Interview mit Medizinrechtler Effertz

Darum sollten Apotheker sich beim Impfen gegen COVID-19 noch gedulden

Stuttgart - 23.12.2021, 11:15 Uhr

Dennis Effertz, Apotheker und Medizinrechtler, gibt einen Überblick über die rechtlichen Aspekte des neuen Impfservice in der Apotheke. (c / Foto: lubero / AdobeStock)

Dennis Effertz, Apotheker und Medizinrechtler, gibt einen Überblick über die rechtlichen Aspekte des neuen Impfservice in der Apotheke. (c / Foto: lubero / AdobeStock)


Berufsrecht steht Impfen nicht entgegen

Stichwort Berufsrecht. Da gab es auch dieses Mal Bedenken …

Ich habe das ebenfalls rausgehört. Insbesondere für Kammerbezirke, die keine „Öffnungsklausel“ in die Berufsordnungen aufgenommen haben, um die Modellvorhaben zur Grippeschutzimpfung zu ermöglichen, gab es Bedenken. Teilweise wurde gar berichtet, dass der Gesetzentwurf in der Initiativfassung des § 20b IfSG explizit darauf hinweisen würde, dass das Impfen nur erlaubt sei, wenn Berufsrecht dem nicht entgegenstünde. Ich sehe allerdings überhaupt kein Problem.

Weil Sie die Schutzimpfung der Prävention und nicht der Heilkunde zuordnen?

Keineswegs! In diesem Fall würde ich ausdrücklich davon ausgehen. Denn entgegen der damaligen Situation sprechen wir bei SARS-CoV-2-Impfungen über eine der wenigen Tätigkeiten mit gesetzlichem Arztvorbehalt. Das ergibt sich aus § 20 IfSG. § 20b IfSG stellt eine derzeit bis zum 31. Dezember 2022 befristete Ausnahme von diesem Grundsatz dar. Dennoch erkenne ich keine Kollision mit dem Kurierverbot:

Fangen wir einmal mit der angeblichen Formulierung im Gesetz an. Eine solche existiert in § 132j SGB V für die Grippeschutzimpfungen, nicht aber in § 20b IfSG. Man findet eine entsprechende Anmerkung lediglich in den Gesetzesmaterialien, welchen für sich genommen allerdings keine rechtliche Wirkung beikommt. Wollte man eine solche Regelung nun in das Gesetz „hineininterpretieren“, so stünde man vor dem Problem, dass der Gesetzgeber in der Vergangenheit bereits ausdrücklich eine solche Formulierung verwendet hat, wenn er eine solche für erforderlich erachtet hat. Und selbst wenn das gelingen sollte – wobei die Frage erlaubt sei, wer die aktuellen Entwicklungen überhaupt verhindern wollen würde –, so beinhaltet überhaupt nicht jede Berufsordnung ein entsprechendes Verbot. Daneben existieren die Öffnungsklauseln als Ergänzungen, die in der Regel so formuliert sind, dass die Ausübung der Heilkunde so lange verboten ist, wie nicht eine gesetzliche Erlaubnis zugrunde liegt. Letztere haben wir unter den Voraussetzungen des § 20b IfSG allerdings zweifelsohne. Fehlte es auch an einer solchen Regelung, verweise ich immer gerne auf die Tatsache, dass Berufsordnungen zwar Verbote verschärfen können, nicht aber gesetzlich erlaubte Tätigkeiten verbieten. Insofern hatte ich bereits damals darauf hingewiesen, dass selbst die Öffnungsklauseln grundsätzlich nicht erforderlich gewesen wären. Zu guter Letzt stelle ich dann immer die Frage, für wie wahrscheinlich man es hält, dass es sich die Kammern trauen würden, ein berufsrechtliches Verfahren einzuleiten, wenn sich standespolitisch die einmalige Chance eröffnet, getragen vom politischen Willen, als „Retter in der Not“ aufzutreten.

Kommen wir zurück zu den Qualifikationsschulungen. Stand heute warten wir noch immer auf das Mustercurriculum der BAK. Trotzdem existieren bereits einige Fortbildungsangebote. Worauf müssen interessierte Kollegen achten?

Auch das ist ein spannendes Thema. Wie bereits angesprochen, überschlagen sich praktisch täglich die Ereignisse. Dass dann auch einige Schulungsanbieter nicht warten wollen, ist nachvollziehbar. Ich selbst wirke bereits in entsprechenden Fortbildungen mit. Um es vorwegzunehmen: Wer hundertprozentige Sicherheit will, dass seine Schulung als Qualifikationsnachweis von den Kammern anerkannt wird, der sollte auf entsprechend zertifizierte Angebote warten. Aber: ich persönlich bin der Meinung, dass wir in dem Tempo dann „bereit“ sind, wenn alles vorbei ist. Zudem sehe ich auch dieses Thema viel unproblematischer, als die meisten Kollegen.

