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Einigung zwischen Europäischem Parlament und Rat
Europäische Nutzenbewertung kommt nun in „Light“-Version
Das jahrelange Ringen um eine europäisch harmonisierte Nutzenbewertung von Gesundheitstechnologien inklusive Arzneimitteln neigt sich dem Ende zu. Eine „neue Koordinierungsgruppe der Mitgliedstaaten“ soll es richten und dafür sorgen, dass die Länder bei den Bewertungen nicht allzu weit auseinanderdriften. Eine für alle verbindliche Bewertung des klinischen Nutzens, die ursprünglich angedacht war, wird es jedoch nicht geben.
Am gestrigen Dienstagmorgen haben nun die Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union eine vorläufige Einigung über einen Legislativvorschlag zur verstärkten Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Bewertung von Gesundheitstechnologien (HTA - health technology assessment) auf EU-Ebene erzielt. Dies haben das Parlament und der Rat mit zwei gesonderten Pressemitteilungen bekannt gegeben.
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Nutzenbewertung nützt nichts
Auf europäischer Ebene wird schon seit längerem um eine harmonisierte Nutzenbewertung von Arzneimitteln und anderen Technologien, die im Gesundheitsbereich eingesetzt werden, gerungen. Aktuell wird der HTA-Prozess von etwa 50 europäischen HTA-Agenturen in unterschiedlicher Art und Weise durchgeführt. In Deutschland ist das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) dafür zuständig.
Einstieg über EUnetHTA
Im Rahmen eines Projektes namens „European Network for Health Technology Assessment“ (EUnetHTA) waren die zuständigen Behörden in der EU schon seit einigen Jahren auf freiwilliger Basis zusammengerückt, um Unterschiede in den Bewertungen abzubauen. Auch das IQWiG war an vielen Arbeitspaketen und den zentralen Lenkungsgremien des komplexen Großprojekts beteiligt.
Um das Ganze auch rechtlich festzuzurren, legte die EU-Kommission dann Ende Januar 2018 einen Vorschlag für eine Verordnung über die Bewertung von Gesundheitstechnologien vor.
Hiernach sollten die Mitgliedstaaten koordiniert zusammenarbeiten, so wie sie es bei dem europäischen Zulassungsverfahren schon heute tun. Das sollte Doppelarbeit vermeiden und Inkonsistenzen reduzieren und verhindern, dass Methodenstreitigkeiten den Zugang zu innovativen Arzneimitteln unnötig behindern. Klinische Bewertungen auf nationaler Ebene sollten danach zwangsläufig durch harmonisierte Nutzenbewertungen abgelöst werden. Die Entscheidungen über Preis und Erstattung sollten dagegen weiter Sache der Mitgliedstaaten bleiben.
Widerstand gegen verbindliche harmonisierte Nutzenbewertungen
Der Vorschlag sorgte in der Folge für erhebliche Diskussionen und Kontroversen. Vor allem größere Mitgliedstaaten wehrten sich mit Vehemenz gegen eine Verbindlichkeit der harmonisierten Bewertungen für nationale Nutzenentscheidungen. Schließlich bewege sich jede Nutzenwertung im Kontext der nationalen Systeme der Gesundheitsversorgung, die sich ganz erheblich unterscheiden und diese unmittelbar beeinflussen, so die Argumentation. Auch das IQWiG sah die Pläne der EU-Kommission für europaweit einheitliche und national verbindliche HTA-Arbeit skeptisch.
Doppelte klinische Bewertungen drastisch reduzieren
Im Dezember 2020 legte Deutschland im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft einen Kompromissvorschlag für eine EU-HTA-Verordnung vor, der den rigiden Ansatz der Kommission deutlich entschärfte und eine Koordinierungsgruppe mit Experten aus den Mitgliedstaaten ins Spiel brachte. Die portugiesische Ratspräsidentschaft entwickelte diesen weiter, und dann kam recht bald Land in Sicht. Am 24. März 2021 einigte sich der Europäische Rat nach dreijährigen Diskussionen schließlich auf ein Mandat für Verhandlungen mit dem Parlament über einen modifizierten Vorschlag, die nun mit einem Beschluss beendet wurden.
