Hypothyreose

L-Thyroxin doch nicht für immer und ewig?

Waren (Müritz) - 28.05.2021, 07:00 Uhr

Auch Absetzversuche sind bei Schilddrüsenhormonen bei manchen Patienten möglich. (Foto: SciePro / AdobeStock)

Auch Absetzversuche sind bei Schilddrüsenhormonen bei manchen Patienten möglich. (Foto: SciePro / AdobeStock)


Eine Therapie mit Schilddrüsenhormonen begleitet einen den Rest des Lebens. Stimmt nicht ganz! Unter bestimmten Bedingungen ist es durchaus sinnvoll, L-Thyroxin wieder abzusetzen. Eine aktuelle Meta-Analyse liefert den Beweis, dass sich bei einem beträchtlichen Teil der Patienten die Schilddrüsenwerte nach Therapieende wieder im Normbereich einpegelten. Offizielle Empfehlungen gibt es bisher zwar nicht, dafür reichlich Erfahrung aus der Praxis, wie man Schilddrüsenhormone am besten absetzt und welche Patienten dafür infrage kommen.

L-Thyroxin zählt zu den am häufigsten verordneten Medikamenten weltweit. Dr. Joachim Feldkamp, Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Endokrinologie am Klinikum Bielefeld Mitte, war vom Ergebnis seiner eigenen Datenerhebung überrascht: Von über 1.200 Patienten aus der Alterstraumatologie nahmen 23 Prozent Schilddrüsenhormone ein – und das bei einem Durchschnittsalter von 89 Jahren.

Therapie kritisch hinterfragen

Viele dieser Patienten nehmen die Hormone schon seit Jahrzehnten ein. Dabei haben sich einige Empfehlungen zur Therapie von Schilddrüsenerkrankungen mittlerweile ins Gegenteil umgekehrt. Feldkamp nennt ein Beispiel: „Vor 40 Jahren wurden alle Schilddrüsenknoten per se mit Hormonen behandelt, um deren Wachstum zu unterdrücken. Der Nutzen dieser Strategie ist jedoch nur begrenzt. Heute würde man erst beobachten und Schilddrüsenhormone, wenn überhaupt, nur vorübergehend oder in Kombination mit Jod einsetzen.“ Die steigenden Verordnungszahlen zeigen jedoch: Ist die Hormon-Therapie jedoch erst einmal angesetzt, wird meist nur noch die Dosierung korrigiert. „Dabei muss jede Therapie in Abständen kritisch hinterfragt werden, spätestens bei einem Arztwechsel“, betont Feldkamp.

Wer behandelt werden sollte, ist ein Balanceakt

Für die Diagnose Hypothyreose spielt die Labordiagnostik eine entscheidende Rolle. Einen Hinweis darauf, dass etwas aus dem Lot geraten ist, gibt ein erhöhter Spiegel des Thyreoidea-stimulierenden Hormons (TSH). Wenn gleichzeitig der Wert des frei im Blut zirkulierenden Schilddrüsenhormons Thyroxin (fT4) erniedrigt ist, handelt es sich um eine manifeste Hypothyreose, und die Indikation für eine Hormon-Ersatztherapie ist gegeben. Liegt der fT4-Wert im Normbereich, spricht man von einer subklinischen (oder latenten) Hypothyreose. Hier muss im Einzelfall entschieden werden, ob sich eine Substitution lohnt.

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Dabei steht der Arzt vor einem Dilemma: Auf der einen Seite besteht das Risiko, dass sich aus einer subklinischen schleichend eine manifeste Hypothyreose entwickelt, gegebenenfalls verbunden mit kardiovaskulären Folgeerkrankungen. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr einer Übertherapie mit unnötigen Risiken, denn nach wie vor fehlt der Beweis, dass diese Patienten von einer Schilddrüsenhormon-Ersatztherapie profitieren.

Für eine Substitution wird sich der Arzt entscheiden, wenn gleichzeitig Thyreoperoxidase-Antikörper nachgewiesen werden, auch wenn das Risiko der Entwicklung einer manifesten Hypothyreose wohl stärker mit der Höhe des TSH-Werts als mit dem Vorhandensein von Autoantikörpern korreliert.

Nicht mehr als „Labor-Kosmetik“?

Die Diskussion darüber, ob ein leicht erhöhter TSH-Wert überhaupt behandelt werden sollte, reißt nicht ab. Die Patientiennen und Patienten sind in der Regel beschwerdefrei. Die Diagnose „Subklinische Hypothyreose“ wird allein anhand von Laborparametern gestellt. Dabei variieren die Referenzbereiche für den TSH-Wert international und auch innerhalb Deutschlands. Die Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin definiert einen Normbereich von 0,4 - 4,0 mU/l. Noch vor etwa 15 Jahren war eine Obergrenze von 2,5 im Gespräch. Je niedriger sie liegt, desto mehr Menschen werden als krank definiert. Dabei ist der TSH-Wert an sich ein launischer Parameter: Er hängt unter anderem vom Alter und Körpergewicht ab, kann durch Grunderkrankungen oder Arzneimittel verändert werden und unterliegt auch tageszeitlichen Schwankungen.

Konsens herrscht darüber, dass Patienten mit einem TSH-Wert ≤ 10 mU/L auf eine Hormonsubstitution verzichten können, da die Evidenz für einen Nutzen fehlt, sofern keine relevanten Beschwerden bestehen. Bei höheren Werten ist es eine Frage des Alters. Für Personen bis 70 Jahre gibt es Hinweise darauf, dass eine subklinische Hypothyreose ein Risikofaktor für die Entwicklung und Verschlechterung einer Herzinsuffizienz sowie einer koronaren Herzkrankheit ist. Diese Patienten könnten von einer Hormonsubstitution profitieren. Ältere Patienten sollen nur behandelt werden, wenn ein vaskuläres Risiko besteht oder Beschwerden vorliegen. Ab einem Alter von 85 Jahren sollte man eine Therapie generell kritisch hinterfragen.

