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Literaturtipp
Die Pandemie aus Apothekensicht – ein ordnungspolitisches Dilemma
Keine Strategie und kein roter Faden: Apotheker Dr. Simon Krivec, Inhaber der Adler Apotheke in Moers, kritisiert das Handeln der Bundesregierung während der Coronakrise scharf. Welche Folgen dieses Ordnungsdilemma für die Apotheken hatte und hat, ist jetzt in seinem im Hirzel Verlag erschienenen Buch „Das Corona-Chaos. Ein Apotheker packt aus“ nachzulesen. Im Gespräch mit der DAZ zieht er ein Fazit aus zwei Jahren Pandemie.
DAZ: Mehr als zwei Jahre Pandemie haben uns vieles gelehrt. In Ihrem Buch listen Sie eine Reihe von Kuriositäten auf. Nennen Sie uns doch einfach mal in Kürze ein paar Beispiele, die Sie besonders bewegt haben.
Krivec: Da gibt es mehrere Beispiele mit unterschiedlichen Facetten. Zunächst war es mir ein besonderes Anliegen, zu Pandemiebeginn für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Familien trotz Schul- und Kitaschließungen mit einem Betreuungsangebot zur Seite zu stehen. Gemeinsam mit meinem Bruder Julius, selbst Apotheker, haben wir dann eine betriebsinterne Kindertagesstätte eingerichtet. Wie viele Kolleginnen und Kollegen sicher auch, habe ich mit großer Ohnmacht verfolgt, wie unvorbereitet der Staat war. Das betrifft nicht nur das Regelungschaos in der Apotheke, sondern in allen Gesellschaftsbereichen. Vor allem das Thema „Persönliche Schutzausrüstung“ und deren Beschaffung kann allein ganze Bücher füllen. Vor diesem Hintergrund bin ich heute noch immer völlig verwundert über das Agieren unseres Bundesgesundheitsministers Jens Spahn, vor allem in Bezug auf die Gratis-Abgabe in der Vorweihnachtszeit 2020. Das gesamte Versagen bei der Maskenbeschaffung wurde dort mit einem Handstreich an die Apotheken weiterdelegiert.
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Auch das Thema Corona-Tests hat mich besonders bewegt. Bis zum heutigen Tag kann ich es nicht verstehen, warum man nicht spätestens nach den zahlreichen Abrechnungsbetrugsfällen den Kreis der Teststellenbetreiber auf die schon bisher im Gesundheitswesen tätigen Leistungserbringer beschränkt hat.
Was treibt Sie in Sachen Corona derzeit am meisten um?
Auch nach zwei Jahren Pandemiegeschehen bin ich immer noch entsetzt darüber, unter welchem Ordnungsdilemma unser Staat leidet. Das hat die Corona-Pandemie schonungslos offengelegt. Bis heute vermisse ich einen roten Faden und eine bundesweit abgestimmte Pandemiestrategie. Zielorientiertes und vorausschauendes Handeln steht zumeist immer noch hinter parteipolitischem und föderalistischem Hickhack an. Unser Land hat sich zu einem Flickenteppich an Regelungen, Maßnahmen und Gegenmaßnahmen entwickelt. Ich habe nun den großen Wunsch, dass ich gemeinsam mit meinem Team die kommenden Wochen und Monate überstehe und wir alle gesund bleiben. Und natürlich sind die derzeit geltenden Quarantäneregelungen bei gleichzeitig großflächigen Öffnungstendenzen eine große Belastung für das Unternehmen. Durchschnittlich 10 Prozent der Beschäftigten sind in unserem Unternehmen derzeit in der Quarantäne gefangen.
„Rolle und Wert der Apotheke sind über Jahre nicht beachtet worden“
Welche Lehren müssen im Hinblick auf die Rolle der Apotheken aus der Pandemie unbedingt gezogen werden?
