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"Historisch" nennt man solche Wochen wie diese! Der Startschuss für zwei Neuerungen, die in Zukunft unseren Apothekenalltag begleiten, ist gefallen, zumindest für all die Apotheken, die diese Neuerungen mitmachen wollen: Die pharmazeutischen Dienstleistungen, die wir eigenständig unseren Patientinnen und Patienten anbieten können und die von den Kassen honoriert werden, liegen auf dem Tisch. Ein paar Petitessen fehlen zwar noch (wie werden sie eigentlich abgerechnet?), aber jetzt heißt’s: Macht was draus! Und das zweite Novum: Die Grippeschutzimpfung in Apotheken als Regelversorgung ist auf den Weg gebracht. Ab Herbst sind alle Apotheken, die wollen, mit im Boot. Was für eine Woche!
7. Juni 2020
Der Deutsche Apothekerverband (DAV) ist überzeugt, dass die Apotheken bereits E-Rezept-ready sind. Will heißen, sie sind an die Telematik-Infrastruktur (TI) angebunden. Aber können die allermeisten Apotheken dann auch E-Rezepte einlösen und abrechnen? Hatten die meisten Apotheken schon mal ein E-Rezept in Händen und haben den Einlöse- und Abrechnungsprozess durchgespielt? Sind alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „ready“ im Umgang mit E-Rezepten? Oder nur fix und fertig, wenn sie dieses Thema hören? Wie sieht da die Realität aus? DAZ.online hat bei den Leserinnen und Lesern nachgefragt, ob sie bereit fürs E-Rezept sind. Das Ergebnis: Die Mehrheit gibt an, tatsächlich mit dem E-Rezept loslegen zu können. So gut wie alle Apotheken verfügen über die Institutionenkarten, die Heilberufsausweise, die E-Health-Konnektoren und sind an die TI angebunden. Mein liebes Tagebuch, klingt gut, da sollte eigentlich im September, wenn’s ernst wird, technisch wenig schiefgehen. Der Knackpunkt ist jedoch: Viele Apotheken hatte noch nie ein E-Rezept in Händen. Und bei mehr als einem Viertel der Apotheken geht laut eigener Aussage noch nichts. Ups, mein liebes Tagebuch, da klaffen der DAV-Anspruch und Wirklichkeit noch ein bisschen auseinander. Wir haben zwar noch ein knappes Vierteljahr bis September – da können noch ein paar Hausaufgaben und Schulungen erledigt werden. Aber dann sollte alles stehen. Und schon jetzt hört man aus bestimmten Kreisen, dass der 1. September wohl nur ein Startschuss auf dem Papier ist und nicht in der Praxis – ob es nämlich die Ärzteschaft schafft, zumindest in den Startregionen Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein, bis September überwiegend E-Rezepte auszustellen – da sehen wir noch Fragezeichen.
Apropos Fragezeichen: Damit zur E-Rezept-Einführung so wenige Fragen wie möglich unbeantwortet bleiben, hat die Gematik einen Fragen-und-Antworten-Katalog (FAQ) zusammengestellt, der für mehr Klarheit sorgen soll. Da stehen z. B. Antworten drin auf die Frage, nach welchen Kriterien die Reihenfolge und Anzahl der startenden Länder/Regionen bestimmt wurde, wann genau die Einführung des E-Rezepts in den medizinischen Einrichtungen der ersten KV-Regionen beginnt, und auch was passiert, wenn Probleme in den beiden Ländern auftreten, die die Vorhut bilden. Mein liebes Tagebuch, lesenswert, man sollte da ruhig mal reinschauen, was die Gematik da an schönen Antworten auf viele Fragen zusammengetragen hat. Der Katalog soll übrigens weiter ergänzt werden. Für viele dürfte wohl diese Frage und Antwort ein wenig Beruhigung schaffen: Frage:„Gilt der rosa Zettel (Muster 16) weiter?“ Antwort: „Als Ersatzverfahren für apothekenpflichtige Arzneimittel und für sonstige Verordnungszwecke wird das Muster 16 weiterhin verwendet.“ Na denn.