Die Entscheidung für oder gegen eine Hormonbehandlung im Fall einer subklinischen Hypothyreose sollte immer von Arzt und Patient gemeinsam getroffen werden. Und selbst wenn man sich für eine Therapie entscheidet, ist sie keine Einbahnstraße.

Jeder dritte Patient blieb nach dem Absetzen euthyreot

Noch ist die Evidenz für das Absetzen von Schilddrüsenhormonen begrenzt. Nydia Burgos von der University of Puerto Rico und ihre US-amerikanischen Kollegen sichteten in einer Meta-Analyse die bis dato verfügbare wissenschaftliche Literatur, insgesamt 17 Beobachtungsstudien mit den Daten von 1.103 Patienten (86 Prozent Frauen). Nach Absetzen der Hormone zeigten 37,2 Prozent der Patienten bei der Nachuntersuchung (im Median nach 5 Jahren) normale Laborwerte. Die Wahrscheinlichkeit, nach Ende der Therapie euthyreot zu bleiben, war bei Patienten, die ursprünglich wegen einer subklinischen Hypothyreose behandelt wurden, deutlich höher war als bei solchen mit der Erstdiagnose manifeste Hypothyreose (35,6 Prozent vs. 11,8 Prozent). Nach gepoolten Schätzungen mussten 65,8 Prozent der Patienten während des Beobachtungszeitraums die Schilddrüsenhormone wieder ansetzen. Bei Patienten mit einer manifesten Hypothyreose waren es 87,2 Prozent.

Bei welchen Patienten lohnt sich ein Absetzversuch?

Die Studienautoren sehen darin einen Indikator für Personen, die möglicherweise nicht von einer Substitution profitieren. Zudem können Bedenken über Nebenwirkungen zur Entscheidung führen, die Hormone wieder abzusetzen. Ob die Therapie beendet werden sollte, muss selbstverständlich im individuellen Fall entschieden werden. Feldkamp nennt vier Patientengruppen, bei denen er sofort einen Absetzversuch wagen würde:

  • Patienten, die ursprünglich wegen eines Schilddrüsenknotens mit Hormonen behandelt wurden,
  • Patienten, die nur eine leichte TSH-Erhöhung zu Beginn der Therapie zeigten,
  • Patienten, bei denen nur ein Teil der Schilddrüse entfernt und die zur Sicherheit mit Schilddrüsenhormonen behandelt wurden, obwohl der Rest der Drüse groß genug ist, um selbst ausreichend Hormone zu produzieren,
  • junge Patienten mit Hashimoto-Thyreoiditis, die nur eine leichte TSH-Erhöhung zu Beginn der Therapie in der Vergangenheit zeigten.

Auf die Frage, ob man auch noch im hohen Alter an der Medikation etwas ändern sollte, entgegnet Feldkamp: „Gerade ältere Menschen haben nachweislich Nachteile von einer nicht notwendigen Schilddrüsenhormontherapie. So entwickeln etwa 30 Prozent der über 60-Jährigen im Verlauf einer L-Thyroxin-Therapie Vorhofflimmern, wenn der TSH- Wert zu stark unterdrückt wird.“ Zudem wird in der wissenschaftlichen Literatur unter niedrigen TSH-Werten ein erhöhtes relatives Risiko für Frakturen als Folge einer Übertherapie beschrieben.

Wie setzt man Schilddrüsenhormone am besten ab?

Die Studie von Burgos et al. ist eine der ersten, die versucht hat, das Wissen um das Absetzen von Schilddrüsenhormonen systematisch zu verfassen. Noch ist viel Forschung nötig, um eine evidenzbasierte Strategie zu entwickeln. Das Wichtigste zuerst: Schilddrüsenhormone greifen empfindlich in den Stoffwechsel ein und dürfen auf keinen Fall eigenmächtig abgesetzt werden! Arzt und Patient entscheiden gemeinsam, ob und wie die Therapie kontrolliert beendet werden kann.

Feldkamp geht in seiner Praxis folgendermaßen vor: „Die Dosis sollte zunächst halbiert werden. Ist der TSH-Wert nach sechs bis acht Wochen in Ordnung, kann die Medikation ganz abgesetzt werden. Eine Kontrolle ist dann erst nach einem halben oder ganzen Jahr nötig. Falls sich die Schilddrüsenwerte in dieser Zeit verschlechtern sollten, muss die Therapie wieder angesetzt werden.“ Im Fall von Patienten, die wegen eines Schilddrüsenknotens behandelt wurden und eine normal große Schilddrüse haben, kann L-Thyroxin nach Erfahrung von Feldkamp auch abrupt abgesetzt werden. „Die Blutspiegel ändern sich nicht schlagartig. Schilddrüsenhormone zirkulieren an Eiweiß gebunden, sodass es 3 bis 4 Wochen dauert, bis die Medikation verbraucht ist.“

Aus den Augen heißt aber nicht aus dem Sinn: Auch Patienten, bei denen ein Absetzen erfolgreich war, müssen ihre Schilddrüsenwerte in regelmäßigen Abständen überprüfen lassen. Sinnvoll erscheint nach aktuellem Kenntnisstand eine einmal jährliche TSH-Kontrolle.



Rika Rausch, Apothekerin
redaktion@daz.online


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