BfArM-Begleiterhebung

Bei drei Viertel der Cannabispatienten bessern sich die Symptome

Berlin - 06.07.2022, 17:15 Uhr

Cannabis als Arzneimittel: Wer bekommt es, wer verordnet? Wie sind die Wirkungen und Nebenwirkungen? Das BfArM hat dazu Verordnungsdaten ausgewertet. (Foto: EKKAPON /AdobeStock)

Cannabis als Arzneimittel: Wer bekommt es, wer verordnet? Wie sind die Wirkungen und Nebenwirkungen? Das BfArM hat dazu Verordnungsdaten ausgewertet. (Foto: EKKAPON /AdobeStock)


Gut drei Viertel der Medizinalcannabis-Verordnungen werden für Schmerzpatient:innen ausgestellt, knapp 10 Prozent zur Behandlung von Spastiken. Das geht aus dem Abschlussbericht des BfArM für die Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln hervor. Am häufigsten verordnet wurde demnach Dronabinol – Blüten und Extrakte machten nicht einmal 30 Prozent der Verschreibungen aus.

Seit März 2017 ist Medizinalcannabis zulasten der Krankenkassen verordnungsfähig – sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (§ 31 Abs. 6 SGB V). Um die genaue medizinische Wirkung der Cannabis-Arzneimittel weiter zu erforschen, hat der Gesetzgeber seinerzeit das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte  (BfArM) mit einer nicht interventionellen Begleiterhebung beauftragt. Vertragsärzte, die Medizinalcannabis verordnen, sind nach den gesetzlichen Vorgaben aufgefordert, die für diese Begleiterhebung erforderlichen Daten dem BfArM in anonymisierter Form übermitteln. Zweck der Übung: Die Daten sollen Hinweise auf mögliche Anwendungsgebiete, Nebenwirkungen und auch Begrenzungen einer Therapie mit Cannabisarzneimitteln liefern. Die Begleiterhebung lief bis zum 31. März 2022.

Am heutigen Mittwoch hat das BfArM nun seinen Abschlussbericht für die Begleiterhebung veröffentlicht. In die Auswertung sind seit 2017 anonymisierte Daten zu rund 21.000 Behandlungen mit Cannabisblüten und -extrakten sowie mit Dronabinol, Nabilon (ggf. als Fertigarzneimittel Canemes®) und Sativex® eingeflossen. 16.809 vollständige Datensätze konnten in den Hauptteil des Berichts einbezogen werden. Angesichts der gesetzlichen Verpflichtung für Ärztinnen und Ärzte an der Begleiterhebung teilzunehmen, sei die Anzahl gemeldeter Fälle gering, konstatiert das BfArM.

Was sind nun die Erkenntnisse? Hinsichtlich der Indikation stellt der Bericht fest, dass 76,4 Prozent der ausgewerteten Behandlungen aufgrund chronischer Schmerzen erfolgten. Weitere häufig behandelte Symptome waren Spastik (9,6 Prozent), Anorexie/Wasting (5,1 Prozent) und Übelkeit/Erbrechen (2,2 Prozent). In 14,5 Prozent der Fälle lag eine Tumorerkrankung vor, in 5,9 Prozent eine Multiple Sklerose. Vor Behandlungsbeginn mit einem Cannabisarzneimittel wurden die Patientinnen und Patienten im Durchschnitt bereits acht Jahre aufgrund der bestehenden Symptomatik behandelt.

Bezogen auf alle Cannabisarzneimittel sind die behandelten Personen im Durchschnitt 57 Jahre alt und in der Mehrzahl weiblich. Schaut man nur auf die Cannabisblüten, lag das Durchschnittsalter hingegen bei 45,5 Jahren und mehr als zwei Drittel der Behandelten waren männlich.

Wer verordnet am häufigsten?

In einigen wichtigen Punkten decken sich die BfArM-Daten nicht mit denen, die Krankenkassen veröffentlichen. So verordneten nach den BfArM-Daten am häufigsten Ärztinnen und Ärzten der Fachrichtung Anästhesiologie Cannabis als Arzneimittel (52,5 Prozent). Ihnen folgen Allgemeinmediziner:innen (15 Prozent) und Neurolog:innen (12,7 Prozent). Nach Krankenkassendaten sind es jedoch Hausärzte und -ärztinnen, die besonders oft Cannabisarzneimittel verschreiben.

