Anhaltende Debatte

Verbessern Antidepressiva die Lebensqualität?

Stuttgart - 22.04.2022, 12:15 Uhr

Ein Experte mahnt angesichts einer neuen Studie zu Antidepressiva, dass sie keine eindeutige Schlussfolgerung für die Behandlung von Patienten habe. Deshalb sollten sie sich auf keinen Fall entmutigen lassen. (b/Foto: Maridav / AdobeStock)

Ein Experte mahnt angesichts einer neuen Studie zu Antidepressiva, dass sie keine eindeutige Schlussfolgerung für die Behandlung von Patienten habe. Deshalb sollten sie sich auf keinen Fall entmutigen lassen. (b/Foto: Maridav / AdobeStock)


Eine aktuelle Studie hat erneut die Frage aufgeworfen, inwieweit Antidepressiva (allein) wirklich die Lebensqualität Betroffener verbessern können. Während die konkrete Studie von Expertinnen jetzt stark kritisiert wird, halten einige davon die damit erneut angestoßene Debatte dennoch für sinnvoll. Sollte die nicht-medikamentöse Therapie in Zukunft einen noch höheren Stellenwert bekommen?

Auf der INTERPHARM 2020 erläuterte Prof. Dr. med. Thomas Herdegen, stellvertretender Direktor des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie an der Universität Kiel, anhand der Arzneimittelklasse der Trizyklika die Geschichte der psychiatrischen Erkrankungen: Erst 1950 synthetisierte der französische Chemiker Paul Charpentier in Lyon mit Chlorpromazin das erste Trizyklikum, was den Beginn der modernen Neuropharmakologie markiert haben soll. „Durch die Einführung der trizyklischen Neuroleptika konnten Patienten mit Schizophrenie und anderen psychiatrischen Erkrankungen zwar nicht geheilt werden; es wurde jedoch möglich, sie auch außerhalb geschlossener Anstalten zu betreuen, sodass sich ihre Lebensqualität deutlich erhöhte“, schrieb DAZ-Autorin Dr. Claudia Bruhn im September 2020 unter Berufung auf Herdegen. Arzneimittel statt Zwangsjacke – das klingt nach einer deutlichen Erhöhung der Lebensqualität.

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Ähnlich wie die trizyklischen Antipsychotika seien auch die trizyklischen Antidepressiva wie Amitriptylin, Imipramin oder Trimipramin wegen ihrer vielfältigen Angriffsorte „pharmakodynamische Alleskönner“, hieß es auf der INTERPHARM. Allerdings würde bei diesen Wirkstoffen manchmal argumentiert, dass der Unterschied in der Wirkstärke zwischen Verum und Placebo nicht besonders groß sei. Doch Herdegen verwies darauf, dass in Studien auch Placebo-Gruppen in das Studienprotokoll eingebunden seien. Placebo bedeute also nicht „nichts tun“.

Kein Effekt von Antidepressiva auf die Lebensqualität nach zwei Jahren?

Jetzt informiert das „Science Media Center“ (SMC) in Deutschland über eine Studie, die Gesundheitsdaten von über 17 Millionen Patienten und Patientinnen aus den USA ausgewertet hat. Sie ist in „PLOS One“ erschienen und hat den Effekt von Antidepressiva auf die Lebensqualität nach zwei Jahren untersucht. Die Forschergruppe aus Saudi-Arabien (eine Forscherin aus den USA) kommt in der Zusammenfassung ihrer Studie zu dem Schluss, dass die Einnahme von Antidepressiva die Lebensqualität im Laufe der Zeit nicht verbessert. Deshalb sollten künftige Studien ihrer Meinung nach sich nicht nur auf die kurzfristigen Wirkungen einer Pharmakotherapie konzentrieren, sondern vielmehr langfristige (pharmakologische) Interventionen und deren Einfluss auf die Lebensqualität untersuchen.

Kritik an der Studie

Allerdings handelt es sich bei der Studie um eine retrospektive Beobachtungsstudie, wie das SMC einordnet. Sie kann also keine kausalen Zusammenhänge nachweisen. Sie basiert auf einer nationalen, repräsentativen Gesundheitsbefragung aus den USA, welche die gesamte Bevölkerung repräsentieren soll („Medical Expenditures Panel Survey“). Darin wurde die gesundheitsbezogene Lebensqualität über einen Fragebogen aus zwölf Fragen erhoben. Informationen darüber, ob die Patienten und Patientinnen eine Psychotherapie oder eine andere nicht-pharmazeutische Behandlung erhalten haben, seien in der Auswertung allerdings nicht enthalten. Auch die Schwere der Depression der Probanden sei nicht bekannt. Sie könnte sich also zwischen den beiden Gruppen unterscheiden. Außerdem unterscheiden sich die beiden Gruppen – mit und ohne Antidepressiva – leicht in mehreren Faktoren, etwa Ethnizität, Einkommen oder Versichertenstatus.

Was sagen die bisherigen Studien?

So betrachtet ist die Studie also wenig aussagekräftig. Allerdings fügt sie sich ein, in eine fortbestehende wissenschaftliche Debatte. So haben laut SMC frühere Meta-Analysen, den Effekt von Antidepressiva in randomisierten klinischen Studien mit geringeren Stichprobengrößen und kürzeren Beobachtungszeiträumen untersucht. Diese Meta-Analysen würden, mit kleinen bis moderaten Effektstärken, zeigen, dass Antidepressiva kurzfristig wirksamer als Placebo sind. Sie sollen die Lebensqualität geringfügig verbessern. In Kombination mit einer Psychotherapie sind sie außerdem effektiver als Antidepressiva oder Psychotherapie allein. Dennoch: Laut einer Meta-Analyse aus 2009 sollen rund 70 Prozent des Effekts von Antidepressiva auf den Placebo-Effekt zurückzuführen sein. 



Deutsche Apotheker Zeitung / dm
redaktion@daz.online


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