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In Westfalen-Lippe steht die Ampel noch immer auf Rot. Anfang Februar hatte sich der Apothekerverband gegen einen Beitritt zur standeseigenen Digitalgesellschaft Gedisa entschieden. In einer Talk-Runde der Apothekerkammer trommelten ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold, Gedisa-Aufsichtsratsvorsitzender Peter Froese und AKWL-Vorstand Hannes Müller nun erneut für das Plattformprojekt des Berufsstands. Kritische Stimmen fehlten in der Runde, wurden aber per Zuschauerfragen laut.
Im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) fand sich Anfang Februar keine Mehrheit für einen Beitritt zur standeseigenen Digitalgesellschaft Gedisa, weil weder Businessplan noch finaler Gesellschaftervertrag vorlagen. Diese Informationen fehlten jedoch auch, als sich die 16 anderen Apothekerverbände in den Wochen zuvor für das Projekt entschieden. Viele von ihnen beschlossen sogar, die erforderliche Sonderumlage in Höhe von 50 Euro pro Monat je Apotheke ohne ein Mitgliedervotum auf den Weg zu bringen. Gedisa soll unter anderem den Betrieb und die Weiterentwicklung des Verbändeportals übernehmen.
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Welche Bedenken hat man also in Westfalen-Lippe, die man in der restlichen Republik offenbar nicht teilt? Rund 2 Millionen Euro soll der AVWL innerhalb von drei Jahren beisteuern, insgesamt veranschlagt Gedisa derzeit einen Finanzbedarf in diesem Zeitraum von mindestens 35 Millionen Euro. Diese Kosten, so AVWL-Vorstandsvorsitzender Thomas Rochell auf der Mitgliederversammlung Anfang Februar, „haben sich im Laufe der Gespräche nach oben entwickelt“. Zunächst sei man von einem Finanzbedarf von 10 Millionen Euro ausgegangen, dann 20 Millionen Euro, letztlich stünden jetzt 35 bis 50 Millionen Euro im Raum. Ohne entsprechende Unterlagen und Perspektiven bewertet der AVWL-Vorstand das Vorhaben als ein unkalkulierbares, finanzielles Risiko für die eigenen Mitglieder.
Es knirscht in der Standesvertretung
Seitdem die Ampel für Gedisa in Westfalen-Lippe auf Rot steht, knirscht es in der apothekerlichen Standesvertretung. Hinter verschlossenen Türen wird dem AVWL die Pistole auf die Brust gesetzt und auf eine doch noch positive Entscheidung gedrungen. Auch innerhalb des Verbands formiert sich inzwischen Widerstand. Einzelne Mitglieder streben eine erneute Abstimmung über den Beitritt an und suchen seit Wochen Unterstützer für ihr Anliegen.
Die gestrige Ausgabe von „AKWL-TV“, einem Live-Talk-Format der Kammer Westfalen-Lippe, wurde eigentlich unter dem Titel „Wettbewerb um die letzte Meile: Apothekenportale, Lieferdienste, Apps und Co.“ angekündigt. Doch schnell war klar, dass es vor allem darum ging, die Verbandsmitglieder auf Gedisa und das standeseigene Plattformprojekt einzuschwören. Andere, bereits seit längerem etablierte Initiativen, wie „Zukunftspakt Apotheke“ oder gesund.de, handelte man direkt zu Anfang in einer einzigen Online-Abstimmung ab.
Kritische Stimmen nur aus den Reihen der Zuschauer
An diesem Abend stand Gedisa im Mittelpunkt und dafür waren starke Fürsprecher eingeladen: ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold, Gedisa-Aufsichtsratsvorsitzender Peter Froese und Hannes Müller, der im Vorstand der Kammer Westfalen-Lippe sowie der Bundesapothekerkammer aktiv ist. Kritische Stimmen fehlten in der Runde, doch wurden in entsprechende Zuschauerfragen laut, die Moderator Matthias Bongard den Diskussionsteilnehmern stellte. So viel vorab: Einen Businessplan und die Vorstellung konkreter Gedisa-Produkte blieb die Runde den Apothekerinnen und Apothekern auch an diesem Abend schuldig.
Gedisa statt der „liebevolle Dritte“
ABDA-Digitalexperte Froese, zugleich Aufsichtsratsvorsitzender von Gedisa, erklärte eingangs das Grundproblem des „liebevollen Dritten“. Apotheken könnten digitale Services nicht selbst erschaffen oder anbieten. Sie bräuchten Dritte, die für sie Plattformen bauen und betreiben. „Und die wollen Daten, sehr viele Daten, und Geld, Ihr Geld!“ Außerdem gebe es eine weitere verhängnisvolle Entwicklung in der Digitalisierung: „Ihre Kunden werden irgendwann die Kunden des Dritten. Und dieser Dritte hat die Freiheiten, mit Ihren Kunden zu tun, was er möchte.“
Als mahnendes Beispiel nannte Froese das Verhältnis zwischen Amazon und Amazon-Händlern. Die Konsequenz: „Wir müssen möglichst viele Dienste selber betreiben.“ Auch wenn das Risiko bestehe, Geld zu verlieren: „19.000 Schultern können dieses Risiko tragen“, so Froese im Hinblick auf die aktuelle Apothekenzahl in Deutschland. Er glaube an das standeseigene Plattformprojekt. Geld einsammeln und etwas gemeinsam aufbauen, das würden Menschen schon seit Jahrhunderten erfolgreich praktizieren.
