G-BA ändert Arzneimittel-Richtlinie

Kein Amitriptylin oder Topiramat zur Migräneprophylaxe bei Kindern

Stuttgart - 22.04.2021, 09:15 Uhr

Die Expertengruppe  des G-BA hält aufgrund der Datenlage weder Amitriptylin noch Topiramat zur Migräneprophylaxe für Kinder und Jugendliche geeignet. Es müsse sogar „für beide Substanzen ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis konstatiert werden“. (b/Foto: Mirrorstudio / AdobeStock) 

Die Expertengruppe  des G-BA hält aufgrund der Datenlage weder Amitriptylin noch Topiramat zur Migräneprophylaxe für Kinder und Jugendliche geeignet. Es müsse sogar „für beide Substanzen ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis konstatiert werden“. (b/Foto: Mirrorstudio / AdobeStock) 


Migräneprophylaxe bei Kindern: Was rät die Leitlinie?

Migräneprophylaxe bei Erwachsenen

Um Migräneattacken vorzubeugen, sind für Erwachsene unterschiedliche Wirkstoffe zugelassen: die Betablocker Metoprololtartrat (z. B. Metoprolol AbZ 50 mg oder 100 mg) und Propanololhydrochlorid (z. B. Dociton®), der Calciumkanalantagonist Flunarizin (z. B. Flunarizin Acis®, Flunarizin-Ct 5 mg),  das Antiepileptikum Topiramat (z. B. Topiramat Neuraxpharm®), das Antidepressivum Amitriptylin (z. B. Saroten® Tabs 50 mg), Clostridium botulinum Toxin Typ A ausschließlich für chronische Migräne und die Migräne-Antikörper Erenumab (Aimovig®), Fremanezumab (Ajovy®), Galcanezumab (Emgality®). Dabei adressiert Erenumab den CGRP-Rezeptor, Fremanezumab und Galcanezumab neutralisieren das Neuropeptid Calcitonin Gene-Related Peptide direkt. Waren Behandlungen mit allen dafür zugelassenen Arzneimitteln nicht erfolgreich oder kontraindiziert, erlaubt die Arzneimittel-Richtlinie im Rahmen eines Off-Label-Uses auch Valproinsäure, sodass das Antiepileptikum trotz fehlender Zulassung verordnungsfähig ist.

Migräneprophylaxe bei Kindern – was sagt die Leitlinie?

Die aktuelle S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“ geht auch auf  Kinder ein. Die Autoren raten bei Kindern vorwiegend zu nicht medikamentösen Maßnahmen, um Migräneattacken vorzubeugen, da „die Wirksamkeit einer medikamentösen Migräneprophylaxe nicht zweifelsfrei belegt“ sei. Für Kinder ist laut den Wissenschaftlern die Wirkung von Flunarizin gesichert, der Calciumkanalblocker sei ausreichend untersucht und werde mit 5 mg täglich oder jeden zweiten Tag dosiert. Zugelassen ist Flunarizin bei Kindern zur Migräneprophylaxe nicht, die Fachinformationen der auf dem Markt befindlichen Flunarizin-Präparate von Acis und Ct informieren: „Wegen unzureichender Erfahrung ist die Anwendung von Flunarizin bei Kindern auszuschließen“. Auch für Propranolol gebe es „gewisse Hinweise auf eine Wirksamkeit“, liest man in der Migräne-Leitlinie. Und: Die Fachinformation von Dociton® (Propranolol) schließt Kinder in der Indikation auch nicht aus, der Betablocker ist zugelassen. Welche Daten gibt es zu Topiramat? Zwei Studien, veröffentlicht 2005 und 2006 im Fachjournal „Headache: The Journal of Head and Face Pain“, deuten darauf hin, dass „Topiramat eine wirksame Therapie zur Vorbeugung von Migräne bei Kindern sein könnte“ und „gut vertragen“ werde. In den Vereinigten Staaten ist Topiramat für Jugendliche von der FDA sogar zugelassen. Allerdings gibt es auch andere Daten, so waren in einer großen randomisierten Studie („Trial of Amitriptyline, Topiramate, and Placebo for Pediatric Migraine“, publiziert im „NEJM“) an Kindern, Topiramat und Amitriptylin nicht wirksamer als Placebo – allerdings, so räumen die Leitlinienautoren an dieser Stelle ein, sei in der Studie der Placeboeffekt extrem hoch gewesen, sodass die Wirksamkeit von Topiramat und Amitriptylin nicht abschließend bewertet werden könne. Eine klare Meinung haben sie zu Valproinsäure: „Valproinsäure ist bei Kindern und Jugendlichen nicht wirksam“. Sie fassen zusammen: „Valproinsäure, Topiramat und Amitriptylin wurden in der Migräneprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen untersucht. Angesichts einer sehr hohen Placeborate konnte keine therapeutische Überlegenheit zu Placebo gezeigt werden.“ Bei chronischer Migräne ließen Fallserien eine gewisse Wirksamkeit von Botulinumtoxin A vermuten, Biofeedback sei wirksam gewesen.

Bereits am 10. Dezember 2019 beschloss der Unterausschuss Arzneimittel des G-BA ein Stellungnahmeverfahren zur Migräneprophylaxe bei Kindern einzuleiten. Es ging um die Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) Anlage VI, diese regelt den Off-Label-Use von Arzneimitteln, also die Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in einem nicht zugelassenen Anwendungsgebiet. Hier sollten „Amitriptylin und Topiramat zur Migräneprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen“ aufgenommen werden – diese könnten Ärzte Kindern und Jugendlichen zur Vorbeugung von Migräneattacken zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnen, obwohl eben keine Zulassung in dieser Indikation vorliegt. Dass dies jedoch möglich wird, ist eine positive Empfehlung durch die Expertengruppe Off-Label notwendig. Diese hat sich ausführlich mit der derzeitigen wissenschaftlichen Evidenz von Topiramat und Amitriptylin bei Kindern und Jugendlichen mit Migräne beschäftigt. Ob sie sich für eine Off-Label-Anwendung eines Arzneimittels ausspricht, hängt unter anderem davon ab, ob es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handelt, andere Therapiemöglichkeiten fehlen und eine begründete Aussicht auf Erfolg existiert. Kommt die Expertengruppe zu einer positiven Empfehlung, müssen auch die pharmazeutischen Unternehmen einem Off-Label-Use zustimmen, sie haften dann auch im Falle von Nebenwirkungen.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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