Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

16.05.2021, 07:45 Uhr

Plattform oder keine Plattform, das ist hier die Frage. (Foto: Alex Schelbert)

Plattform oder keine Plattform, das ist hier die Frage. (Foto: Alex Schelbert)


Geht’s in Zukunft nur noch mit oder auch ohne? Der Hype um die digitalen Plattformen greift um sich und stellt die Apothekers vor die Frage: Soll ich Plattform-Apotheker sein, mich in den Schoß von Großhändlern und IT-Firmen oder gar in die Krakenarme von Versendern begeben und kräftig dafür zahlen? Oder bleibe ich unabhängig und mach mein Ding alleine? Einen eigenen Online-Shop und eine App gibt’s doch schon für weniger Geld. Wird mit dem kommenden E-Rezept der Plattform-Hype bald überschäumen? Genauso wichtig: Endlich ein Impfangebot für alle Apothekenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter gegen Covid-19! Auch in NRW! 

10. Mai 2021

Ja, so turbulent geht’s auf dem Plattform-Markt zu: Ende 2018 wurde die Initiative Pro AvO (Pro Apotheke vor Ort) gegründet. Ins Leben gerufen von Wort&Bild-Chef Andreas Arntzen zusammen mit Sanacorp, Gehe, Noventi und BD Rowa wollten die „Big 5“ gegen den Zukunftspakt von Noweda und Burda antreten. Schon am 17. Juni 2020 sollte für „Apora“, der Apothekenportal-Plattform von ProAvO, der Startschuss fallen. Auf der Internetseite, die immer noch online ist, steht: „Unser Ziel: Wir bauen das neue deutsche Gesundheitsportal, das 83 Mio. Menschen in Deutschland Zugriff auf die Leistungsstärke aller Apotheken und der anderen Leistungserbringer vor Ort geben soll – jederzeit und überall.“ Mein liebes Tagebuch, irgendwie war der Startschuss wohl nicht laut genug oder man verhedderte sich kurz nach einem lahmen Start in der Schnelllebigkeit und den Wirren von versuchten Gemeinsamkeiten und Pharmagroßhändlern. Und so ist ProAvO selbst rund zweieinhalb Jahre nach seiner Gründung schon wieder Geschichte. Aber diese Art von Kooperation hatte wohl was von too big to fail: Nachdem Phoenix (ohne Asche) auf dem Plattformmarkt auftauchte und Noventi seinen Fremdgang mit diesem Großhändler eingestand, war’s klar, wie’s weitergeht. Am 3. Mai wurde offiziell bekannt: Die von Phoenix und Noventi gegründete neue GfD (Gesundheit für Deutschland GmbH & Co KG) mit der Plattform gesund.de verschmilzt mit dem einstigen ProAvO-Bündnis, wobei sich allerdings nicht alle ProAvO-Mitglieder in der neuen Legierung wiederfinden. Großhändler Gehe wollte nicht mehr mitspielen, vielleicht stand hier auch die kürzlich erfolgte Fusion mit Alliance Healthcare Deutschland im Weg. Man unterstütze allerdings die Idee einer ganzheitlichen Plattform, ließ Gehe verlautbaren, und man sei offen für ergänzende Partnerschaften – was auch immer das aus Sicht von  Gehe/ADH heißen mag. Mein liebes Tagebuch, nun also ein neuer Anlauf für Ex-ProAvO mit Phoenix: Apora-Technik und technologische Infrastruktur gehen in gesund.de auf, Mitarbeiter werden übernommen. Und schon im zweiten Quartal dieses Jahres soll diese Gesundheitsplattform online gehen – mein liebes Tagebuch, das liest sich sportlich, zumal wir schon mitten im zweiten Quartal sind. Jetzt müssen nur noch die bisherigen ProAvO-Apotheken mitziehen und die Apotheken, die Apps wie callmyApo (Noventi) und „deine Apotheke“ (Phoenix) nutzen, das Wechselangebot von Phoenix/Noventi annehmen. Ach ja, und dann fehlt noch eine Endverbraucher-App für diese Plattform, eine App, die – ganz klar – noch vor dem E-Rezept auf dem Markt sein soll.

 

