Kritik von AVNR-Vorstand Thomas Preis

„Neuer Tarifvertrag wird die Personalnot nicht lösen“

Stuttgart - 13.01.2022, 07:00 Uhr

Aus Sicht von Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein (AVNR), führt der neue Tarifvertrag zu mehr Apothekenschließungen. (s / Foto: Schelbert / DAZ)

Aus Sicht von Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein (AVNR), führt der neue Tarifvertrag zu mehr Apothekenschließungen. (s / Foto: Schelbert / DAZ)


Mehr Geld für Apothekenangestellte – eine bessere Nachricht zum Jahresauftakt könnte es aus Sicht von Adexa wohl nicht geben. Vergangene Woche hatte sich die Apothekengewerkschaft mit dem Arbeitgeberverband ADA auf einen dreistelligen Sockelbeitrag für alle Berufsgruppenjahre geeinigt – und für das nächste Jahr ist eine weitere Gehaltserhöhung um drei Prozent vorgesehen. Thomas Preis, Vorstandschef des Apothekerverbandes Nordrhein, befürwortet zwar eine angemessene und leistungsgerechte Bezahlung von Mitarbeitenden, doch gegen das „Gießkannenprinzip“ führt er grundsätzliche Bedenken auf.

Die Apothekengewerkschaft Adexa und der Arbeitgeberverband Deutscher Apotheken ADA haben sich in der vergangenen Woche auf einen neuen Gehaltstarifvertrag für Apothekenmitarbeiter:innen geeinigt. Die Mitgliederversammlung des ADA stimmte diesem am 5. Januar zu. Nun dürfen sich Apothekenmitarbeiter:innen in diesem Jahr über ein Gehaltsplus von 200 Euro, PKA sogar über 225 Euro freuen – rückwirkend zum 1. Januar. 2023 wird dann noch einmal erhöht. Vereinbart wurde ein weiteres Gehaltsplus um drei Prozent. Adexa-Vorstand Andreas May erklärte per Mitteilung: „Es ist für alle Apothekenangestellten nach zwei anstrengenden Pandemiejahren wichtig, dass jede und jeder eine ordentliche Schippe obendrauf bekommt. Das gilt insbesondere auch für die Berufsgruppen mit den niedrigeren Gehältern. Die prozentualen Erhöhungen, die sich durch den Sockelbetrag ergeben, liegen daher bei den PKA sogar im zweistelligen Bereich. Aber selbst bei den Approbierten in der höchsten Gehaltsstufe gibt es ein Plus von 4,6 Prozent!“ 

Im bisher geltenden Gehaltstarifvertrag lagen die ersten drei Berufsjahresgruppen der PKA unterhalb des Mindestlohns von 12 Euro. Die Motivation beider Vertragspartner war es demnach, dass die Apothekenberufe nicht zum Teil im Mindestlohnsektor angesiedelt sind und künftig mit anderen Berufen mithalten können. „Denn im branchenübergreifenden Wettstreit um Nachwuchs und um qualifizierte Fachkräfte zählen die tariflichen Gehälter mehr als eventuelle übertarifliche Zulagen der einzelnen Apothekenleitung. Klar ist: Nur mit guten Tarifverträgen können wir die öffentliche Apotheke als Arbeitsplatz attraktiver machen“, kommentieren Tanja Kratt, Leiterin der Adexa-Tarifkommission, und der ADA-Vorsitzende Thomas Rochell das Verhandlungsergebnis.

Thomas Preis, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein (AVNR), zeigt sich über die Anpassung weniger euphorisch. Der neue Gehaltstarifvertrag zwischen Adexa und ADA hat zwar keine unmittelbare Auswirkung auf den Kammerbezirk Nordrhein, da sich hier ein eigener Arbeitgeberverband – die TGL Nordrhein – mit Adexa am Verhandlungstisch trifft. Doch Preis befürchtet weitreichende Folgen. „Der neue Gehaltstarifvertrag wird sich erheblich auf die Apothekenlandschaft in Deutschland auswirken und zu hohen Belastungen der Betriebe führen“, erklärt Preis gegenüber der DAZ. „Wenn das so umgesetzt wird, dann droht eine Beschleunigung der Apothekenschließungen.“ Konsequenterweise müssten die Apotheken nun, so der AVNR-Chef, versuchen, die höheren Lohnkosten durch Preissteigerungen zu kompensieren. „In den Sortimentsbereichen, in denen das möglich ist, werden wir dies an unsere Kunden weitergeben müssen.“ Doch den größten Umsatzanteil der Apotheken machen die Fixhonorare der verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aus, und hier sieht der Verbandsvorsitzende große Herausforderungen auf die Apothekerschaft zukommen. Über ein Jahrzehnt seien die Fixhonorare von der Politik nicht angehoben worden. Bei Verhandlungen mit den Krankenkassen müssten Vertragspreise spürbar nachgebessert werden.