„Wir haben heute eine informelle Einigung über einen Legislativvorschlag erzielt, der die Zusammenarbeit der EU bei der Bewertung von Gesundheitstechnologien stärken wird“, kommentiert der deutsche EP-Berichterstatter Tiemo Wölken (S&D) das Ergebnis. „Gerade jetzt angesichts einer Gesundheitskrise wird es immer wichtiger, dass wir als Union unser Fachwissen und unsere Ressourcen bündeln, um qualitativ hochwertige gemeinsame Bewertungen zu gewährleisten und gleichzeitig zu einem rechtzeitigen Zugang zu innovativen Gesundheitstechnologien beizutragen.“ Die Verordnung werde doppelte klinische Bewertungen drastisch reduzieren, eine nachhaltige Zusammenarbeit im Bereich HTA sicherstellen und einen Rahmen bieten, um Gesundheitsfragen wie seltenen Krankheiten, personalisierte Medizin und Arzneimitteln für seltene Leiden besser zu begegnen, so seine Überzeugung.
Neue Koordinierungsgruppe im Dialog mit den Stakeholdern
Die Verordnung sieht die Einrichtung einer neuen „Koordinierungsgruppe der Mitgliedstaaten“ vor. Für diese sowie für deren verschiedene Untergruppen soll jedes Land seine Vertreter benennen. Nach dem vereinbarten Text dürfen die Vertreter und Experten keine Interessen an der Industrie der Entwickler von Gesundheitstechnologie haben, die ihre Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit beeinträchtigen könnten. Die Koordinierungsgruppe soll sich umfassend mit relevanten Stakeholdern austauschen, einschließlich Patienten-Organisationen, Angehörigen der Gesundheitsberufe, klinischer Experten, HTA-Entwicklern und Verbrauchern. Um diesen Dialog zu erleichtern, soll ein Stakeholder-Netzwerk eingerichtet werden.
Löst das europäische HTA Verfahren die nationale Bewertung ab?
Doch soll das europäische Verfahren nun nationale ablösen? Nein, darauf ist die Verordnung nicht ausgelegt. Die Ergebnisse der gemeinsamen wissenschaftlichen Bewertungen sollen die vorgelegte Evidenz nur beschreiben. Die Bewertung soll weiterhin den HTA-Agenturen der einzelnen Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben. Allerdings soll der Gesetzesrahmen sicherstellen, dass die Legitimität der EU-Berichte nicht infrage gestellt wird und dass die gemeinsamen Bewertungen in den nationalen Verfahren nicht ignoriert werden können. Sie sollen den nationalen Bewertungen beigefügt werden, und die Mitgliedstaaten sollen über ihre Verwendung in nationalen HTAs berichten müssen. Gegenüber dem ursprünglichen Ansinnen mit verbindlich umzusetzenden harmonisierten Nutzenbewertungen sieht es aber nun eher nach einer EU HTA „light“ aus.
Im deutschen Kontext bedeutet dies, dass ein Teil der Arbeit des IQWiG auf europäischer Ebene stattfinden wird. Die Beschlussfassung über die nationale Adaption der europäischen Zusatznutzenbewertung verbleibt aber weiterhin im Aufgabenbereich des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), ebenso wie der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) für nachgelagerte Preisverhandlungen verantwortlich sein wird.
Der portugiesische Ratsvorsitz wird das Ergebnis der Verhandlungen nun dem Ausschuss der Ständigen Vertreter des Rates (AStV) zur Billigung vorlegen. Darauf folgt die Annahme durch den Rat und dann durch das Europäische Parlament. Die neuen Vorschriften sollen in einem gestaffelten Verfahren, drei Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung, unmittelbar anwendbar sein.
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