Kehrtwende?

Mediziner Stöcker stellt illegale Impfaktionen ein

03.12.2021, 16:45 Uhr

Winfried Stöcker ist Arzt und Gründer der Firma Euroimmun, ursprünglich stammt der 74-Jährige aus Sachsen. (c / Foto: IMAGO / Future Image) 

Winfried Stöcker ist Arzt und Gründer der Firma Euroimmun, ursprünglich stammt der 74-Jährige aus Sachsen. (c / Foto: IMAGO / Future Image) 


Der Lübecker Mediziner Winfried Stöcker entwickelte einen Corona-Impfstoff, testete ihn an Freiwilligen und ließ heimliche Impfaktionen durchführen. Während in Sachsen schätzungsweise tausende das Antigen erhielten, beendete die Polizei in Lübeck am vergangenen Wochenende eine solche Impfaktion. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit Monaten gegen Stöcker, der klinische Studien bisher verweigerte und stattdessen die Bauanleitung für sein Antigen im Internet zur Verfügung stellte. Nun legt er eine Kehrtwende hin.

Manchmal geht alles ganz schnell. Noch am Mittwochmorgen forderte Professor Winfried Stöcker öffentlich die Zulassung seines Impfstoffs „LubecaVax“. Im Interview mit der „Ostseezeitung“ sagte der 74-jährige Laborarzt, rund 20.000 Menschen seien bereits mit seinem Vakzin geimpft. Statt eine Impfpflicht zu diskutieren, solle die Politik „jetzt lieber die Impfstoff-Zulassung durch das Paul-Ehrlich-Institut entbürokratisieren. Das dauert alles viel zu lange, gewissermaßen tödlich lange. Und dann sollte man schnell auch meinem Impfstoff die behördliche Zulassung erteilen. Sein Nutzen ist doch längst erwiesen.“ Im Laufe des Tages erklärte Stöcker dann auf seiner Internetseite: „Bitte lassen Sie sich mit den staatlich empfohlenen Präparaten impfen, sofern Sie tagesaktuell noch keinen Immunschutz aufweisen. Ich will niemanden dazu verleiten, die aktuell gebotene Schutzimpfung zu verschieben und werde aus diesen Gründen bis zum Ende dieses Notstandes in Deutschland meine Aktivitäten in dieser Richtung einstellen.“

Der Deutsche Bundestag habe beschlossen, so Stöcker weiter, „die Bürger unseres Landes einem Impfzwang zu unterwerfen“. Angesichts der katastrophalen Entwicklung der Corona-Pandemie sei das eine richtige Entscheidung. Die Gefahr, die aktuell von der Pandemie ausgehe, sei größer als die Risiken, die mit der Verabreichung der zugelassenen Impfungen verbunden seien. „Jetzt haben wir keine Zeit, auf eine ideale Impfung wie LubecaVax zu warten, die nach meiner Überzeugung ein günstigeres Nutzen-Risiko-Verhältnis bietet, oder sich über unfähige Behörden zu beschweren. Wir befinden uns bildlich gesprochen in einem Kriegszustand mit dem Coronavirus. Da hat es keinen Sinn, einer noch nicht zugelassenen Wunderwaffe entgegenzusehen, egal weshalb sie noch nicht verfügbar ist“, erklärte Stöcker.

Woher sein Sinneswandel rührt, bleibt unklar. Am vergangenen Samstag hatte es am Lübecker Flughafen eine illegale Impfaktion mit einem „offensichtlich nicht zugelassenen Impfstoff“ gegeben, die die Polizei auflöste. „Zirka 150 Impfwillige hielten sich in der Abfertigungshalle auf. Die Impfungen erfolgten in einem zu diesem Zweck hergerichteten Büroraum“, teilte die Polizei mit. „Zur Sicherung des Ermittlungsverfahrens wurden Impfproben, genutzte Spitzen sowie Impflisten sichergestellt. Von den anwesenden Personen wurden die Personalien festgestellt.“ 