Wo will Gedisa mit dem Verbändeportal hin?
Auf kritische Zuschauerfragen fand Froese keine konkreten Antworten. Welche Dienste denn von Gedisa entwickelt werden sollen, wollte ein Apotheker erfahren. Daraufhin Froese: Aufbauend auf das schon jetzt verfügbare, webbasierte DAV-Portal, wolle man beispielsweise den Kommunikationsdienst und weitere Funktionen für Apothekenkunden ausbauen. Doch jede weitere Schilderung hält Froese für gefährlich, weil diese Informationen „mit Sicherheit irgendwo aufgesogen werden“ und dann von konkurrierenden Plattformanbietern umgesetzt würden. Wann man mit ersten Funktionen rechnen könne, war eine andere Nachfrage. Sobald die Zeit dafür gekommen sei, so Froese, und weiter: „In drei Jahren wissen wir mehr.“ Das DAV-Portal sei bei der Apothekensuche und der Ausstellung der Impfzertifikate äußerst erfolgreich und der Betrag pro Apotheke eher schmal.
Arnold: Sind wir Maus oder Mungo?
ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold formulierte sein Plädoyer für Gedisa in Form eines Gleichnisses aus der Tierwelt. Die Digitalisierung als gefährliche Schlange: Statt wie eine Maus nur zu starren, hätte die Apothekerschaft die Wahl, sich bei der Katze Hilfe zu suchen oder selbst zu einem Mungo zu werden. Bei der Katze bestehe das Risiko, dass diese bei der Zähmung der Schlange streike oder selbst zur Gefahr für die Maus werde. Also wäre man besser beraten, die Rolle eines schlangenbezwingenden Mungos zu übernehmen.
Laut Arnold seien die Apothekerinnen und Apotheker also in einer schlechten Position, lediglich auf den Dritten zu warten. Vielmehr solle die eigene Zukunft selbst gestaltet und beherrscht werden, Technik sei nicht unabwendbar und Gott gegeben. Technik und Ideen müssten aktiv genutzt werden.
„Überall dabei zu sein, verschwendet Energie“
Ein Apothekeninhaber fragte Arnold, was er davon halte, dass im Zusammenhang mit Gedisa kein Businessplan oder Gesellschaftervertrag existiere, die man den Verbandsmitgliedern hätte vorlegen können, als es um die Frage des Beitritts ging.
Der ABDA-Vizepräsident versicherte dem Zuschauer, dass man den Landesverbänden alle Informationen präsentiert habe, die man auch in Berlin kenne. Die Aufstellung eines Businessplans für dieses Vorhaben sei praktisch unmöglich. Wer hätte voraussagen können, dass die Apothekerschaft beispielsweise mit der Ausstellung digitaler Impfzertifikate betraut werden würde, fragte Arnold. Viele Entwicklungen – sowohl im positiven als auch im negativen Sinne – seien nicht absehbar und damit für die Apothekerschaft nicht prognostizierbar. Arnold wünscht sich bei Digitalprojekten offenbar mehr Flexibilität und Risikofreude im Berufsstand. „Bill Gates hatte vor 25 Jahren auch keinen Businessplan.“ Ein unternehmerisches Risiko sei ähnlich wie bei der Selbstständigkeit auch hierbei nicht auszuschließen. „Minutiös kann man nicht alles vorhersagen. Aber wir können die Rahmenbedingungen und Werkzeuge gestalten.“
Dass dies möglich sein kann, habe die Apothekerschaft schon beweisen können. So hätte man mit der ABDA-Datenbank einen branchenübergreifenden Standard geschaffen. Mit der Verbändelösung könne man nun gemeinsam für den Erhalt des Systems Apotheke kämpfen.
Viele Apotheken nutzen derzeit mehrere Plattformen
Die Rolle des jungen Apothekeninhabers in der Runde übernahm Hannes Müller, Vorstandsmitglied der Apothekerkammer Westfalen-Lippe sowie der Bundesapothekerkammer. Moderator Bongard stellte fest, dass Müller zu Beginn der AKWL-TV-Reihe vor zwei Jahren noch im Angestelltenverhältnis stand und sich inzwischen für die Selbstständigkeit entschieden hat. Angesprochen auf den Unterschied junger und älterer Apothekergenerationen, erläuterte Müller, dass er viel experimentierfreudiger sei, was das Angebot an digitalen Services angeht. Diese Tatsache spiegelte auch das Ergebnis einer Umfrage wider: Mehr als die Hälfte der befragten Apothekerinnen und Apothekern nutzen derzeit demnach drei bis vier Plattforminitiativen. Doch „überall dabei zu sein, verschwendet Energie“, so Müller. Daher plädiere auch er dafür, sich von Anfang an auf den Gewinner zu fokussieren: „Wir müssen das befördern, was uns am besten tut.“
Und das war an diesem Abend unübersehbar und unüberhörbar die standeseigene Digitalgesellschaft Gedisa mit ihren Plattformplänen, die man öffentlich noch nicht konkretisieren will. Inwiefern sich mit diesen Impulsen die Meinungsbildung in Westfalen-Lippe verändert hat, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Eine Ampel steht bekanntlich auch vor Baustellen nicht ewig auf Rot.
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