Sachverständigenrat-Gutachten zur Digitalisierung

Daten teilen heißt besser heilen

Berlin - 24.03.2021, 15:30 Uhr

Digitalisierung nutzen – zum Wohle der Patienten und Patientinnen. Das fordert auch der Gesundheits-Sachverständigenrat. (Foto: Pcess609 / stock.adobe.com)

Digitalisierung nutzen – zum Wohle der Patienten und Patientinnen. Das fordert auch der Gesundheits-Sachverständigenrat. (Foto: Pcess609 / stock.adobe.com)


Der Gesundheitssachverständigenrat sieht Deutschland in Sachen Digitalisierung im Gesundheitswesen als Entwicklungsland, das noch viele Möglichkeiten ungenutzt lässt. Gerade in der Pandemie wäre vieles leichter gewesen, hätte man bereits eine taugliche elektronische Patientenakte, hieß es heute anlässlich der Vorstellung des aktuellen Jahresgutachtens „Digitalisierung für Gesundheit“. Wichtig ist aus Sicht des Gremiums vor allem eins: Der Datenschutz muss neu gedacht werden – im Sinne des Patientenschutzes.

Leben und Gesundheit der Menschen in Deutschland könnten besser geschützt werden, wenn endlich die Möglichkeiten der Digitalisierung im Gesundheitswesen verantwortlich und wissenschaftlich sinnvoll genutzt würden. Zu diesem Schluss kommt der Sachverständigenrat Gesundheit (SVR) in seinem aktuellen Gutachten, das am heutigen Mittwoch vorgestellt wurde. Das ist keine grundsätzlich neue Erkenntnis – und man kann sich fragen, warum das Beratergremium erst jetzt ein Gutachten vorstellt, das die Digitalisierung in den Mittelpunkt stellt. 

Mehr Entschlossenheit erforderlich

Der SVR hält das Thema aber nach wie vor für aktuell – umso mehr, da die Regierungsberater in den vergangenen Jahren viel Gelegenheit hatten, zu sehen, wie die Politik die Dinge anpackt. Grundsätzlich begrüßt das Gremium um den Vorsitzenden Professor Ferdinand Gerlach (Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt/Main), was der Gesetzgeber bereits auf den Weg gebracht hat. Aber es sei noch mehr Entschlossenheit erforderlich. Es bedürfe, so Gerlach, einer nachhaltigen Strategie, deren Ziel ein systematisch lernendes Gesundheitssystem sei. Dabei dürfe die Digitalisierung kein Selbstzweck sein, sondern Mittel zum Zweck – und der sei „das Wohl aller aktuellen und zukünftigen Patientinnen und Patienten“.

Datenschutz vs. Unterlassung sinnvoller Datennutzung

Ein Grund dafür, dass die Digitalisierung in Deutschland nur im Schneckentempo voranschreitet, ist der viel beschworene Datenschutz. Der Großteil der Menschen hat zwar keine Probleme, persönliche Daten mit großen Unternehmen zu teilen, auch mit den bekannten Datenkraken. Doch wenn es um Gesundheitsdaten im Gesundheitssystem geht, wächst plötzlich das Misstrauen. „Auch der Sachverständigenrat hält es für unabdingbar, dass Gesundheitsdaten nicht in falsche Hände fallen“, erklärte Gerlach. Allerdings müssten sie in richtige Hände gelangen können: die der Heilberufler:innen und auch der Wissenschaftler:innen, die Gesundheitsforschung betreiben. „Daten teilen heißt besser heilen“, ist Gerlach überzeugt. Für ihn ist nicht nachvollziehbar, dass immer noch mehr über vermeintlich unzureichenden Datenschutz diskutiert wird als darüber, welche sinnvolle Datennutzung unterlassen wird. „Datenschutz muss im Sinne der Patientensicherheit neu gedacht werden“, so Gerlach.