Gegen Stöcker laufen unabhängig von dem aktuellen Vorfall bereits Verfahren. Die Staatsanwaltschaft Lübeck teilte im Juni mit, gegen Stöcker zu ermitteln. Sie führt, so hieß es damals auf Nachfrage, aufgrund inhaltsgleicher Strafanzeigen des Landesamtes für soziale Dienste in Lübeck und des Paul-Ehrlich-Instituts seit Ende Oktober 2020 ein Ermittlungsverfahren gegen Stöcker wegen des Anfangsverdachts von Straftaten nach §§ 95 und 96 des Arzneimittelgesetzes. „Er soll ohne die erforderliche Erlaubnis ein SARS-CoV-2-Antigen hergestellt und in der Folgezeit sich selbst und anderen Personen verabreicht haben, ohne dass er über die dafür erforderlichen Genehmigungen verfügt hätte. Während der Ermittlungen hinzutretende neue Umstände werden jeweils in die Ermittlungen einbezogen und zu gegebener Zeit einer juristischen Bewertung unterzogen“, sagte der zuständige Oberstaatsanwalt Christian Braunwarth.

Stöckers Anwalt Kubicki hüllt sich in Schweigen

Am vergangenen Donnerstag erklärte die Lübecker Staatsanwaltschaft auf Nachfrage von DAZ online, die Ermittlungen gegen den Mediziner stünden im ersten anhängigen Verfahren kurz vor dem Abschluss, wahrscheinlich werde Anfang kommenden Jahres eine Entscheidung bekannt gegeben. Wie vor diesem Hintergrund Stöckers Erklärung, seine Impfaktionen einzustellen, einzuordnen ist, sei jedoch nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft, sagte die Sprecherin. Von Stöckers Anwalt, dem FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, gibt es keine Informationen. Sein Büro erklärte auf telefonische Nachfrage, „Herr Kubicki äußert sich dazu nicht“. Presseanfragen ließ Kubicki auch in der Vergangenheit unbeantwortet.

Winfried Stöcker ist Arzt und Gründer der Firma Euroimmun, ursprünglich stammt der 74-Jährige aus Sachsen und tritt dort auch anderweitig als Investor auf. Kurz nach Beginn der Corona-Pandemie, im Frühjahr 2020, unternahm Stöcker einen Selbstversuch und spritze sich einen Corona-Impfstoff, der in seinem Labor entwickelt wurde. Auch Mitarbeiter und andere Freiwillige ließen sich das Antigen verabreichen. Durch die Substanz würden Antikörper gegen das Corona-Virus entwickelt, die Herstellung sei vergleichsweise einfach und kostengünstiger als bei den inzwischen auf dem Markt befindlichen Impfstoffen, so Stöckers Argumente. Für den medizinischen Ansatz interessierte sich anfangs auch der Virologe Christian Drosten, allerdings verweigert Stöcker klinische Studien. Ohne Studien kann sein Impfstoff nicht zugelassen werden. Stöcker kümmerte das offenbar wenig: Er stellte den Bauplan seines Antigens ins Internet – und setzte auf die Therapiefreiheit von Ärzten, sie können sich den Impfstoff selbst zusammenstellen.

