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Lieferengpässe bleiben ein Dauerthema. Aktuell heißt das größte Sorgenkind der Krankenhäuser isotonische Kochsalzlösung. Im ambulanten Bereich kämpfen die Apotheken mit dem Mangel an vielen weiteren Medikamenten. Etwas Entspannung zeichnet sich in der Salbutamol-Krise ab. Dafür hat sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mächtig ins Zeug gelegt, versicherte Dr. Michael Horn, Leiter der Abteilung Zulassung 1 im BfArM, auf dem AMTS-Kongress am 25. Oktober 2024 in Berlin. Aus der Apothekerschaft gab es dennoch Kritik.
Die Workshop-Teilnehmer des 6. Deutschen Kongresses für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie bekamen aus erster Hand einen Einblick über die derzeitige Lage: Apotheker Dr. Michael Horn ist seit 2016 zuständig für den Bereich Liefer- und Versorgungsengpässe. Damals sah man beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Notwendigkeit, aus der passiven in eine aktive Rolle zu wechseln, da das Thema Lieferengpässe drängender wurde und niemand sich verantwortlich fühlte, die Fäden zusammenzuführen. Der Verkehr mit Arzneimitteln wird eigentlich von den Bundesländern geregelt.
Beirat schlägt Alternativen vor
Horn ist auch Leiter des Beirats zu Liefer- und Versorgungsengpässen, der im Jahr 2020 aus einem Jour fixe hervorging und in dem alle relevanten Gruppen vertreten sind – von Apothekern über Ärzte bis hin zu Krankenkassen. Aufgabe des Beirates ist es, die Versorgungslage mit Humanarzneimitteln kontinuierlich zu beobachten und zu bewerten. Der Beirat unterstützt die Bundesoberbehörden bei der Bewertung der Versorgungsrelevanz eines Lieferengpasses unter Berücksichtigung möglicher Therapiealternativen und arbeitet Empfehlungen zur Verbesserung der Versorgungssituation aus.
Geregelt wird dies in § 52b Arzneimittelgesetz (AMG). Ein zentraler Punkt dieses Paragrafen ist auch die Liste von versorgungsrelevanten und versorgungskritischen Wirkstoffen, für die eine regelmäßige Datenübermittlung erforderlich ist. Auf Anforderung müssen pharmazeutische Unternehmer, Hersteller und Großhändler Daten zu verfügbaren Beständen, zur Produktion, einschließlich der Herstellungsstätte der bei der Herstellung des Arzneimittels tatsächlich verwendeten Wirkstoffe, und zur Absatzmenge sowie Informationen zu drohenden Lieferengpässen mitteilen – mit dem Ziel, einen drohenden oder bestehenden versorgungsrelevanten Lieferengpasses abzuwenden oder abzumildern.
BfArM-Liste nicht alltagstauglich
Mit Blick auf die Liste verdeutlichte Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), das Ausmaß des Problems: Im September 2022 waren noch ca. 300 Lieferengpässe gemeldet, 2023 schon über 400, zum Stichtag 17.Oktober 2024 fast 500. „Das klingt erstmal bedrohlich, aber es gibt ja zum Glück in den meisten Fällen Alternativen.“ In seinem Alltag in der Onkologie sieht er derzeit keine Versorgungsengpässe. Onkologika machen mit etwa elf Milliarden Euro GKV-Ausgaben pro Jahr die nettokostenstärkste Gruppe von Arzneimitteln aus. „Die Hersteller haben ein großes Interesse daran, dass diese Medikamente regelmäßig verordnet werden können.“
Prof. Dr. Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK), zeichnete ein ganz anderes Szenario. So führen derzeit knapp 1200 Defekte in den öffentlichen Apotheken zu einer erheblichen Mehrbelastung. Aufgabe der AMK ist es, alle relevanten Infos für öffentliche Apotheken herauszufiltern. Die BfArM-Liste kritisierte er dafür, dass die Meldungen auf Freiwilligkeit beruhen, nur verschreibungspflichtige, versorgungskritische Arzneimittel erfasst werden, „die teilweise sogar lieferbar sind, obwohl sie als defekt gemeldet werden“. Aus dem Publikum kam die Zustimmung, dass die BfArM-Liste im Apotheken-Alltag keine Rolle spiele.
