BAH-Faktenblatt

Selbstmedikation – der Apotheker als Lotse

Berlin - 13.04.2022, 10:45 Uhr

Ob Erkältung oder Fußpilz: Viele vergleichsweise leichte gesundheitliche Probleme lassen sich gut in der Selbstmedikation behandeln. (Quelle: ABDA)

Ob Erkältung oder Fußpilz: Viele vergleichsweise leichte gesundheitliche Probleme lassen sich gut in der Selbstmedikation behandeln. (Quelle: ABDA)


Die Selbstmedikation hat laut einem kürzlich veröffentlichten Faktenblatt des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) einen hohen gesundheitsökonomischen Nutzen – und das Potenzial sei noch längst nicht ausgeschöpft. Unerlässlich ist dabei aus Sicht des Verbands die Beratung in den Apotheken, die sich während der Coronakrise erneut als wichtige Säulen der Gesundheitsversorgung hierzulande bewiesen haben.

Mehr als 60 Prozent der Menschen in Deutschland haben laut den Ergebnissen einer Umfrage des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) im Jahr 2021 rezeptfreie Arzneimittel verwendet. „Selbstmedikation ist der Ausdruck einer aktiven Beteiligung des Menschen an seinem individuellen Heilungsprozess und seiner Gesunderhaltung“, schreibt der Verband jetzt in einem Faktenblatt zum Thema Selbstmedikation.

Dabei spielen dem Papier zufolge die Apotheken eine wichtige Rolle: Sie beraten zu den Möglichkeiten, aber auch zu den Grenzen der Arzneimitteltherapie in Eigenregie. „Sie nehmen damit eine wichtige Lotsenfunktion zwischen eigenverantwortlicher Selbstbehandlung, ärztlich begleiteter Selbstbehandlung sowie notwendiger ärztlicher Therapie wahr“, schreibt der BAH. Durch den breiten, regulierten, aber niedrigschwelligen Zugang in den Apotheken werde sichergestellt, dass die Menschen in der großen Angebotsvielfalt im Gesundheitsmarkt Orientierung, Sicherheit und Gewährleistung finden. „Dies ist praktizierter Verbraucherschutz.“

Ob bei Erkältung, Magen-Darm-Problemen, Heuschnupfen oder Fußpilz: Fast jede zweite Arzneimittelpackung, die im Jahr 2021 über die HV-Tische ging, war laut BAH nicht verschreibungspflichtig – bei einem Anteil am Arzneimittelumsatz der Apotheken von nur 10 Prozent. „Damit leisten diese Produkte einen erheblichen Beitrag für die Gesundheitsversorgung“, betont der Verband. Gerade während der COVID-19-Pandemie habe sich gezeigt, wie bedeutsam die Vor-Ort-Apotheke als Lotse im Gesundheitswesen ist. „Sie konnte sich vielfach als erste Anlaufstelle für Patienten aufgrund des eingeschränkten Zugangs zu Arztpraxen, Kliniken und Ambulanzen bewähren und dort Kapazitäten entlasten.“

Welchen Wert die Selbstmedikation hierzulande aus gesundheitsökonomischer und gesellschaftlicher Sicht hat, haben der Volkswirt Professor Uwe May und die Verwaltungsrechtlerin Cosmina Bauer jüngst für den BAH herausgearbeitet. Im Faktenblatt bezieht sich der Verband auf die Erkenntnisse der beiden Berater: Ihre Berechnungen zeigten, dass von den etwa eine Milliarde leichten Gesundheitsstörungen, die in Deutschland pro Jahr auftreten, bereits heute 355 Millionen Fälle in der Selbstmedikation anstelle eines Arztbesuchs behandelt werden. Das spare rund 134 Millionen Stunden ärztlicher Arbeitszeit ein, heißt es weiter. „Dies entspräche über 60.000 zusätzlichen ärztlichen Vollzeitarbeitskräften, die man bräuchte, wenn die Selbstbehandlung im gegenwärtigen Umfang nicht stattfinden würde.“

So viel Geld spart die Selbstmedikation der GKV

Selbstmedikation leiste somit einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag für die effiziente Nutzung der knappen Arztressourcen für schwerwiegendere Erkrankungen. Der Mehrbetrag des Einzelnen pro Selbstbehandlungsfall liegt nach BAH-Angaben bei netto 1,77 Euro bei einem Zeitgewinn von 136 Minuten durch den Wegfall von Weg- und Wartezeiten. „Gesamtgesellschaftlich setzt Selbstmedikation bereits heute GKV-Ressourcen im Wert von 16 Milliarden Euro pro Jahr frei und vermeidet 4,8 Milliarden Euro an volkswirtschaftlichen Produktivitätsverlusten.“

Potenziale der Selbstmedikation heben

Aus der Sicht des Herstellerverbands wird das Potenzial der Selbstmedikation allerdings noch lange nicht voll ausgeschöpft: Eine weitere Förderung von Selbstbehandlung mit rezeptfreien Arzneimitteln könnte zusätzliche Wirtschaftlichkeitsreserven von bis zu 3,7 Milliarden Euro für die GKV und 1,1 Milliarden Euro für die deutsche Volkswirtschaft realisieren, heißt es im Faktenblatt. „Hierfür bedürfte es einer zusätzlichen Substitution von Arztbesuchen durch die Selbstbehandlung in 82 Millionen Fällen selbst behandelbarer Erkrankungen. Das entspricht etwa einem Arztbesuch pro Einwohner, der vermieden werden könnte.“

Das solidarisch finanzierte Gesundheitssystem steht bereits jetzt unter erheblichen Kostendruck – dieser könnte sich nach Einschätzung des BAH in den kommenden Jahren sogar noch steigern. „Jedoch bestehen enorme Chancen durch Selbstmedikation die Mittel im Gesundheitswesen effizienter einzusetzen und volkswirtschaftliche Potenziale zu heben. Selbstmedikation ermöglicht es dem einzelnen Menschen, aktiv und eigenverantwortlich etwas für seine Gesundheitsversorgung zu tun. Daher sollte der Selbstmedikation zukünftig ein steigender Wert zuerkannt und ihre Rahmenbedingungen verbessert werden.“

Vier konkrete Forderungen stellt der Verband in diesem Zusammenhang auf:

Aus Sicht des BAH sind ...

• der regulatorische Rahmen für die wertvolle Vielfalt rezeptfreier Arzneimittel (chemische, pflanzliche, homöopathische und anthroposophische) nicht nur zu erhalten, sondern auch zu stärken, in dem z. B. die Regelungen zur Änderung von Zulassungen („Variations“) effizienter gestaltet werden,

• das Verfahren zur Entlassung aus der Verschreibungspflicht („Switch“) zu modernisieren und zu fördern,

• die Apothekenpflicht als eine wichtige Grundlage des niederschwelligen Zugangs zu wirksamen Therapien und individueller Beratung zu stärken und die Rolle der Apotheke als Ort der primären Gesundheitsversorgung weiter auszubauen,

• die Gesundheitskompetenz der Menschen zu fördern und dafür die Beteiligten im Gesundheitswesen (Ärzte, Apotheker und Hersteller) in ihrem gesetzlichen Auftrag, diese Informationen verantwortungsvoll bereitzustellen, zu unterstützen und nicht mehr als unbedingt nötig zu beschränken.

Quelle: BAH-Faktenblatt Selbstmedikation

Das vollständige Faktenblatt finden Sie hier auf der Website des BAH.



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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