8. Juni 2020
Auf ihrer Kammerversammlung konnte und durfte Gabriele Regina Overwiening, ABDA-Präsidentin und Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, noch nichts rauslassen zum Thema der pharmazeutischen Dienstleistungen – der Schiedsspruch war noch nicht „verschriftlicht“. Was aus Sicht der Präsidentin aber feststeht: Die pharmazeutischen Dienstleistungen werden einen Paradigmenwechsel in den Apotheken einläuten. Denn die Apothekenbetriebe werden erstmals selbst entscheiden, wann eine Vergütung fällig wird: „Sie lösen Ihre eigene Honorierung aus“, so Overwiening., „das ist ein Quantensprung.“ Schön, mein liebes Tagebuch, fragt sich dann nur noch, wie viele Apotheken dann auch personell und fachlich dazu in der Lage sein werden. Und wie viele Apotheken die ausgehandelten Honorare akzeptieren werden. Weiteres Thema auf der Kammerversammlung: das E-Rezept. Für Overwiening ist es nachvollziehbar, dass einige Kolleginnen und Kollegen Bedenken zur bevorstehenden verpflichtenden Einführung des E-Rezepts haben. Solche Bedenken sollten ihrer Meinung nach aber nur intern kommuniziert werden. Der Bevölkerung sollte nämlich das Bild vermittelt werden, dass die Präsenzapotheken bereit seien für das E-Rezept und dieses „genau dorthin gehört“. Mein liebes Tagebuch, da ist was dran. Was nützt es, wenn Vor-Ort-Apotheken den Patientinnen und Patienten mit auf den Weg geben, wir können kein E-Rezept. Das treibt unsere Kundschaft zu den EU-Versendern, die mit großem Werbeaufwand posaunen werden, dass E-Rezepte bei ihnen an der richtigen Adresse sind. Soweit darf es nicht kommen. Ein weiteres heißes Thema in der Kammerversammlung: das geplante Spargesetz von Lauterbach, auf das die Kassen bereits heftig drängen. Den ersten Aufschlag dieses Gesetzes nannte Overwiening einen „Schlag ins Gesicht“ für den Berufsstand. In der Tat, mein liebes Tagebuch, die Apotheken wären gleich zweifach belastet worden, es wäre einer deutlichen Honorarkürzung gleichgekommen. Overwiening: „Bei uns ist nichts zu holen“. Recht hat sie. Die Apotheken benötigen mehr, damit sie ihre Aufgaben erledigen können. Schon seit langem zeigen sich Defizite bundesweit bei Honorar und Personal und das hat Konsequenzen: Die Apothekenzahlen sind weiter im Sinkflug. In Westfalen-Lippe beispielsweise gibt es nur noch 1781 Betriebsstätten, der niedrigste Wert sei 1977, wie Overwiening sagte. Sie forderte daher dringend Unterstützung von der Politik. Mein liebes Tagebuch, diese Forderungen gehören mit Nachdruck an die Politik herangetragen. Und was Overwiening auch sagte: „Wir sind nicht einfach da, wir müssen in den Fokus, damit wir bleiben.“ Auch richtig, nur welche Lösungen hat die ABDA dafür parat?
9. Juni 2020
Die ABDA hatte sich noch unter ABDA-Präsident Friedemann Schmidt eine Strukturanalyse verordnet, durchgeführt von einer Unternehmensberatung. Ergebnisse liegen nun weitgehend auf dem Tisch, aber geredet wird darüber, wie’s bei der ABDA eben so üblich ist, nicht offiziell. Und dennoch, es dringen immer mehr Details und Infos dazu nach außen. Und interessant ist es schon, was so eine Unternehmensberatung an einem Verband wie es die ABDA ist, verbessern würde. So soll beispielsweise der ABDA-Gesamtvorstand entfallen und der geschäftsführende Vorstand zu einem schlanken „ABDA-Vorstand“ von bisher 13 auf sechs oder sieben ehren- und hauptamtlichen Mitgliedern reduziert werden. Die Mitgliederversammlung würde aber bestehen bleiben. Ziel sollte es sein, die