Apotheken im Daueralarmzustand

Doch selbst wenn die Betriebe es schafften, die Lohnerhöhungen aus eigener Kraft zu schultern, bleiben für den Vorstandsvorsitzenden des AVNR grundsätzliche Branchenprobleme bestehen: „Der neue Gehaltstarifvertrag wird die Personalnot nicht lösen.“ Der Fachkräftemangel sei in allen anderen Branchen ein eklatantes Problem. „Ich bin davon überzeugt, dass die allermeisten Apotheken ihre Angestellten bisher gut und angemessen bezahlt haben.“ Doch die Gewinnung von Nachwuchs sei eine große, wenn nicht sogar die größte Herausforderung für alle Apotheken in Deutschland. Mit Blick auf die andauernde Corona-Pandemie sieht Preis die Apotheken in einem Daueralarmzustand. Sie hätten bewiesen, dass sie aktiv und mit Erfolg zur Pandemiebewältigung beitragen. „Hier erwarte ich ein klares Signal und Bekenntnis vonseiten der Bundesregierung zu unseren engagierten Mitarbeitern.“ In diesem Zusammenhang hält er Prämienzahlungen des Staates direkt an die Angestellten für denkbar.

Preis sieht bessere Möglichkeiten für die Weiterentwicklung von Gehältern

Beim neuen Gehaltstarifvertrag hätte er es lieber gesehen, wenn prozentuale Aufschläge vereinbart worden wären. Denkbar wären für Thomas Preis auch Einmalzahlungen im Zusammenspiel mit prozentualen Aufschlägen gewesen. Auch tätigkeitsbezogene Tarifgruppen, wie sie bereits in anderen Gesundheitsfachberufen zu finden sind, hält er für eine gute Möglichkeit, Gehälter weiterzuentwickeln: „Hier im Arbeitgeberverband Nordrhein hat sich beispielsweise die eigene Tarifgruppe für Filialleitungen etabliert und bewährt.“ Das Gießkannenprinzip führe seiner Meinung nach dagegen nicht dazu, dass eine leistungsgerechte Bezahlung da ankommt, wo sie wirklich angebracht ist. Im Gegenteil: Eine leistungsgerechte Bezahlung finde bereits heute schon in jedem Betrieb individuell statt und sei unabhängig von Tarifabschlüssen.

Bei der letzten Jahreshauptversammlung des Arbeitgeberverbands TGL Nordrhein im Oktober 2021 waren der Fachkräftemangel und die Angestelltengehälter in den Apotheken ein großes Thema. Die damalige TGL-Vorsitzende Heidrun Hoch äußerte sich dazu folgendermaßen: „Guter Rat ist hier im wahrsten Sinne des Wortes wirklich teuer: Nur wenn dem pharmazeutischen Personal in den öffentlichen Apotheken Gehälter geboten werden, die mit denen anderer Berufe konkurrieren können, wird sich das Nachwuchsproblem lösen lassen.“ Geld sei zwar nicht alles, aber eine wesentliche Grundlage. Wenn junge Menschen sich für einen Beruf entscheiden, schauten sie nicht nur interessengerichtet, sondern sie informierten sich auch über Verdienstmöglichkeiten – erst dann nach den Arbeitsbedingungen.

Als Tarifpartner bei den Verhandlungen mit Adexa sind der TGL seit vielen Jahren die Hände gebunden: Der Fixaufschlag wurde in 17 Jahren nur ein einziges Mal, nämlich 2013, um 25 Cent erhöht, während die Kosten überproportional gestiegen seien. Zulagen für Nachtdienst, Rezeptur und Botendienst hätten die Teuerungsrate nicht kompensieren können. „Vielmehr hat uns der Gesetzgeber mit zusätzlichen Dienstleistungen oder bürokratischen Vorgaben weiter belastet“, so Heidrun Hoch.

Als einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma stellte die damalige TGL-Vorsitzende einen Basis- oder Sockelbetrag ins Spiel. Dieser könnte da eingesetzt werden, „wo es nötig erscheint“. Dazu zählt sie auch leistungsbezogene Gehaltsanteile und die Implementierung von Fort- und Weiterbildungsmodulen.

Außerdem formulierte Hoch auf der Jahreshauptversammlung im Oktober einen weiteren Denkansatz mit „Außenwirkung“. So gut wie alle Apotheken zahlten inzwischen „über Tarif“, was außerhalb der Branche aber so gut wie keiner wisse. „Hier könnten wir einen positiven Effekt erreichen, wenn wir die tarifliche Tabelle an die tatsächlich gezahlten Löhne schrittweise annähern würden“, schlug Hoch vor. Das ginge jedoch nur, wenn zeitgleich übertarifliche Anteile in gleicher Weise zurückgefahren werden. Von diesem Vorschlag verspricht sich Hoch, dass damit die Schere nach und nach geschlossen werden könnte und nicht weiter auseinandergehe. „Vielleicht wäre es tatsächlich klüger, sich ein wenig ‚ehrlicher‘ zu machen“, gibt sie zu bedenken. Dies habe man ohnehin schon bei den Zulagen für Filialleiterinnen und -leiter ein Stück weit geschafft. „Zumindest haben wir die Erwartung herunterfahren können, dass auf tarifliche Vereinbarungen immer noch ein deutliches Schippchen obendrauf kommen muss!“