Salbutamol-Nachschub aus den USA
Horn argumentierte, dass die Liste Rechtsfolgen habe. Zum Beispiel dürfe sich eine Krankenhausapotheke im Fall der Listung mit diesem Arzneimittel bevorraten. Auch hätte sie Auswirkung auf die Prüfung auf Wirtschaftlichkeit. Auf ihrer Grundlage kann die zuständige Bundesoberbehörde unter anderem Maßnahmen zur Kontingentierung und Lagerhaltung anordnen. Der Gesetzgeber hat dem BfArM zudem eine Reihe von Instrumenten an die Hand gegeben, um einem Versorgungsengpass entgegenzuwirken. So dürfen auch nicht zugelassene Arzneimittel durch Gestattung vom BfArM in den Verkehr gebracht werden – zunächst nur im klinischen, mittlerweile auch im ambulanten Bereich. Im Fall von Salbutamol hat man sich in den USA bedient. Nach Horns Aussage reizt das BfArM den gesetzlich vorgegebenen Rahmen bis zum Äußersten aus: „Es wird derzeit an großen Rädern gedreht, um die Gefahr abzuwenden, dass ab 2025 gar kein Salbutamol mehr verfügbar ist“.
Das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) aus dem Juli 2023 hält er ebenfalls nicht für gescheitert, „wenn man die Erwartungshaltung berücksichtigt“. Ziel war eine bessere Versorgung mit Kinderarzneimitteln. Im Vergleich zum vergangenen Jahr könne man zur Erkältungssaison 2024 von einer hundertprozentigen Verfügbarkeit von Fiebersäften ausgehen, plus Lagerhaltung beim Hersteller. „Wenn es an einer bestimmten Geschmacksrichtung fehlt, hat das nichts mit einem Versorgungsengpass zu tun.“ Auch für Antibiotika-Säfte bestehen laut Horn eine deutlich bessere Verfügbarkeit und Vorratshaltung als noch 2023.
Bitte keine MDK-Prüfung!
Für die Apotheken ergeben sich aus Arzneimittel-Importen neue Herausforderungen, gab Schulz zu bedenken. Die Gebrauchsinformationen müssen teilweise erst auf Deutsch ausgedruckt und antibiotische Säfte in der Apotheke angefertigt werden, da „73 ml Wasser“ ohne Dosierhilfe im Haushalt nicht abzumessen seien. Dazu fehle es an PZN und securPharm-Infos, was zu Schwierigkeiten im Warenwirtschaftssystem führt. Dieser Mehraufwand wird nicht vergütet – im Gegenteil bergen Importe das Risiko der Nullretax. „Und außerdem müssen diese Packungen ja auch erst einmal beim Großhandel und in der Apotheke ankommen.“
Auch Horn sieht als dringende Maßnahme, die Prüfung auf Wirtschaftlichkeit im Fall eines Versorgungsmangels auszusetzen. Gespräche dazu laufen.
Bitte schneller agieren!
Dr. Gesine Picksack, Hannover, berichtete von ihren Erfahrungen als Krankenhausapothekerin in einer Uniklinik. Hier stelle sich das Kostenproblem nicht in dem Ausmaß, wie es öffentliche Apotheken betrifft. Derzeit beschäftigt ihr Team insbesondere der Engpass mit isotonischer Natriumchlorid-Lösung. Am 17. Oktober 2024 kam für alle endlich „die befreiende Nachricht“: An jenem Tag verkündete das Bundesministerium für Gesundheit offiziell einen Versorgungsmangel im Bundesanzeiger. Dadurch werden Importe aus dem Ausland vorübergehend erleichtert. Picksack war nur verwundert, warum das so lange gedauert hat. Der Engpass habe sich bereits Anfang des Jahres abgezeichnet. „Hier hätte man definitiv früher reagieren müssen, als abzuwarten, bis die Wolken dunkelgrau am Himmel drohen.“
Aus dem Kreis der Workshop-Teilnehmer kam die Wortmeldung, dass es auch für öffentliche Apotheken äußerst hilfreich wäre, zu wissen, wie lange eine Durststrecke noch dauert. Vorschläge waren zudem, das Auseinzeln aus Großpackungen zu erlauben und Apotheken im Fall von Lieferengpässen mehr Freiraum beim Austausch zu gewähren, wie es sich während der Pandemie bewährt hatte.
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