In Sachsen traf Stöcker damit offenbar ins Schwarze. In seiner Heimat, dem Landkreis Görlitz kurz vor der Grenze zu Polen, hatte es im Sommer wiederholt heimliche Impfaktionen gegeben, Hunderte ließen sich seinen Impfstoff verabreichen, mindestens eine Ärztin half dabei. „Die Stimmung bei den Menschen aller Altersgruppen – vom Schulkind bis zum Senior – ist gut“, schrieb die Sächsische Zeitung damals. Dass die Impfaktion in dem Gebäude, „das die Einheimischen liebevoll Kulti nennen“, stattfindet, komme nicht von ungefähr: Die Stöcker Hotel GmbH, die unter anderem Essen für Schul- und Kitakinder in der Region kocht, habe es von der Gemeinde gepachtet und betreibe es, Stöcker habe Hausrecht. „Und so reihen sich die Impfwilligen in einem großen Bogen durch den Saal, wo Tische mit Servietten und Gläsern eingedeckt sind. Beim Blick auf die lange Schlange lächelt eine Frau in der Reihe beruhigend: ,Das geht schnell, letztens waren auch mindestens 50 Leute vor uns und wir waren in acht Minuten dran‘, sagt sie. Sie kommt zum dritten Mal.“ Laut Stöcker werde in der Regel dreimal geimpft. „Immunschwächlingen“, die nach drei Injektionen noch nicht ausreichend Antikörper gebildet haben, empfehle er eine vierte und fünfte Dosis. Zur Behandlung gehört demnach ein abschließender Antikörpertest, alles in allem für 60 Euro, schrieb die „SäZ“ mit Verweis auf Schilderungen von Patienten vor Ort.

Allerdings war es mit den heimlichen Impfaktionen im Spätsommer vorbei, nachdem Stöcker auch in Sachsen ein Fall für die Justiz geworden ist. Die Kriminalpolizei ermittelt seither „wegen des Verdachtes des Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz in Verbindung mit gefährlicher Körperverletzung“, teilte eine Sprecherin der Polizeidirektion Görlitz auf Nachfrage mit. „Ob sich auch ein Anfangsverdacht gegen weitere Beteiligte (wie impfende Ärzte, Anm.) ergibt, werden die Ermittlungen ergeben. Zu weiteren Details und dem aktuellen Stand können wir aus ermittlungstaktischen Gründen keine Auskünfte erteilen.“ Bis dahin hatte es gegen Stöcker in Sachsen lediglich Vorermittlungen gegeben.

Ärztekammer will berufsrechtlich gegen beteiligte Ärzte vorgehen

Die Impfaktionen beschäftigen auch die Sächsische Landesärztekammer. Pressesprecher Knut Köhler erklärte in Gesprächen, die impfenden Ärzte berufsrechtlich zur Verantwortung ziehen zu wollen. Allerdings habe ein strafrechtliches Verfahren zunächst Vorrang. Erschwerend komme hinzu, dass die impfenden Ärzte nicht namentlich bekannt sind. Zwar lasse sich deren Kreis geografisch eingrenzen, jedoch könne die Kammer die infrage Kommenden nicht auf bloßen Verdacht hin kontaktieren. Köhler verwies zudem an die für die Überwachung der Arzneimittelherstellung durch Ärzte, Zahnärzte und Heilpraktiker zuständige Aufsichtsbehörde. In Sachsen ist das die Landesdirektion.

Von dort heißt es: „Dieser eng gesteckte Personenkreis darf Arzneimittel unter seiner unmittelbaren fachlichen Verantwortung zum Zwecke der persönlichen Anwendung bei seinen Patienten herstellen. Hierfür sind weder eine Herstellungserlaubnis, noch eine formelle Zulassung oder Genehmigung erforderlich.“ Die Herstellenden seien jedoch verpflichtet, ihre Tätigkeit bei der Landesdirektion Sachsen anzuzeigen. Die Anzeigen würden dann auf Übereinstimmung mit den derzeit geltenden rechtlichen und fachlichen Vorgaben, etwa dem Europäischen Arzneibuch, geprüft. Besteht der begründete Verdacht, „dass das hergestellte Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch eine schädliche Wirkung hat, so kann die Landesdirektion Sachsen die Anwendung dieses Arzneimittels untersagen und bei bereits erfolgter Verabreichung eine Strafanzeige bei der zuständigen Staatsanwaltschaft stellen.“