ABDA mit einer schlankeren Struktur mit weniger Entscheidungsebenen und einem kleineren Vorstand schneller zu machen. Auf der Delegiertenversammlung der Apothekerkammer des Saarlands wurden noch weitere Vorschläge aus der Strukturanalyse vorgestellt. Ein kleiner Aufreger für alt-eingesessene ABDAianer dürfte wohl der Vorschlag sein, gleich zwei hauptamtliche Geschäftsführer einzuführen, es sollte quasi eine gleichberechtigte Doppelspitze mit interner und externer Ausrichtung geben – neben einer Generalsekretärin oder einem Generalsekretär würde somit das Amt einer „Außenministerin“ oder eines „Außenministers“ entstehen. Die Unternehmensberater sehen darin eine Art Professionalisierung. Und ein kleines Bömbchen konnte der Vorschlag der Unternehmensberatung sein, dass zukünftig eine ABDA-Präsidentin oder ein ABDA-Präsident nicht mehr gleichzeitig einer Landesapothekerkammer oder einem Landesapothekerverband vorstehen dürfen. Au weia, mein liebes Tagebuch, dabei war doch gerade die Ämterhäufung so was ganz Feines. Aber die Unternehmensberater sehen genau darin potenzielle Interessenskonflikte, die so vermieden werden könnten. Wie man dann allerdings eine Person findet, die auf dem Stuhl des ABDA-Präsidenten Platz nehmen darf – darüber schweigen sich auch die Berater aus. Klar, gegen solche Vorschläge der Unternehmensberatung regt sich schon jetzt deutlicher Widerstand. So ist sich Saarlands Apothekerkammerpräsident Manfred Saar im Klaren darüber: „Das wird so auch nur ansatzweise nicht kommen!“. Mein liebes Tagebuch, ehrlich gesagt, davon sind wir auch überzeugt, dass sich die ABDAianer mit solchen Umstrukturierungen kaum so recht anfreunden können. Wo kämen wir da auch hin, wenn man als Landesfürst nicht mehr Bundesfürst werden könnte. Nein, im Ernst man sollte auf alle Fälle mal über den einen oder anderen Vorschlag nachdenken dürfen. Alles, was die ABDA schlanker, beweglicher und agiler machen könnten, sollte so verkehrt nicht sein. Was aber Kammerpräsident Saar z. B. für viel wichtiger hält: Die ABDA sollte sich mit ihren Mitgliedsorganisationen aktiv gegen die Bürokratisierung innerhalb der eigenen Struktur stemmen. Hierzu könnte ein gemeinsames EDV-System eingeführt werden. Mein liebes Tagebuch, das kann man nur unterschreiben. Und jetzt sind wir gespannt, welche weiteren Ergebnisse aus der ABDA-Strukturanalyse in den kommenden Tagen und Wochen noch das Licht der Öffentlichkeit erblicken.
Was macht eigentlich die standeseigene Digitalgesellschaft Gedisa? Wir erinnern uns: Gedisa wurde von allen Apothekerverbänden außer einem (Apothekerverband Westfalen-Lippe) gegründet, um ein Plattform-Projekt, ein Apothekerportal der deutschen Apothekerinnen und Apotheker auf die Beine zu stellen, über das in Zukunft Kundinnen und Kunden mit ihren Apotheken digital interagieren und Bestellungen auslösen können. Klingt gut und ist sicher sinnvoll, angesichts so mancher Mitbewerber. Aber so ein schickes Portal gibt’s natürlich nicht umsonst – das kost’ was. Im Raum stand mal eine Sonderumlage in Höhe von 50 Euro pro Monat je Apotheke. Ob das reicht? Der Hessische Apothekerverband geht da schon mal auf Nummer sicher und hat einen Nachtragshaushalt in Höhe von 300.000 Euro für Gedisa beschlossen: Und er will damit zeigen, dass er geschlossen hinter dem Gedisa-Projekt steht. Und sollten die 50 Euro pro Monat pro Apotheke nicht gehalten werden können, müssten die Verbände die Mehrkosten für Gedisa von ihren Mitgliedern einstreichen.
