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Der EU-Versender DocMorris ist in E-Rezept-Trance und im Plattform-Rausch. Und um seine Plattform groß zu machen, sucht er händeringend „Partner“-Apotheken, die dafür auch noch bezahlen, dass sie für ihn Arzneipäckchen packen und per Boten- und Kurierdienst ausliefern dürfen. Und es gibt sogar Apothekers, die da mitspielen und zahlen. Putzig, oder? Auch ganz schnuckelig: Kurz vor dem E-Rezept-Start für alle ist noch nicht klar, was mit E-Rezept-Apps ist: Das BMG hätte am liebsten die One-and only-Gematik-App. Aber es ist klar, es wird auch andere geben (müssen) – man fragt sich nur was und wie. Und bis dahin werden die E-Rezept-Tokens vom Papierausdruck „abfotografiert und in der Weltgeschichte herumgeschickt“. Und noch was Drolliges: die Zertifikats-Lyrik. Was zählt mehr – ein Testzertifikat, ein Genesenenzertifikat, ein Impfzertifikat oder ein Genesenenimpfzertifikat?
5. Juli 2021
1 Euro mehr soll’s geben! 1 Euro mehr pro Durchstechflasche COVID-19-Impfstoff, die die Apotheke an eine Arztpraxis liefert – also statt 6,85 Euro gibt’s dann 7,85 Euro. Das sieht der Referentenentwurf zur Änderung der Impfverordnung vor, der zur Zeit in der Mache ist. Mit ihm wird übrigens auch die Vergütung für die nachträgliche Ausstellung von digitalen COVID-19-Impfzertifikaten ab dem 8. Juli 2021 von 18 auf 6 Euro abgesenkt werden. Mein liebes Tagebuch, die Apotheken, die die Arztpraxen mit Impfstoffen beliefern, können ein Lied davon singen: Es macht Arbeit, richtig Arbeit, das gesamte Impfstoffmanagement von der Bestellaufnahme bis zur Auslieferung in die Praxis. Mit den 6,85 Euro pro Vial sind wir in der Tat unterbezahlt, da legen wir drauf. Die ABDA hat da mal nachgerechnet und ist auf einen Betrag von mehr als 18,08 Euro pro Vial gekommen, was eine angemessene Vergütung für diesen Aufwand wäre. Eigentlich. Das Gesundheitsministerium hat diese Berechnung vermutlich mit einem LLA-Vorgang (lachen, lochen, abheften) in die Ablage befördert. Und nun? Mein liebes Tagebuch, da klafft noch eine gewaltige Lücke zwischen 7,85 und 18,08 Euro. In einer Stellungnahme zu diesem „Angebot“ des Bundesgesundheitsministeriums lässt die ABDA wissen, dass zwar die Richtung stimme, die vorgesehene Anpassung aber noch nicht ausreichend, noch nicht kostendeckend sei. „Noch nicht“ klingt irgendwie harmlos, mein liebes Tagebuch, und so, als wären wir kurz davor. „Noch nicht“ suggeriert auch, dass es keine 18,08 Euro sein müssen: Vielleicht reicht schon ein kleiner Zuschlag von 2 oder 3 Euro mehr? Oder etwa doch 5 mehr? Oder können wir schon froh sein, dass es einen Euro mehr gibt und nicht weniger? Was meint die ABDA wohl mit der Formulierung „noch nicht“? Vielleicht die Freude darüber, dass es immerhin mehr und nicht weniger gibt – angesichts der drastischen Vergütungskürzung fürs digitale Impfzertifikat.