Aber im Zweifel muss ich eine Schulung doch dann wiederholen und investiere im Zweifel unnötige Zeit und Geld.

Man muss meines Erachtens unterscheiden, worüber wir sprechen und wo die Risiken lauern. Der Gesetzgeber fordert ärztlich geleitete Schulungen, die insbesondere Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten vermitteln zu Aufklärung und Einwilligung, (Impf-)Anamnese zwecks Ausschluss von akuten Erkrankungen und Allergien sowie Kontraindikationen, weitere Impfberatung sowie Kenntnis und Durchführung von Notfallmaßnahmen. Daneben überträgt er der BAK die Verantwortung für ein Mustercurriculum. Die BAK selbst sagt, dass sie sich eng an das Curriculum zu den Grippeschutzimpfungen anlehnen will. Das ist mit Blick auf die Tätigkeit und die behandlungsvertraglichen Aspekte (Aufklärung, Einwilligung, etc.) auch nachvollziehbar. Und weil es eben nicht völlig unerwartet ist, was da kommt, traue ich den etablierten Anbietern auch zu, ihr Programm so aufzustellen, dass sich letztlich kein relevantes Delta ergeben dürfte. Sollte dennoch etwas fehlen, gehe ich davon aus, dass der jeweilige Anbieter die Inhalte „nachschieben“ wird. 

Zudem sollte man bedenken, dass es sich um ein „Muster“-Curriculum handelt. Der Gesetzgeber wendet diesen Begriff meines Erachtens bewusst, denn er hätte auch für mehr Verbindlichkeit sorgen können, indem er eben nicht von „Muster“ spricht – hat er aber nicht. Ich sehe daher in jeden Fall Gestaltungsspielraum, auch von den Inhalten abzuweichen, sodass strafrechtlich kaum ein Risiko ersichtlich ist. Was bei der ganzen Diskussion meines Erachtens aus den Augen verloren wird, ist nicht, dass sich alle Inhalte auf Spiegelstrichebene in irgendwelchen Curricula  wiederfinden. Vielmehr müssen Theorie und Praxis des Impfens tatsächlich beherrscht werden. Denn die Unterschreitung des fachlichen Standards wäre als Behandlungsfehler zu klassifizieren. Daher scheint mir vielmehr die Anerkennung der Qualifikation der Schulungen zu den Grippeschutzimpfungen jedenfalls trügerisch.

Sie wollen sagen, dass Apotheker mit der „Impfqualifikation“ möglicherweise schlechter dastehen kann als jemand, der eine nicht zertifizierte SARS-CoV-2-Schulung absolviert hat?

In Bezug auf die zivilrechtliche Haftung ist das genau das, wofür ich sensibilisieren möchte. Der Gesetzgeber schweigt in § 20b IfSG zu einer Zertifizierungs-/ oder Akkreditierungsfplicht. § 630a BGB hingegen ist sehr eindeutig und das Prinzip der Einhaltung des Fachstandards in der Arzthaftung etabliert. Insofern würde ich mir mehr Gedanken darum machen, wie ich insbesondere als „Neuling“ praktische Erfahrung sammeln kann (zum Beispiel durch eine Hospitation) oder wie ich als Teilnehmer der bisherigen Modellprojekte mein Wissensdelta zu Corona-Impfungen insbesondere in Bezug auf die Aufklärung schließe. Denn im Schadensfall sind Leitlinien – wie das BAK-Curriculum – zwar nicht unerheblich, aber eben nicht der hier relevante Standard. Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang, diese Aussage nicht auf die STIKO-Empfehlungen zu beziehen. Hier kann der Begriff der „Empfehlung“ fehlleiten. Denn es ist höchstrichterlich anerkannt, dass diese im Bereich des Impfens den relevanten Standard darstellen. Auch hieraus ergibt sich mein Rat sich auf Theorie und Praxis der ordnungsgemäßen Durchführung zu konzentrieren, was in diesen Zeiten beinahe einer täglichen (Kurz-)Fortbildungspflicht gleichkommt.



Martina Schiffter-Weinle, Apothekerin
redaktion@daz.online


Dr. Dennis A. Effertz, LL.M., Apotheker und Jurist
redaktion@daz.online


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