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Zudem: Bei den in der Begleiterhebung übermittelten Fällen wird am häufigsten Dronabinol (62,2 Prozent) als Cannabisarzneimittel verordnet, gefolgt von Blüten (16,5 Prozent), Extrakten (13 Prozent) und Sativex (8 Prozent). Auch hier sprechen Kassendaten eine andere Sprache. Insbesondere die Verordnung von Cannabisblüten dürfte in der Praxis einen deutlich höheren Anteil ausmachen, stellt daher das BfArM fest. Und das ist nicht ganz unbedeutend: „Die mittlere Tagesdosis an THC, dem Hauptwirkstoff der Cannabispflanze, liegt bei Verwendung von Dronabinol, Cannabisextrakten und Sativex® bei etwa 15 mg. Bei den Cannabisblüten liegt die mittlere Tagesdosis jedoch bei 249 mg und damit weit über jeglicher Dosierungsempfehlung zu therapeutischen Zwecken, die bisher wissenschaftlich untersucht und publiziert wurde“, heißt es im BfArM-Bericht.

Nebenwirkungen: häufig, aber nicht schwerwiegend

Zu den weiteren Erkenntnissen zählt: In nahezu 75 Prozent der Fälle besserte sich durch die Cannabisarzneimitteln die Symptomatik. Nebenwirkungen waren zwar häufig, aber in der Regel nicht schwerwiegend. Müdigkeit und Schwindel (insbesondere bei Frauen) traten sehr häufig auf. In einem Drittel der Fälle wurde die Therapie vor Ablauf eines Jahres abgebrochen, meist, weil die Wirkung ausblieb (38,5 Prozent). Hinter 25,9 Prozent der Therapieabbrüche standen Nebenwirkungen. In 20,2 Prozent der Fälle verstarb der Patient.

In 70 Prozent der Fälle wurde eine Besserung der Lebensqualität berichtet. Zudem zeigt sich, dass mit Cannabisblüten behandelte Patientinnen und Patienten den Therapieerfolg grundsätzlich höher bewerten, die Therapie seltener abbrechen und seltener Nebenwirkungen angeben. Lediglich die Nebenwirkung „euphorisierende Wirkung“ wird dreimal häufiger berichtet als bei den anderen Cannabisarzneimitteln. „Bei gleichzeitig sehr hohen THC-Dosen, dem hohen Männeranteil und dem geringen Durchschnittsalter sollten Ärztinnen und Ärzte die Gefahr von Missbrauch und Abhängigkeit bei der Therapieplanung mit Cannabisblüten beachten“, mahnt hier das BfArM.

Das Institut weist zudem darauf hin, dass die Daten der Begleiterhebung klinische Studien in keiner Weise ersetzen könnten. „Sie bilden jedoch eine wertvolle Grundlage für die Planung und Durchführung ebendieser.“ Die Ergebnisse liegen nun beim Gemeinsamen Bundesausschuss, der aufgefordert ist, binnen sechs Monaten Näheres zur Leistungsgewährung in seinen Arzneimittel-Richtlinien zu regeln.

Den gesamten Abschlussbericht finden Sie auf der Webseite des BfArM zum herunterladen. 


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Kassen-Cannabis?

von c.lutsch am 07.07.2022 um 15:31 Uhr

Wurde hier nur das zu Lasten der Krankenkassen verordnete Medizinalcannabis gemeldet?

In manchen Apotheken habe ich es erlebt, dass ein regelrechter Run auf Cannabis herrscht. Einige Ärzte in der Umgebung verordnen jungen Männern mit Verhaltensauffälligkeitensehr bereitwillig "privat" ihr "Gras, das einzige was hilft". Die Diskussionen darüber, waurm das von Kassen nicht übernommen wird, sind an der Tagesordnung.

Mein Bild kann natürlich verzerrt sein und sicher geht es nciht in allen Apotheke so zu, aber wenn sich dies zumindest stellenweise anderswo ähnlich abspielt, dann fand hier eine Untererfassung statt... insofern private Verordnungen außen vor waren.

Ich bin ja immernoch der Meinung, dass das positive Cannabis-Image bei einem bestimmten Klientel mit einem nicht unerheblichen Placebo-Effekt verknüpft ist. Erst hilft nur Gras, dann hilft nur das selbst-angebaute Gras (die eigenen Tomaten schmecken ja auch besser, als die aus dem Geschäft). Dieses Recht hatte sich ein Patient enigeklagt gehabt.

Ich will nicht in Abrede stellen, dass eine pharmakolgische Wirkung besteht. Und die Tatsache, dass in der Praxis wohl weitaus höhere Dosen genutzt werden als es i Studien untersucht wurde, bekräftigt eine vermeintliche positive Wirkung. Dennch wäre es spannend zu sehen, wie gut die Wirkung von Placebo-Gras auf die Lebensqualität ausfiele.

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