IQWiG plädiert für Cranberry

Wiederkehrende Blasenentzündung – was außer Antibiotika hilft?

Stuttgart - 21.10.2021, 17:50 Uhr

Ob der präventive Einsatz von anderen Phytotherapeutika neben Cranberry sinnvoll sein kann, lässt sich aufgrund der sehr wenigen verfügbaren Daten nicht ausreichend beurteilen, meint das IQWiG. Es gibt aber noch Alternativen zu Antibiotika. (s / Foto: Mara Zemgaliete / AdobeStock)

Ob der präventive Einsatz von anderen Phytotherapeutika neben Cranberry sinnvoll sein kann, lässt sich aufgrund der sehr wenigen verfügbaren Daten nicht ausreichend beurteilen, meint das IQWiG. Es gibt aber noch Alternativen zu Antibiotika. (s / Foto: Mara Zemgaliete / AdobeStock)


Wie das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mitteilt, wird derzeit in seinem Auftrag eine Frage aus dem Praxisalltag der Apotheken wissenschaftlich untersucht: Gibt es für Frauen mit einer unkomplizierten wiederkehrenden Blasenentzündung eine (pflanzliche) Alternative zur Prävention mit Antibiotika? Das IQWiG meint „ja“, allerdings besteht weiterer Forschungsbedarf – vor allem hinsichtlich der richtigen Dosierung.

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat seine Gesundheitstechnologie-Bewertung (engl. Health Technology Assessment = HTA) zum Thema „Wiederkehrende Blasenentzündungen“ veröffentlicht. Noch ist der HTA-Bericht zwar vorläufig, und das Institut bittet bis zum 5. November 2021 um Stellungnahmen, dennoch gibt es bereits jetzt eine interessante Botschaft für den Praxisalltag in der Apotheke: Für die Behandlung von Harnwegsentzündungen mit pflanzlichen Mitteln liegen die meisten Studiendaten für Cranberry-Präparate vor, das erklärte das IQWiG am 7. Oktober in einer Pressemitteilung. Das vorläufige Ergebnis der Datenauswertung zur Frage nach (pflanzlichen) Alternativen zu Antibiotika bei wiederkehrenden Blasenentzündungen lautet entsprechend:


Das Risiko, dass eine Blasenentzündung wiederkehrt, scheint durch den präventiven Einsatz von Cranberry-Präparaten zu sinken.“

IQWiG am 7. Oktober 


In der Leitlinie zu unkomplizierten, bakteriellen, ambulant erworbenen Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patient:innen wird Cranberry hingegen gar nicht erwähnt. Sie befindet sich aktuell allerdings in Überarbeitung und gilt noch bis Ende dieses Jahres. Hinsichtlich pflanzlicher Alternativen heißt es dort mit dem Empfehlungsgrad C („Kann“-Empfehlung) und Evidenzgrad Ib (einzelne RCT mit engem Konfidenzintervall): „Bei häufig rezidivierender Zystitis der Frau kann Mannose empfohlen werden. Alternativ können verschiedene Phytotherapeutika (z. B. Präparate aus Bärentraubenblättern (maximal 1 Monat), Kapuzinerkressekraut, Meerrettichwurzel), erwogen werden.“ Wie die DAZ erst kürzlich berichtete, stuft die europäische Arzneimittelbehöre EMA Bärentraubenblätter nur als „traditionelles pflanzliches Arzneimittel“ ein.

Auch in der HMPC-Monografie (Committee on Herbal Medicinal Products) der EMA zu flüssigen Cranberry-Zubereitungen (Vaccinii macrocarpi fructus), die am 5. Mai 2021 veröffentlicht wurde, ist lediglich vom „traditional use“ die Rede. Dort wird zwischen zwei Indikationen unterschieden:

  • Linderung der Symptome von leichten wiederkehrenden Harnwegsinfektionen bei Frauen ab 18 (50-80 ml viermal täglich)
  • Vorbeugung von wiederkehrenden unkomplizierten Harnwegsinfektonen bei Frauen ab 18 (15-80 ml zweimal täglich)

Während das IQWiG nun in der zuletzt genannten Indikation zur Vorbeugung zwar einen möglichen Nutzen erkennt, schreibt es aber auch zur erstgenannten Indikation: „Für die Wirksamkeit von Cranberry bei der Akutbehandlung von symptomatischen Episoden bei Frauen mit unkomplizierter wiederkehrender Blasenentzündung haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hingegen keine belastbaren Belege finden können.“