10. Juni 2020
Diese Woche geht in die Annalen der deutschen Pharmazie ein! Wir Apothekers haben soeben erfahren dürfen, welche pharmazeutischen Dienstleistungen wir unseren Patientinnen und Patienten anbieten und zu Lasten der GKV abrechnen dürfen. Die Schiedsstelle, die letztlich darüber entschieden hat, hat ihren Schiedsspruch endlich verschriftlicht und veröffentlicht. Und damit ist eines der größten Geheimnisse der letzten Monate oder sogar Jahre gelüftet. Insgesamt verständigte man sich auf fünf Dienstleistungen, sozusagen die Big Five: die Medikationsanalyse bei Polymedikation (war zu erwarten) und die pharmazeutische Betreuung von Organtransplantierten und Patientinnen und Patienten mit oraler Antitumortherapie – drei relativ umfangreiche und komplexe Dienstleistungen. Und dann haben wir noch zwei einfachere, aber durchaus auch wichtige Dienstleistungen im Angebot, nämlich die Inhalator-Schulung und die Blutdruckmessung bei Hypertonikern. Und, mein liebes Tagebuch, wie isses? Wie fühlen wir uns als Apothekers mit diesen Dienstleistungen? High Five! Also, prima vista lässt sich sagen: Ist o.k., daraus ließe sich was machen. Wir Apothekers können diese Leistungen, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind, unseren Patientinnen und Patienten eigenständig anbieten, ohne eine ärztliche Verordnung. Die Bedingungen, zu denen diese Leistungen erbracht werden dürfen, scheinen angemessen zu sein. Auch die ABDA zeigt sich mit dem Ausgang des Schiedsspruchs zufrieden: „Mit dem Ergebnis des Schiedsverfahrens können wir alles in allem gut leben“, sagt die ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening in einem Videostatement. Und Thomas Benkert, unser Präsident der Bundesapothekerkammer (BAK), weist darauf hin, dass die BAK bereits passende Hilfestellungen für Apothekenteams erarbeitet hat, wie diese Dienstleistungen zu erbringen sind, für einige sind auch spezielle Fortbildungen zu absolvieren. Na, kann dann kann’s wohl morgen losgehen? Von wegen! Obwohl eine Schiedsstelle entschieden hat, scheint der GKV-Spitzenverband nicht so recht zufrieden damit zu sein, es wird sogar gemunkelt, dass der Spitzenverband dagegen klagen könnte. Außerdem sind noch viele Fragen offen, z. B. wie dann die Abrechnung des Honorars abläuft. So fehlt z. B. noch die Sonder-PZN für die jeweiligen Dienstleistungen. Vermutlich, so hörte man, wird es wohl eine quartalsweise Abrechnung geben, die Sammelbelege aller im Quartal erbrachten Dienstleistungen würden dann beim Nacht- und Notdienstfonds (NNF) eingereicht werden. Und wenn das zur Verfügung stehende Geld, also die 150 Mio. Euro nicht ausreichen, wird wohl ein zweistufiges Vergütungsmodell kommen. In der ersten Stufe würden die Apotheken eine „gesicherten Honorarsumme“ ausgezahlt bekommen, 1000 Euro gibt’s garantiert, und für den Rest sind dann für die einfachen Dienstleistungen anteilige Kürzungen zu erwarten, während die komplexen Dienstleistungen in voller Höhe vergütet werden. Genaueres wird man also in den kommenden Wochen hören. Nun ja, mein liebes Tagebuch, sollten diese Dienstleistungen wirklich „ein Renner“ in unserem pharmazeutischen Alltag werden, von den Kassen gut akzeptiert und bei Patientinnen und Patienten freudig angenommen werden, dann sollte die Politik nicht umhin können, den Honorartopf zu vergrößern. Aber jetzt bin ich auf die Diskussionen rund um die Dienstleistungen gespannt, die sich in den kommenden Wochen ergeben werden – die einen, die darin den Einstieg in die Zukunft unserer heilberuflichen Pharmazie sehen, die anderen, die so gar nichts davon halten und nicht mitmachen wollen oder nicht können und alle Meinungsschattierungen dazwischen. Ich freu’ mich drauf.
Nicht nur die Dienstleistungen hat uns diese Woche gebracht, sondern auch die Zustimmung des Bundesrats zum Pflegebonusgesetz (der Bundestag hat bereits sein Plazet gegeben) und damit zum Vorhaben der Bundesregierung, die Grippeimpfungen in den Apotheken in die Regelversorgung zu überführen. Auch das ist ein historisches Novum für uns Apothekers: Wir dürfen unabhängig von irgendwelchen Modellprojekten gegen Grippe impfen! Wer sich entsprechend fortgebildet hat darf, keiner muss. Jetzt müssten wir nur noch wissen, welches Honorar uns die Kassen dafür überweisen. Das allerdngs könnte wiederum Probleme bereiten: GKV-Spitzenverband und Deutscher Apothekerverband müssen sich binnen zweier Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes auf die Vergütung der Apotheken einigen. Schaffen sie das nicht, muss wieder (wir kennen das schon) die Schiedsstelle ran. Und die hat dann dieses Mal allerdings nicht ewig Zeit, sondern nur einen Monat, um das Impfhonorar festzulegen. Also, dann könnte es mit dem Start der apothekerlichen Grippeimpfungen für die kommende Saison durchaus etwas werden.
3 Kommentare
Strukturelle Widersprüche.
von Reinhard Rodiger am 12.06.2022 um 12:56 Uhr
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Widersprüchlich
von Karl Friedrich Müller am 12.06.2022 um 11:08 Uhr
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Strukturanalyse
von Dr.Diefenbach am 12.06.2022 um 9:18 Uhr
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