Zu viel Morganella-Bakterien bei Depressionen

Wie beeinflusst das Mikrobiom unsere Gemütslage?

Stuttgart - 18.05.2022, 09:15 Uhr

Das Mikrobiom spielt auch bei psychischen Erkrankungen eine Rolle. Immer mehr finden Forscher heraus, welche Bakterien mit Depressionen assoziiert sein könnten. (x / Foto: Panuwat / AdobeStock)

Das Mikrobiom spielt auch bei psychischen Erkrankungen eine Rolle. Immer mehr finden Forscher heraus, welche Bakterien mit Depressionen assoziiert sein könnten. (x / Foto: Panuwat / AdobeStock)


Sind Bakterien schuld an Depressionen? Zumindest scheint das Mikrobiom unsere Gemütslage zu beeinflussen: Menschen mit schweren Depressionen haben eine erhöhte Anzahl an Morganella-Bakterien, fanden Wissenschaftler heraus. Könnte eine Veränderung des Mikrobioms einen künftigen Therapieansatz darstellen?

Wir sehen sie nicht, dennoch spielen sie für unsere Gesundheit eine eminente Rolle: die Billionen von Bakterien in und auf unserem Körper, die unser Mikrobiom bilden. Dass unsere bakterielle Ausstattung bei zahlreichen Erkrankungen eine Rolle spielt, kristallisiert sich immer mehr heraus: Unser Mikrobiom beeinflusst unseren Gesundheits- und Krankheitszustand. Tatsächlich sind beispielsweise bei MS-Patienten ganze Netzwerke an Bakterienfamilien verändert, von diesen Bakterien gebildete kurzkettige Fettsäuren, wie Propionsäure, sind im Stuhl und Blut von MS-Patienten deutlich vermindert.

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Auch bei Depressionen lohnt ein Blick auf das Mikrobiom. So unterscheidet sich das Mikrobiom von Menschen mit Depressionen von dem von Gesunden – und auch hier geht es um kurzkettige Fettsäuren und die Bakterien, die sie herstellen: Wissenschaftler fanden bei Menschen mit Depressionen, bipolarer Störung, Schizophrenie und Angstzuständen eine Verarmung an entzündungshemmenden, Butyrat-produzierenden Bakterien und im Gegensatz dazu eine Anreicherung entzündungsfördernder Bakterien. Die Arbeit veröffentlichten sie im September 2021 im Fachjournal „JAMA Psychiatry“.1.

Stuhltransplantation bei Depression

Vor kurzem publizierten Wissenschaftler zudem einen Fallbericht in „Frontiers of Psychiatry“2, in dem zwei Menschen mit Depressionen von einer Stuhltransplantation profitierten.

Welche Bakterien sind „gut“, welche „schlecht“?

Trotz dieser Erkenntnisse ist vieles noch unklar – sowohl beim Einfluss des Mikrobioms auf Multiple Sklerose, Depressionen oder auch auf andere Erkrankungen. Unbekannt ist beispielsweise, welche exakten Bakterien „wichtig“, also die Hauptakteure, sind, sodass man irgendwann vielleicht einmal gezielte Therapien ableiten kann. 

Nun haben Wissenschaftler zumindest bei einer Erkrankung weiter Licht ins Mikrobiom-Dunkel gebracht und einen möglichen mikrobiellen „Schuldigen“ bei Depressionen gefunden. Anfang Februar 2022 veröffentlichten Wissenschaftler um Guillaume Méric ihre Arbeit in „Nature Genetics“3, sie untersuchten die Auswirkungen von Genetik und Ernährung auf das Mikrobiom (auch die Häufigkeit von bestimmten Darmmikroben). Ziel war es, dadurch künftig Erkrankungen voraussagen zu können, die mit mikrobiellen Veränderungen des Darms verbunden sind. Als Basis nutzten die australischen Wissenschaftler Daten von 5.959 Teilnehmer (übereinstimmende menschliche Genotypen) der Finrisk-Studie4 – eigentlich eine große finnische Bevölkerungsstudie, die Risikofaktoren für chronische (nicht übertragbare) Erkrankungen untersucht –, für die über 40 Jahre lang (beginnend 1972) im Fünfjahresrhythmus repräsentative Bevölkerungsstichproben erhoben wurden. Die von den australischen Wissenschaftlern berücksichtigten Daten umfassen 16 Jahre (2002 bis 2018).

Erbinformation bestimmt das Mikrobiom mit

Wie also beeinflusst unser Genom unser Mikrobiom? Den Erkenntnissen der Wissenschaftler zufolge scheinen zwei Abschnitte des menschlichen Genoms das Vorhandensein unserer Mikroben im Darm stark zu beeinflussen – der eine Genabschnitt codiert für ein Enzym, das Milchzucker (Lactose) verdaut, der zweite Genabschnitt bestimmt die Blutgruppe.

Begünstigt zu viel Faecalicoccous eine Magersucht – und zu wenig Lactobacillus eine MS?

Den Wissenschaftlern gelang es, mehrere Mikroben und ihre Anzahl beim Menschen in Verbindung mit zahlreichen Erkrankungen zu bringen – sie warnen jedoch bei der Interpretation der Ergebnisse vor Kausalvorhersagen, da die Möglichkeit mehrerer nicht berücksichtigter Störfaktoren bestehe. Doch könnten die Erkenntnisse nützlich sein, um künftig Schwerpunkte in der Forschung zu setzen. Sie führten die Analysen in zwei Richtungen durch: Einerseits schauten sie erst nach dem Mikrobiom der Teilnehmer und dann nach Erkrankungen, andererseits betrachteten sie Menschen mit bestimmten Erkrankungsrisiken und analysierten sodann deren Mikrobiom. Unter anderem fanden die Wissenschaftler heraus, dass eine erhöhte Menge der Bakteriengattung Faecalicoccus einen kausalen Effekt auf Anorexia nervosa (Magersucht) haben könnte. Auch scheint ein erhöhtes genetisches Risiko für Multiple Sklerose zu einer Verringerung von Lactobacillus B ruminis zu führen – was mit den Ergebnissen einer früheren Studie übereinstimmt, in der Lactobacillus sp. die MS-Symptomschwere im Tiermodell verringerte (veröffentlicht 2010 in „PLOS ONE“)5.



Celine Bichay, Apothekerin, Redakteurin DAZ
redaktion@daz.online


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