Wie das IQWiG erklärt, kann der präventive Einsatz von Cranberry-Präparaten bei Frauen mit unkomplizierter wiederkehrender Blasenentzündung vor allem deshalb sinnvoll sein, weil der präventive Einsatz von Antibiotika gemäß S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie nur in seltenen Fällen empfohlen wird. So heißt es dort wörtlich mit Empfehlungsgrad B („Sollte“-Empfehlung) und Evidenzgrad IV (Fallserien oder Kohorten- und Fallkontrollstudien minderer Qualität): „Bei häufig rezidivierender Zystitis der Frau sollte nach Versagen von Verhaltensänderungen und nicht-antibiotischen Präventionsmaßnahmen sowie bei hohem Leidensdruck der Patientin eine kontinuierliche antibiotische Langzeitprävention über 3 bis 6 Monate eingesetzt werden.“

Immunprophylaktikum statt pflanzlicher Prävention

Ob der präventive Einsatz von anderen Phytotherapeutika neben Cranberry sinnvoll sein kann, lasse sich aufgrund der sehr wenigen verfügbaren Daten nicht ausreichend beurteilen, meint das IQWiG. Laut Leitlinie gibt es aber noch weitere Alternativen zu Antibiotika. Mit Empfehlungsgrad B und Evidanzgrad Ia (Systematische Übersichtsarbeit (mit hohem Homogenitätsgrad) mit randomisierten klinischen Studien) heißt es dort: „Bei häufig rezidivierender Zystitis der Frau sollte vor Beginn einer antibiotischen Langzeitprävention das Immunprophylaktikum UroVaxom® (OM-89) oral über 3 Monate eingesetzt werden.“ UroVaxom® ist rezeptpflichtig und enthält als Wirkstoff pro Kapsel 6 mg Escherichia coli-Lysat. Mit der täglichen Einnahme über drei Monate soll laut Fachinformation das Immunsystem aktiviert werden („Grundimmunisierung“). Drei Monate später erfolgt nochmals eine „Intervallboosterung“. 

Das ebenfalls rezeptpflichitge Immunprophylaktikum StroVac® wird währenddessen nur – wie die Phytotherapeutika – mit dem Empfehlungsgrad C und Evidenzgrad Ib empfohlen. Laut Fachinformation handelt es sich dabei um einen Enterobakterienimpfstoff, der injiziert werden muss.

Die Frage nach der Dosierung und dem richtigen Präparat

Konkret beschäftigt sich der HTA-Bericht mit pflanzlichen Mitteln bei Frauen ab 16 Jahren. Insgesamt flossen 15 Studien in die Bewertung ein, dabei wurden neun Pflanzen untersucht. Die rechtliche Situation entsprechender Präparate und damit auch der Wirknachweis seien komplex, heißt es, da sie sowohl als pflanzliche Arzneimittel als auch als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet werden können. 

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Hinzu komme, „dass nicht alle der in der Nutzenbewertung untersuchten pflanzlichen Mittel kommerziellen, in Deutschland erhältlichen Produkten entsprechen“. Mehr als die Hälfte der Cranberry-Monopräparate seien nicht auffindbar, zu unklar beschrieben oder nicht (mehr) am Markt erhältlich. Gerade in der Apotheke wären solche spezifischen Informationen zu Präparaten jedoch essenziell für die Beratung. Und so steht auch im HTA-Bericht: „Qualitativ hochwertige Studien mit genauen Angaben zur Zusammensetzung der untersuchten Präparate würden klarere Aussagen zur Wirksamkeit und die Übertragbarkeit dieser Aussagen auf in Deutschland verfügbare Präparate ermöglichen.“ 

Zumindest darf man noch hoffen: Zwei derzeit laufende Studien zu Cranberry-Präparaten könnten laut IQWiG für diese Fragestellung noch relevante Daten liefern.

Cranberry bei Kindern?

Übrigens gibt es seit August 2021 eine neue Leitlinie zu Hanrwegsinfektionen im Kindesalter. Dort wird Cranberry im Gegensatz zur Erwachsenenleitlinie immerhin erwähnt: Zwar beschreibt die Leitlinie auch relativ vielversprechende Studien, insgesamt lautet das Fazit dann jedoch, dass die Studienlage zu schwach sei, um eine evidenzbasierte Empfehlung abgeben zu können. Gerade Studien zur Dosis-Wirkungsbeziehung und zu verträglichen Tabletten- oder Kapselzubereitungen würden fehlen: „Die im Handel erhältlichen Produkte weisen stark unterschiedliche Zusammensetzungen und Konzentrationen auf.“

Den vorläufigen HTA-Bericht können Sie hier einsehen. Über dieselbe Seite können Sie eine Stellungnahme abgeben.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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