Die rosa Rezepte, also die Arzneimittelrezepte zulasten der GKV, haben ab 3. Juli nur noch eine Gültigkeit von 28 Tagen statt wie bisher einen Monat. Und bei den 28 Tagen zählen Samstag, Sonntag und Feiertag mit. Also Vorsicht, 28 Tage und keinen mehr, sonst Retax. Mein liebes Tagebuch, wo bleibt die passende Rezepte-Gültigkeitsdauer-Berechnungs-App für den HV? Und noch etwas bringt die aktuelle Änderung der Arzneimittel-Richtlinie: Die Möglichkeit für den Arzt, ein Wiederholungsrezept auszustellen, rückt näher. Mit einem Wiederholungsrezept kann der Versicherte sein Arzneimittel nach der Erstabgabe noch drei weitere Male in der Apotheke innerhalb bestimmter Fristen bekommen (hier beträgt die Gültigkeitsdauer insgesamt 365 Tage). Mein liebes Tagebuch, Wiederholungsrezepte klingen irgendwie praktisch für den Versicherten, er muss nicht erneut zum Arzt, um ein Folgerezept zu erhalten. Er muss es halt nur aufbewahren und sollte es nicht verlieren. Ob aber die Ärzte auf die Möglichkeit der Wiederholungsrezepte gewartet haben, wage ich zu bezweifeln. Und ja, für uns Apothekers muss auch noch zwischen GKV, ABDA und Kassenärztlicher Bundesvereinigung geklärt werden, wie die praktische Ausgestaltung ist, wie es technisch mit dem E-Rezept realisiert werden kann und – wie wir es mit den Kassen abrechnen können: Etwa erst nach der letzten Abgabe des Arzneimittels, also nach der dritten Wiederholung? Oh, oh.
Unser herzallerliebster Versender an der deutsch-niederländischen Grenze hat Großes vor, ganz Großes. Wir haben es vernommen: Es soll eine Super-Plattform entstehen: Die Zur-Rose-Tochter DocMorris will bis Ende des Jahres alle ihre Dienste in einer App und einer Webanwendung zusammenführen. Das Ziel: Die Kundinnen und Kunden soll es nicht interessieren müssen, dass es sich um einen Versender aus den Niederlanden handelt, es soll vielmehr der Eindruck entstehen, dass man auf dieser Plattform sein Rezept einlösen und zwischen verschiedenen Belieferungsoptionen wählen kann. Die Arzneimittel kommen dann z. B. nach zwei Tagen aus den Niederlanden per Spedition oder nach zwei Stunden von einer deutschen Apotheke per Boten. Tja, mein liebes Tagebuch, und damit unser lieber DocMo dieses Ziel erreicht, braucht es mindestens 1000 „Partner“-Apotheken in Deutschland, die das DocMo-Plattform-Spielchen mitspielen – und fürs Mitmachen demnächst auch kräftig löhnen: Monatlich fällt eine kleine Grundgebühr von 399 Euro an und dazu noch Transaktionsgebühren in Höhe von 10 Prozent des Nettoverkaufspreises (als Lockmittel entfallen in diesem Jahr die Monats- und Transaktionsgebühren). Mit den Partner-Apotheken will das Versandhaus natürlich so schnell sein wie unsere Vor-Ort-Apotheken und „same day delivery“ ermöglichen. Mein liebes Tagebuch, nun könnte man meinen, dass unsere deutschen Apotheken so einen Versender-Deal nicht alimentieren, nicht akzeptieren und DocMo nicht noch größer machen wollen. Von wegen! Angeblich hat der Versender bereits 35 Partner-Apotheken gewinnen können, bis zum Jahresende will man 200 Partner von diesem Konzept überzeugt haben. Mein liebes Tagebuch, wir fragen uns, was geht in den Köpfen dieser Apothekenleiter vor, die sich dem Versandhaus andienen? Warum begeben sie sich praktisch auf das Niveau eines Logistikers, der Boten- und Speditionsdienste zu DocMo-Konditionen übernimmt und dafür auch noch bezahlt? Hat schon mal ein Betriebswirtschaftler ausgerechnet, wie viele Bestellungen eine solche „DocMo-Speditions-Apotheke“ im Auftrag von DocMo ausführen muss, damit ein nennenswerter Betrag hängen bleibt abzüglich der Kosten für Boten, Fahrzeuge, Monats- und Transaktionsgebühren? Nun ja, mein liebes Tagebuch, fast noch wichtiger als diese Frage erscheint mir auch die innere Einstellung dazu: Will ich einen multinationalen Konzern groß machen, der im Prinzip mein ärgster Konkurrent ist? Mein liebes Tagebuch, für mich ist das auch eine Frage der Haltung.
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