Über die Vorgänge in Sachsen sei die Landesdirektion durch einen Beitrag in den Lübecker Nachrichten informiert worden. „Zwei Ärzte, zwei Ärztinnen und eine Zahnärztin haben bei der Landesdirektion Sachsen die erlaubnisfreie Herstellung des Stöcker-Impfstoffs nach § 13 Abs. 2b Arzneimittelgesetz angezeigt“, sagte der Pressesprecher der Landesdirektion, Holm Felber, am gestrigen Donnerstag. „Die Betreffenden wurden darüber informiert, dass ihnen aufgrund der bei ihren jeweiligen Anzeigen fehlenden Nachweise über die Einhaltung der anerkannten pharmazeutischen Regeln nach § 55 Abs. 8 Arzneimittelgesetz die Herstellung des Stöcker-Impfstoffes von der Landesdirektion Sachsen untersagt wird, sofern die Mediziner und Medizinerinnen nicht verbindlich darauf von selbst verzichten.“ Diesen Verzicht hätten inzwischen alle fünf erklärt. Aber: „Zu einer Ärztin aus unserem Zuständigkeitsbereich ist uns bekannt, dass sie Stöcker-Impfstoff bereits verabreicht hat.“ Der Fall sei noch in Prüfung, „über das weitere Vorgehen ist noch nicht abschließend entschieden“.

Stöcker hat derweil einige Befürworter. Der Wirtschaftsrat der sächsischen CDU lud den Unternehmer im Mai zu einer „Web-Konferenz“ ein, an der auch Sachsens KV-Vorsitzender Klaus Heckemann teilnahm. Der Verband sprach zwar selbst von einer „brisanten Veranstaltung“, erklärte aber auch: „Vor allem, wenn es um ,Mutationen‘ geht, so ist das Immunisierungsverfahren von Prof. Dr. Winfried Stöcker sehr gut geeignet, den Immunisierungsschutz auf relativ einfache Weise zu erreichen und diesen schnell anzupassen; im Übrigen mit weniger Risiko für Schwangere und Kinder. Sein Antigen plus ein Adjuvans führen zu einem Impfstoff, der vor Ort in der Hausarztpraxis hergestellt und verimpft werden kann und darf. Das ist nach Meinung von Prof. Stöcker ein ärztliches Grundrecht.“ Es „existieren verschiedene Länder, welche die Immunisierung mit dem Stöcker-Antigen gern in Anspruch nehmen möchten. Deutschland gehört leider nicht dazu.“

Unterstützung kommt von der AfD

Noch deutlicher positioniert sich Sebastian Wippel, der Polizeibeamte aus Görlitz sitzt für die AfD im sächsischen Landtag. Auf seiner Internetseite ruft er dazu auf, Stöcker zu unterstützen. „Im Gegensatz zu großen internationalen Pharmaunternehmen hat es ihm nie am Profit gelegen. Das hat er bereits recht früh klargestellt, indem er die Rezeptur seines Impfstoffs der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt hat! Doch seitdem er sowohl sich selbst als auch mehrere Freiwillige mit seinem Impfstoff behandelt hat, werden ihm fortan Steine in den Weg gelegt. (…) Anstatt seine Bemühungen zu honorieren, wird er seitdem mit Vorwürfen und Denunziationskampagnen konfrontiert.“

Auch das Ostsachsen-TV warb für seinen Impfstoff und unterstützt bis heute eine entsprechende Petition. Die Petenten wollen mit der Stöcker-Substanz als geimpft gelten. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Stöcker scheinen David Vandeven vom Portal Ostsachsen-TV nicht zu interessieren: „Ermittelt wird jeden Tag gegen irgendjemanden“, sagte er der „Sächsischen Zeitung“. In der Petition gehe es ihm „um die Leute, die das Experiment unterstützt haben.“ Sie sollten Rechte als Genesene oder Geimpfte erhalten. Demnach werbe er nicht für den Impfstoff, sondern lediglich dafür, sich damit auseinanderzusetzen. „Dass es keinerlei wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit des Impfstoffs gibt? Dazu sagt Vandeven: ,Es ist nicht unsere Aufgabe, das zu hinterfragen‘.“



Anja Köhler, Freie Journalistin
redaktion@daz.online


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