört und einige Fakten für unsere Leser:innen aufgeschnappt.

Der Pressesprecher der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, Reinhard Hönighaus, verwies eingangs auf die von allen 27 EU-Staaten getragene europäische Impfstoffstrategie. Hierüber habe sich die Kommission bis dato bis zu 2,3 Milliarden Impfstoff-Dosen gesichert, darunter bis zu 600 Millionen Dosen des Biontech/Pfizer-Impfstoffes. Die EU habe mit Abstand die größte Vorbestellung dieses Impfstoffs vorfinanziert, betonte Hönighaus. Der limitierende Faktor für die Beschaffungen seien allerdings die Produktionskapazitäten. Eine zwangsweise Aussetzung von Patenten, um diese anzuschieben, erachte die Kommission als heutiger Sicht trotzdem nicht als zwingend. Sie setze vielmehr auf Produktionspartnerschaften, wie sie in der Industrie üblich sind. Erst am selben Tag hatte Sanofi angekündigt, Biontech bei der Produktion von BNT162b2 zu unterstützen.

EFPIA gegen Exportbeschränkungen

Die derzeit laufende Debatte zu Exportbeschränkungen von COVID-19-Vakzinen bezeichnete Hönighaus als „hochpolitisch“ und stellte eine baldige Verlautbarung zu dem Konflikt mit AstraZeneca und zu dem geplanten Transparenzregister in Aussicht. Der europäische Dachverband der forschenden Arzneimittelhersteller EFPIA hat sich zu dem Ansinnen von Exportbeschränkungen bereits positioniert. Er bittet die Kommission, keine Maßnahmen vorzuschlagen, die die Ausfuhr von Impfstoffen oder die Einfuhr wichtiger für die Herstellung der Impfstoffe notwendiger Lieferungen einschränken oder sich negativ darauf auswirken. Außerdem stellt der EFPIA fest, dass seit der ersten Erteilung der Zulassung für einen COVID-19-Impfstoff in der EU vor gerade einmal vier Wochen immerhin bereits mehr als sieben Millionen Impfstoffdosen an die Europäische Union ausgeliefert worden seien.

Was sagen die Infektionszahlen in Europa?

Die Direktorin des Europäischen Zentrums zur Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) Andrea Ammon sprach mit Blick auf die knappen Impfstoffe und die Mutationen von einem kritischen Punkt in der Kontrolle der Pandemie. Laut Ammon liegt die aktuelle durchschnittliche Fallzahl (14-Tages-Rate) in der EU bei 453/100.000 Einwohnern. Dabei reiche die Spanne von 61/100.00 in Finnland bis zu 1.444/100.000 in Irland – und der Niedrigstwert in Finnland sei immer noch dreimal höher als der EU-Durchschnitt im letzten Sommer. Im Gegensatz zu dem engmaschigen Monitoring zu Beginn der Pandemie gebe das ECDC die Inzidenzen aktuell nur noch über einen Zwei-Wochen-Zeitraum an, und nicht wie das RKI über eine Woche. Mit Blick auf die neuen Varianten werde allerdings in Erwägung gezogen, die Zahlen wenigstens für die EU-Staaten wieder jeden Tag zu erheben, meinte Ammon. Weltweit sei dies aus Kapazitätsgründen auf keinen Fall möglich.

ECDC kündigt Vaccine-Tracker an

Auch über die Impfaktionen in den europäischen Ländern will sich das ECDC so bald wie möglich einen besseren Überblick verschaffen. Seit der letzten Woche sammelt das Kontrollzentrum Informationen über Lieferungen von Impfstoffen und deren Anwendung in den Mitgliedstaaten. Für Ende nächster Woche kündigte Ammon einen Vaccine-Tracker an, aus dem ablesbar sein soll, welche Prioritätsgruppen bereits in welchem Umfang geimpft sind. Außerdem soll ein Bericht über die Umsetzung der nationalen Impfstrategien veröffentlicht werden.