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@daz.online


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6 Kommentare

Weltfremd

von M. M. am 13.01.2022 um 22:09 Uhr

Herr Preis ist absolut weltfremd. Natürlich wird diese Erhöhung die Abwanderung nicht stoppen. Wenn man als PKA aber in einer Klinikapotheke, im Blisterzentrum oder im Vertrieb der Pharmahersteller statt 1800€ 2500€ verdient, dann wird jedem klardenkenden Menschen klar sein, wo es die Leute hinzieht. Zuletzt war man im Bezirk Nordrhein mit dem Anfangsgehalt der PKA bei etwa 11,30 Stundenlohn.
Der Schlag ins Gesicht der PKA erfolgte als die Erhöhung des Mindestlohns auf 12€/h kam. Man reisst sich den Allerwertesten also für den Mindestlohn auf. Um dann am Ende noch einen Nebenjob zu haben. Ein Traum!

Auch das "die Meisten" übertariflich zahlen würden ist einer guter Witz. Oft wird stattdessen ganz gönnerhaft nach Tarif gezahlt.

Man wundert sich über die Abwanderung des Personals? Selbst beim Lidl verdient man mindestens 12,50€/h. Wen wundert es noch?

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AW: Weltfremd

von PTA am 15.01.2022 um 19:32 Uhr

Herr Preis ist Vorstandschef des Apothekerverbandes Nordrhein und man gewinnt den Eindruck, dass er sich in seinem eigenen Kammerbezirk nicht auskennt. Im vergangenen Jahr hat Nordrhein 35 Apotheken verloren und als wichtiger Grund für diese Entwicklung ist der sich verstärkende Personalmangel ( PZ v. 13.1.22). Er spricht aber nur! davon, dass nunmehr Schließungen durch angemessene und leistungsgerechte Bezahlung der Mitarbeiter verursacht werden ( die bösen Mitarbeiter !!) .
Ist angemessen und leistungsgerecht - wenn man beim Lidl als ungelernte Kraft mehr verdient??


Der Typ hat doch... Ich bin stinksauer!

von Michael Reinhold am 13.01.2022 um 13:13 Uhr

Natürlich wird der neue Tarifvertrag das Personalproblem nicht lösen. Dazu hätten die Gehälter noch deutlich mehr erhöht werden müssen. Die 200 Euro sind der schlichte Ausgleich der 5 % Inflation zwischen 2020 und 2021 - da hat sich keiner so richtig nass gemacht.

Und hust, die zahlen einem Filialleiter lächerliche 600 Euro mehr und denken, dass ein Filialleiter damit adäquat bezahlt ist. Selten so gelacht.

Seine Einmalzahlungen kann er sich auch dahin stecken, wo die Sonne nie scheint. Eine Einmalzahlung bringt einem Angestellten nämlich ungefähr genauso wenig wie eine Einmalzahlung der Krankenkassen an den Betrieb Apotheke - sowas ist ein Tropfen auf dem heißen Stein; sowas ist nicht nachhaltig.

Und das "Gießkannenprinzip" lehnt er für die Angestellten ab. Gleichzeitig beführwortet er aber das "Gießkannenprinzip" für die Honorare der selbstständigen Apotheker - ich denke, dass er da erstmal bei der eigenen Baustelle aufräumen sollte.

Und jetzt soll die Tariferhöhung der Angestellten das "Apothekensterben" noch beschleunigen - geht es noch? Ich bin der Ansicht: Eine Apotheke, die man nur noch ausschließlich durch Lohndumping bei den Angestellten offen halten kann, ist es nicht wert, offen gehalten zu werden.
Bei Steuerberater, Lohnbüro, Versicherungen, Großhandelskonditionen, etc. werden die gestiegenen Kosten auf der Ausgabenseite ja auch stets klaglos akzeptiert - und den Kunden wirft man teilweise die Rabatte nur noch hinterher.

Der Apothekerverband Nordrhein hat nichts kapiert; aber so wirklich gar nichts.

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Personalnot

von Sven Köhler am 13.01.2022 um 12:49 Uhr

Kein Geld der Welt würde mich wieder in die Apotheke zurück holen.
Die Bezahlung war absolut nicht der ausschlaggebende Punkt!

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.

von Anita Peter am 13.01.2022 um 10:28 Uhr

„In den Sortimentsbereichen, in denen das möglich ist, werden wir dies an unsere Kunden weitergeben müssen.“

Welchen sind denn das bitteschön?

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Hilfreich ?

von Ulrich Ströh am 13.01.2022 um 8:40 Uhr

Herr Kollege Preis,
Ihr Vorschlag:
Prämienzahlungen des - Staates - , direkt an die Angestellten in den Apotheken,,,

Absurd oder machbar?
Für mich ersteres.

So lösen wir nicht den Fachkräftemangel in unseren Apotheken.

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