Die Rolle und der Wert der Apotheke sind über Jahre nicht beachtet worden. In der Pandemie haben wir gezeigt, dass wir „Krise“ können. Natürlich haben wir auch in unserer Apotheke viele Fehler gemacht, manche Planungen wurden über den Haufen geworfen. Aber grundsätzlich hat das „Team Apotheke“ funktioniert. Ich bezeichne es auch deshalb als Team, weil ich einen so intensiven und vor allem vorurteilsfreien Austausch zwischen Kolleginnen und Kollegen noch nie erlebt habe. Ausnahmen sind möglich. Aber zumindest ich für meinen Teil habe einen veränderten kollegialen Austausch erleben können.
Können Sie der Pandemie im Hinblick auf die Rolle der Apotheken auch etwas Positives abgewinnen?
Wenn jemand in der Pandemie gezeigt hat, dass seine Rolle und sein Wert in der Gesellschaft bisher völlig unterschätzt worden sind, dann ist das die deutsche Apotheke vor Ort. In vielen persönlichen Gesprächen in unterschiedlichen Konstellationen spüre ich diese Anerkennung. Es liegt aber an uns und vor allem auch an unserer Standesvertretung, dieses gewonnene Vertrauen auf der politischen Ebene zu nutzen. Das vermisse ich derzeit völlig! Vor allem vor dem Hintergrund der galoppierenden Inflation und den gestiegenen Energiekosten ist dringend eine Aufwertung der Vergütung der Apotheke vor Ort notwendig. Wann, wenn nicht jetzt, ist der richtige Zeitpunkt dafür. Ohne unsere unbürokratische und vor allem praktische Herangehensweise in vielerlei Bereichen wäre unser Land nicht so gut durch die Pandemie gekommen.
Die Pandemie geht weiter. Wird es Stoff für einen zweiten Band Ihres Buchs geben?
Das von Ralf Meutgens und mir verfasste Buch bildet genau zwei Jahre Pandemiezeit ab. Wir haben nur die Spitze des Eisbergs angesprochen. Vieles von dem, was wir erlebt haben, werden viele Kolleginnen und Kollegen in gleicher oder ähnlicher Form ebenfalls erlebt haben. Wie auch das Virus sich permanent verändert, kann ich nicht ausschließen, dass auch wir gezwungen sein werden, weiter in der Pandemie tätig zu sein. Persönlich hoffe ich, dass es nicht dazu kommt, dass wir das Coronavirus in unserem Alltag beherrschen können und es daher kein zweites Buch geben muss.
Herr Dr. Krivec, besten Dank für das Gespräch!
Von Simon Krivec
Das Corona-Chaos. Ein Apotheker packt aus.
Bearbeitet von Ralf Meutgens
Für den Apotheker Simon Krivec ist eines klar: „Die Pandemie hat das Beste und das Schlechteste in den Menschen zutage gefördert.“
Seine oft unglaublichen Erfahrungen in dieser Zeit erzählt er nun und berichtet von der wirren Logistik und dem sich überschlagenden Geschehen hinter den Kulissen.
Es ist ein Auf und Ab im täglichen Irrsinn der Pandemie zwischen der Hilflosigkeit des Staates, fehlenden Masken und Desinfektionsmitteln und dem Gefühl, als Apotheker auf sich alleine gestellt zu sein. Krivec versucht alles, um Desinfektionsmittel zu einem fairen Preis selbst herzustellen.
Doch die Beschaffung von Ethanol in großen Mengen ist wahrlich nicht einfach, genauso wenig wie der Transport des hochentzündlichen Stoffes. Auch was ihn mit 71.400 Euro in Bar spätnachts an den Neusser Hafen lockte, erfahren wir in dem Buch. Er erzählt von Regelungswirrwarr, Impfzentrums-Chaos, aber auch von berührenden Erfahrungen mit überwältigender Hilfsbereitschaft.
1 Kommentar
Falsche Freunde...
von JL am 26.04.2022 um 16:36 Uhr
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