Drei neue Varianten bereiten Sorgen

Die ECDC-Chefin ging auch auf die Entwicklung der neuen Varianten des Corona-Virus ein. Die Risikobeurteilung dazu war zuletzt am 21. Januar aktualisiert worden. Hierin werden drei Virusvarianten (VOC 202012/01, 501Y.V2 und Variante P.1) als „besorgniserregend“ angeführt und das Risiko, das mit der Einführung und Verbreitung verbunden ist, als hoch/sehr hoch eingestuft. VOC 202012/01 aus Großbritannien zeichnet sich bekanntermaßen durch eine deutlich erhöhte Übertragbarkeit aus. Mittlerweile sei die Variante schon in 23 Ländern in der EU gefunden worden, berichtete Ammon. Die Variante 501Y.V2, die erstmals in Südafrika identifiziert wurde, ist dort heute am weitesten verbreitet. Auch sie wird mit einer erhöhten Übertragbarkeit assoziiert. Per 19. Januar 2021 wurde 501Y.V2 in zehn EU/EWR-Ländern identifiziert. Die P.1-Variante wurde bisher nur in Brasilien identifiziert und bei Reisenden (hauptsächlich aus dem Amazonas-Staat) in Japan und Südkorea gemeldet. Ob die Varianten zu schwereren Verläufen führen, dazu habe man „absolut keine Evidenz“, konstatierte Ammon. Da die Varianten nur durch genetische Sequenzierung aufgespürt werden können, drängt das ECDC auf einen höheren Proben-Durchsatz. 

Vorsichtiger Optimismus bei der EMA zu weiteren Impfstoffen

Die Antwort auf die Frage, welche weiteren Impfstoffe demnächst eine Zulassung in der EU erhalten, konnte Hans-Georg Eichler von der der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) verständlicherweise nicht aus dem Ärmel schütteln. Er widerstand den drängenden Fragen einiger Journalisten zum AstraZeneca-Impfstoff und vertröstete die Presse auf die Entscheidung der EMA, die für Freitag dieser Woche erwartet wird. Neben dem Rolling Review zu der Johnson & Johnson-Vakzine unterhält die Agentur derzeit Scientific Advice-Verfahren mit 23 Entwicklern von COVID-19-Impfstoffen. Eichler gab jedoch zu bedenken, dass eine solche wissenschaftliche Beratung nicht zwingend zur Zulassung führen müsse. Gleichwohl gab er sich „vorsichtig optimistisch“, dass mehrere Wirkstoffe mit unterschiedlichen Mechanismen zugelassen werden können, ohne den Zeitrahmen dafür näher spezifizieren zu können.

Wirken die Impfstoffe gegen die neuen Varianten?

Nach allem, was man bis jetzt gesehen habe, seien die Impfstoffe wirksam gegen die derzeit bekannten Varianten, aber das könne sich rasch ändern, meinte der EMA-Vertreter weiter. Er trat allerdings Befürchtungen entgegen, dass die Impfstoff-Entwicklung dann wieder „ganz von vorne“ begonnen werden müsse. Die derzeitigen Vakzine seien Plattform-Impfstoffe, die recht gut modifiziert werden könnten. Die Diskussionen mit den Herstellern, welche Daten in solchen Fällen generiert werden müssten, seien bereits im Gange,

Klare Absage an Notfallzulassungen

Eichler nutzte an dieser Stelle die Gelegenheit, um die EMA vehement gegen allerlei Vorwürfe, denen sie in letzter Zeit ausgesetzt war, zu verteidigen. „Wir sind viel zu schnell in unserer Arbeit“, habe man sich sagen lassen müssen und „Wir sind viel zu bürokratisch und zu langsam“. Die Arzneimittelagentur sei sich des politischen Drucks sehr wohl bewusst, meinte Eichler, aber man habe immer frei und wissenschaftlich arbeiten können. Bezüglich des Evidenzgrades für die Zulassung von COVID-19-Impfstoffen seien die EU-Mitgliedstaaten völlig im Gleichklang gewesen. Nationalen Notfallzulassungen, wie sie in anderen Ländern ausgesprochen wurden, werde auch weiterhin eine klare Absage erteilt: „Wir glauben, dass diese Strategie die richtige war, und wir werden diese Strategie auch weiterverfolgen“, bekräftigte Eichler.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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