Der Plattform-Hype schäumt! Mein liebes Tagebuch, fehlt da nicht noch was? Na klar, so ein paar klitzekleine Strukturen und Hinweise, was der Plattform-Spaß die lieben Apotheken kostet, z. B. eine monatliche Basisgebühr und zusätzlich Transaktionsgebühren für die Arzneimittelverkäufe, die über diese Plattform laufen. Was man bisher hört, ruft dies keine Freudensprünge bei den Apothekers hervor, manche sprechen von Abzocke und Wildwest. Da ist zum Beispiel die Sache mit der callmyApo-App, die bisher weitgehend kostenlos genutzt werden konnte. Apotheken, die sich darauf einließen und ihre Kunden für diese App begeisterten, werden nun vor die Alternative gestellt, das Migrationsangebot zur neuen kostenpflichtigen Noventi/Phoenix-Plattform „gesund.de" anzunehmen – um dann kräftig dafür zu zahlen – oder mit dieser App aufzuhören. Zwar gibt es Lockangebote, bei denen auf die teure Startgebühr (799 Euro) verzichtet wird und die Monatsgebühr niedriger ausfällt, aber  monatliche 149 Euro wird den teilnehmenden Apotheken später dann immer noch in Rechnung gestellt. Damit nicht genug, neben der Monatsgebühr fallen auch noch Transaktionsgebühren an von 6 Prozent für jeden Non-Rx-Kauf über den Shop. Klar, als Begleitmusik von Noventi und Phoenix tönen zwar süße Sirenenklänge, die das Blaue vom Plattform-Himmel versprechen, wie z. B. eine mediale Begleitung in TV und Print und viele digitale Angebote bis hin zur Telemedizin, Payback und elektronischer Gesundheitskarte. Mein liebes Tagebuch, was noch fehlt, ist eine Ankündigung, wann die nächsten Erhöhungen der Gebühren und Transaktionsentgelte ansteht. 
Schauen wir mal zu den anderen: Bei der Plattform von Noweda und Burda („Zukunftspakt“) lässt sich das Basispaket mit 115 Euro im Monat günstiger an. Transaktionsgebühren gibt es derzeit noch nicht, aber laut den AGBs könnten später mal durchaus 5 Cent pro Non-Rx und 20 Cent pro eingelöstem Rezept erhoben werden.

Als weiterer Player auf dem Plattform-Markt ist DocMorris angetreten. Mein liebes Tagebuch, wer sich blind und vertrauensvoll dem schweizerischen Zur Rose-Konzern an den Hals wirft und darauf baut, von der „enormen Marketingpower“ – so das Eigenlob des Versandkonzerns – zu profitieren, muss nach dem raschen Ende von anfänglichen Lockangeboten schon bald eine Monatsgebühr von 399 Euro pro Apotheke berappen. Hinzukommt „auf alle Bestellungen von Produkten, die nicht ärztlich verordnet sind“, eine Transaktionsgebühr in Höhe von 10 Prozent des Nettoverkaufspreises (o. USt.). Muss man mögen, oder? 
Überhaupt, bei aller Plattformeritis, die zurzeit herrscht, sollte man sich vielleicht mal in Ruhe  genau überlegen, von wem man sich was verspricht, was es einem nützt und was man vielleicht auch anderswo mit mehr Unabhängigkeit bekommt (ein Blick zu apotheken.de könnte sich lohnen). Und man sollte frei nach Goethe den Mega-Plattformern die Gretchen-Frage stellen: „Nun sag', wie hast du's mit der Unabhängigkeit? Du bist ein herzlich guter Plattform-Mann, Allein ich glaub', du hältst nicht viel von Unabhängigkeit.“



Peter Ditzel (diz), Apotheker / Herausgeber DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


Diesen Artikel teilen:


3 Kommentare

Was geht nicht

von Reinhard Rodiger am 16.05.2021 um 23:49 Uhr

Die Perspektive ist klar:

--Tributpflicht verengt die notwendigen Spielräume.

--Disruptive Geschäftsmodelle unterminieren die
Flächendeckung

--Abhängigkeit von Dritten begrenzt die Entwicklung.

Es geht nicht, weiter zu machen ,ohne die wesentlichen Stellgrössen in ihrer Bedeutung breitest zur Diskussion zu stellen.Hier fehlt alles, unwidersprochen läuft die Ausdünnung der Versorgungsbreite.

Plattformhysterie,eRezept mit via Versand automatisierter Wiederholung, ungebremste Absahner, Aufgabe der eigenen Handlungsfähigkeit sind eine toxische Mischung.Letal ist das vollständige Ignorieren, wie wir es erleben müssen.

Hier wird wenigstens festgehalten, was gar nicht geht.Sei es auch nur zum Nachdenken oder gar zu Beflügeln von den Handlungen, die nach Ausführung schreien.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Geht nicht gibts nicht!

von Ulrich Ströh am 16.05.2021 um 8:52 Uhr

Warum bringen Apothekerverbände oder auch Kooperationen keinen eigenen selbstbestimmten Plattformentwurf an den Markt ?

Rezeptabrechner und Größhändler bieten stattdessen Apotheken eine kostenpflichtige Lösung für die Zukunft an.

Von Apothekern für Apotheker : Vergangenheit !!!

Können wir das nicht selber?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

.

von Anita Peter am 16.05.2021 um 8:29 Uhr

"..... und kräftig dafür zahlen....."

Jeder sollte mal seine maskenbesudelten BWAs um Maskenerlöse, Testerlöse etc korrigieren. Vorher bitte hinsetzen.... Abgewanderte OTC Umsätze werden nur schwer wieder bekommen zu sein, erezept steht für die Versender bereit. Von welchem Geld wir zukünftig "kräftig zahlen" sollen, erschliesst sich mir noch nicht.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.