Sachverständige für Opt-out-Lösung bei elektronischer Patientenakte

SVR-Mitglied Professor Petra Thürmann zeigte die Probleme – ebenso wie die nicht genutzten Potenziale – anhand der elektronischen Patientenakte (ePA) auf. Es sei immerhin ein Anfang, dass die Krankenkassen die ePA seit diesem Jahr ihren Versicherten anbieten müssen. Es sei wichtig, dass die Leistungserbringer sektorenübergreifend auf die Daten zugreifen könnten. Bislang sei es in der Regel  Aufgabe der Patient:innen, die Informationen zu übermitteln. Digital laufe lediglich die Abrechnung, so Thürmann.

Doch so wie die ePA jetzt ausgestaltet ist, bringt sie aus Sicht des SVR wenig. Patienten und Patientinnen müssen selbst entscheiden, ob sie sie überhaupt nutzen – und dann müssen sie bei jedem Besuch eines Leistungserbringers selbst aktiv werden und eine Einwilligung erteilen, wenn sie wollen, dass diese Zugriff auf die Daten bekommen. „Viel zu kompliziert“, findet Thürmann diese „Opt-in“-Variante. Der Sachverständigenrat plädiert hier für eine Opt-out-Lösung: Mit der Geburt sollte jede:r eine ePA bekommen und Ärzte und Ärztinnen verpflichtet werden, diese auch zu befüllen. Wenn ein Patient oder eine Patientin es will, können sie Daten „verschatten“ lassen, aber nicht löschen. Thürmann wie auch Gerlach ist klar: Diese Idee ist hierzulande nicht konsensfähig. Aber sie müsse zumindest diskutiert werden. Zumal andere Länder, für die gleichermaßen die Datenschutz-Grundverordnung gilt, derartige Möglichkeiten durchaus schaffen – etwa Dänemark und Estland.

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Auch in der Pandemie wäre man mit guten Daten gut gefahren, sind die SVR-Mitglieder überzeugt. So hätte man zum Beispiel ermitteln können, wer bei der Impfung besonders schnell berücksichtigt werden sollte. In Israel, so Gerlach, beruhe die Impfstrategie auf digitalen Grundlagen. Man hätte zudem Gesundheitsdaten mit Kontaktdaten verknüpfen und so den Gesundheitsämtern die Arbeit erleichtern können.

Der Rat ist überzeugt, dass das Patientenwohl der Maßstab sein muss, an dem Digitalisierung im Gesundheitswesen ausgerichtet und gemessen werden muss. Forschung wie auch Versorgung bräuchten dazu verwertbare Daten, die über jene hinausgehen, die schon über Abrechnungsdaten verfügbar sind, etwa Arzneimittelverordnungen. Nämlich die zugehörigen Behandlungsdaten etwa über Allergien, Blut- und Röntgenuntersuchungen.

Auf die Frage, wie zufrieden der Sachverständigenrat mit der Arbeit der bereits 2005 etablierten Gematik sei, erklärte Gerlach lediglich, dass eine solche Bewertung nicht Gegenstand des Gutachtens sei. Es würde ihm daher schwerfallen, für den gesamten Rat eine Einschätzung abzugeben. Eine persönliche wollte er ganz offensichtlich ebenfalls nicht äußern.

Das aktuelle Gutachten befasst sich überdies intensiv mit der Nutzung und Kostenerstattung von digitalen Gesundheitsanwendungen. Zudem erörtert es, wie die digitale Gesundheitskompetenz gesteigert und gefördert werden kann – in den Heilberufen im Besonderen und bei den Bürgeri:nnen im Allgemeinen. Es skizziert ferner die normativen, rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Digitalisierung und die strategischen Schritte, die aus Sicht des SVR auf ein dynamisch lernendes Gesundheitssystem hin zu tun sind.

Das Gutachten wird nun dem Bundestag und Bundesrat zugeleitet und am 17. Juni 2021 bei einem Symposium mit der Fachöffentlichkeit diskutiert. Es ist unter www.svr-gesundheit.de abrufbar – auch in Form eines „Executive Summary“.



Kirsten Sucker-Sket / dpa
redaktion@daz.online


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