Einigung zwischen Europäischem Parlament und Rat

Europäische Nutzenbewertung kommt nun in „Light“-Version

Remagen - 23.06.2021, 15:15 Uhr

Eine für alle in der EU verbindliche Bewertung des klinischen Nutzens, die ursprünglich angedacht war, wird es nicht geben. (c / Foto: VanderWolf Images / AdobeStock)

Eine für alle in der EU verbindliche Bewertung des klinischen Nutzens, die ursprünglich angedacht war, wird es nicht geben. (c / Foto: VanderWolf Images / AdobeStock)


Doppelte klinische Bewertungen drastisch reduzieren

Im Dezember 2020 legte Deutschland im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft einen Kompromissvorschlag für eine EU-HTA-Verordnung vor, der den rigiden Ansatz der Kommission deutlich entschärfte und eine Koordinierungsgruppe mit Experten aus den Mitgliedstaaten ins Spiel brachte. Die portugiesische Ratspräsidentschaft entwickelte diesen weiter, und dann kam recht bald Land in Sicht. Am 24.  März 2021 einigte sich der Europäische Rat nach dreijährigen Diskussionen schließlich auf ein Mandat für Verhandlungen mit dem Parlament über einen modifizierten Vorschlag, die nun mit einem Beschluss beendet wurden.

„Wir haben heute eine informelle Einigung über einen Legislativvorschlag erzielt, der die Zusammenarbeit der EU bei der Bewertung von Gesundheitstechnologien stärken wird“, kommentiert der deutsche EP-Berichterstatter Tiemo Wölken (S&D) das Ergebnis. „Gerade jetzt angesichts einer Gesundheitskrise wird es immer wichtiger, dass wir als Union unser Fachwissen und unsere Ressourcen bündeln, um qualitativ hochwertige gemeinsame Bewertungen zu gewährleisten und gleichzeitig zu einem rechtzeitigen Zugang zu innovativen Gesundheitstechnologien beizutragen.“ Die Verordnung werde doppelte klinische Bewertungen drastisch reduzieren, eine nachhaltige Zusammenarbeit im Bereich HTA sicherstellen und einen Rahmen bieten, um Gesundheitsfragen wie seltenen Krankheiten, personalisierte Medizin und Arzneimitteln für seltene Leiden besser zu begegnen, so seine Überzeugung.

Neue Koordinierungsgruppe im Dialog mit den Stakeholdern

Die Verordnung sieht die Einrichtung einer neuen „Koordinierungsgruppe der Mitgliedstaaten“ vor. Für diese sowie für deren verschiedene Untergruppen soll jedes Land seine Vertreter benennen. Nach dem vereinbarten Text dürfen die Vertreter und Experten keine Interessen an der Industrie der Entwickler von Gesundheitstechnologie haben, die ihre Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit beeinträchtigen könnten. Die Koordinierungsgruppe soll sich umfassend mit relevanten Stakeholdern austauschen, einschließlich Patienten-Organisationen, Angehörigen der Gesundheitsberufe, klinischer Experten, HTA-Entwicklern und Verbrauchern. Um diesen Dialog zu erleichtern, soll ein Stakeholder-Netzwerk eingerichtet werden.

Löst das europäische HTA Verfahren die nationale Bewertung ab?

Doch soll das europäische Verfahren nun nationale ablösen? Nein, darauf ist die Verordnung nicht ausgelegt. Die Ergebnisse der gemeinsamen wissenschaftlichen Bewertungen sollen die vorgelegte Evidenz nur beschreiben. Die Bewertung soll weiterhin den HTA-Agenturen der einzelnen Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben. Allerdings soll der Gesetzesrahmen sicherstellen, dass die Legitimität der EU-Berichte nicht infrage gestellt wird und dass die gemeinsamen Bewertungen in den nationalen Verfahren nicht ignoriert werden können. Sie sollen den nationalen Bewertungen beigefügt werden, und die Mitgliedstaaten sollen über ihre Verwendung in nationalen HTAs berichten müssen. Gegenüber dem ursprünglichen Ansinnen mit verbindlich umzusetzenden harmonisierten Nutzenbewertungen sieht es aber nun eher nach einer EU HTA „light“ aus.

Im deutschen Kontext bedeutet dies, dass ein Teil der Arbeit des IQWiG auf europäischer Ebene stattfinden wird. Die Beschlussfassung über die nationale Adaption der europäischen Zusatznutzenbewertung verbleibt aber weiterhin im Aufgabenbereich des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), ebenso wie der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) für nachgelagerte Preisverhandlungen verantwortlich sein wird.

Der portugiesische Ratsvorsitz wird das Ergebnis der Verhandlungen nun dem Ausschuss der Ständigen Vertreter des Rates (AStV) zur Billigung vorlegen. Darauf folgt die Annahme durch den Rat und dann durch das Europäische Parlament. Die neuen Vorschriften sollen in einem gestaffelten Verfahren, drei Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung, unmittelbar anwendbar sein.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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