14. Zukunftskongress Öffentliche Apotheke

Arbeitsmarktforscher: Personalmangel wird „noch richtig heftig“

Düsseldorf/Münster - 21.02.2022, 17:50 Uhr

Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung, Hochschule Koblenz, bezeichnete sich selbst als „Überbringer einer schlechten Botschaft“. Hier in der ARD-Talkshow Günther Jauch in Berlin, 2015. (c / Foto: IMAGO / Müller-Stauffenberg)

Prof. Dr. Stefan Sell, Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung, Hochschule Koblenz, bezeichnete sich selbst als „Überbringer einer schlechten Botschaft“. Hier in der ARD-Talkshow Günther Jauch in Berlin, 2015. (c / Foto: IMAGO / Müller-Stauffenberg)


Aufwertung der Gesundheitsberufe wurde versäumt

Schon seit 2015 würden jedes Jahr über 300.000 Arbeitskräfte mehr aus dem Berufsleben ausscheiden als nachwachsen, doch der Rückgang werde noch viel stärker. Bisher werde dies durch Migration, längere Lebensarbeitszeit und mehr Arbeit von Müttern überkompensiert. Doch Letzteres sei „an die Decke gestoßen“ und werde künftig nicht mehr entlastend wirken. Im Gesundheitswesen und besonders in der Pflege treffe dieses Problem auf einen deutlich steigenden Bedarf an Arbeitskräften. Denn durch den demografischen Wandel werde die Zahl der Pflegebedürftigen massiv steigen. Zu diesem quantitativen Mangel komme das qualitative Defizit des jahrzehntelangen Stillstands bei der Reform der Gesundheitsberufe. Es sei versäumt worden, die strenge Ordnung mit dem Arzt an der Spitze aufzubrechen und andere Gesundheitsberufe aufzuwerten, beklagte Sell. In anderen Ländern sei das geschehen. In den USA gehöre die Pflege zu den beliebtesten Ausbildungsberufen. Außerdem sei Kooperation in den Gesundheitsberufen nötig, aber dies sei in Deutschland übersehen worden, so Sell. Zugleich mahnte er, der Import von Arbeitskräften sei ein Auslaufmodell. Denn wegen der demografischen Entwicklung in Osteuropa müsse man dabei „immer weiter ostwärts gehen“ und könne so nicht mehr genügend Arbeitskräfte gewinnen. Insgesamt folgerte Sell: „Es wird noch richtig heftig werden.“

Kritik der Ärzte ist „Kampf der Vergangenheit“

In der Diskussion ging es auch um die ärztliche Kritik an impfenden Apothekern. „Das sind die verlorenen Kämpfe der Vergangenheit“, erklärte Sell dazu und ergänzte: „Vergesst es!“ Sell mahnte, das Bewusstsein für den fundamentalen Wandel von „zu viel“ zu „zu wenig“ Arbeitskräften müsse in die Köpfe gelangen. Man dürfe nicht mehr fragen, „können die was wegnehmen“, sondern „wer macht es denn noch?“. Dies betreffe auch die Aufwertung der mittleren Berufe, beispielsweise PTA. Auch innerhalb der Pharmazie müsse die Erstarrung beendet werden. Qualifizierung und Weiterbildung müssten zu einer „neue Kultur mit Zwischenformen und Aufstiegsmöglichkeiten“ führen, forderte Sell.

Kaum mehr Geld für Apotheken

Die Veranstalter hatten Sells Vortrag vor der berufspolitischen Diskussion mit Politikern platziert. Auf der Grundlage des Vortrags forderte Gastgeber Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein, eine Erhöhung des Festzuschlags auf Rx-Arzneimittel, damit die Apotheken im Wettbewerb um Arbeitskräfte gute Gehälter bieten können. Doch die Politiker gingen darauf nicht ein. Die Diskussion zeigte, dass die Politiker die Leistungen der Apotheken zwar würdigen, aber angesichts der Haushaltsbelastungen durch die Pandemie kaum für zusätzliche Ausgaben bereit sind.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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