Kommentar zum Deutschen Apothekertag

Ein Parlament entmachtet sich selbst

München - 19.09.2022, 14:00 Uhr

Das digitale Abstimmungsgerät war beim DAT eifrig im Einsatz. (Foto: Schelbert)

Das digitale Abstimmungsgerät war beim DAT eifrig im Einsatz. (Foto: Schelbert)


Es versprach ein diskurs- und entscheidungsfreudiger Apothekertag zu werden: Die Antragsmappe, die in München vorlag, war so dick wie nie. Doch statt selbstbewusst die Weichen für den Berufsstand zu stellen, machte sich in München die „Ausschusseritis“ breit, kritisiert DAV-Verleger Christian Rotta. 

Nicht weniger als 274 Seiten umfasste die (ressourcenintensive) Antragsmappe, die den Delegierten des diesjährigen Apothekertags in München vorlag. Und in der Tat: Anlässe für deutliche Statements und Positionierungen der Hauptversammlung gab und gibt es aktuell genug: Insbesondere die wie ein Damoklesschwert über den Apotheken schwebende Erhöhung des Kassenabschlags treibt den Berufsstand um und aufgrund der Personalnot arbeiten viele Apotheken und ihre Teams bereits heute am Limit. 

Aber auch strukturell und apothekenpolitisch stellen sich herausfordernde Fragen: Wie umgehen mit den sinkenden Apothekenzahlen? Droht beim Dispensierrecht – Paxlovid lässt grüßen – ein Dammbruch zugunsten der Ärzte (und sollten umgekehrt in engen Ausnahmefällen im Apothekennotdienst Dauermedikamente auch ohne Vorlage einer Verschreibung abgegeben werden dürfen)? Welche Konsequenzen hat die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) favorisierte Etablierung von Gesundheitskiosken für die Vor-Ort-Arzneimittelversorgung in Apotheken? Wie geht es mit E-Rezept und elektronischer Gesundheitsakte weiter? Und höchst brisant: Sind wir in unseren Apotheken und im Gesundheitswesen insgesamt ausreichend auf die für den Winter prognostizierte Corona-Welle vorbereitet?

Delegierte zeigen sich wenig entscheidungsfreudig

Es gab auf dem Apothekertag also viel zu diskutieren und zu entscheiden. Nur: Letzteres war in München eher die Ausnahme als die Regel. Anträge zur „Verweisung in den Ausschuss“ entwickelten sich in der Hauptversammlung zur Zauberformel, wenn es für die Delegierten galt, Farbe zu bekennen. Nur selten widerstanden die Delegierten der Versuchung, die weitere Behandlung von (vermeintlich) umstrittenen Anträgen den Gremien der ABDA zu überantworten.

Ausschusseritis: Hauptversammlung entzieht sich ihrer Verantwortung

Die Ausschusseritis, das gleichermaßen virtuose wie hemmungslose Jonglieren mit Geschäftsordnungsanträgen zur Beendigung inhaltlicher Diskurse, führte zu einer fatalen Selbstentmachtung der Hauptversammlung. Statt seine vornehmste Aufgabe wahrzunehmen, eigenständig und selbstbewusst Grundsatzentscheidungen zu treffen, berufspolitische Pflöcke einzuschlagen und inhaltliche Leitplanken zu setzen (die dann von den ABDA-Gremien dann dort, wo dies notwendig ist, noch auszugestalten und zu konkretisieren sind), entzog sich in München die Mehrheit der Delegierten bei zahlreichen Anträgen dieser Verantwortung. Noch nie gab es auf einem Apothekertag so viele Anträge wie dieses Jahr – und noch nie so viele, über die nicht entschieden wurde!

Ursächlich hierfür waren wohl mehrere Komponenten: zum einen eine beachtliche Anzahl suboptimal formulierter und auch in ihren Konsequenzen wenig durchdachter Anträge (bei denen offensichtlich auch die ABDA-Antragskommission vorab nicht Rücksprache mit den Antragstellern genommen hatte). Zum anderen ein Zeitkorsett, das die Delegierten stark unter Druck setzte und in dem es kaum möglich war, die fast hundert Anträge angemessen zu diskutieren – ein Korsett, das noch viel enger gewesen wäre, wenn die vorgesehene gesundheitspolitische Diskussionsrunde mit Vertretern der Bundestagsfraktionen nicht entfallen wäre, weil es hierfür reihenweise Absagen der zuständigen Politiker gehagelt hatte – aber das ist ein anderes Thema.

War die thematische Ausrichtung passend?

Und schließlich sei die Frage erlaubt, ob es eine gute Idee war, die Hauptversammlung 2022 unter das Generalthema „Klima, Pharmazie und Gesundheit“ zu stellen. Ohne Zweifel ist das Thema für uns alle von exorbitanter, ja existentieller Bedeutung. Dies haben auch die beeindruckenden Vorträge von Markus Rex, Claudia Traidl-Hoffmann und Martin Herrmann gezeigt. Eine andere Frage ist, ob eine Hauptversammlung für die hinreichende Durchdringung des Themas (einschließlich seiner Konsequenzen) der geeignete Ort ist. 

Wäre es nicht angemessener gewesen, das Thema „Klimawandel und Gesundheit“ interdisziplinär zusammen mit Akteuren, Verbänden und Einrichtungen anderer Gesundheitsberufe, etwa im Rahmen eines eigenständigen Kongresses, zu beleuchten? So blieb in München in einer eher mäandernden Debatte beim Thema Nachhaltigkeit vieles im Ungefähren. Auch hier landeten acht von elf Anträgen zum Thema „Klimaschutz und Nachhaltigkeit“ nach diversen Geschäftsordnungskaskaden – siehe oben – wieder in einem ABDA-Ausschuss oder -Gremium. Und nach Intervention des Hauptgeschäftsführers („Mindestens zwei neue Stellen mit Kosten im sechsstelligen Bereich“) konnte sich die Hauptversammlung nicht einmal zur Ernennung eines ABDA-Nachhaltigkeitsbeauftragten durchringen.

Apothekenspezifische Themen in den Mittelpunkt rücken

Bleibt zu hoffen, dass beim Programm des Apothekertags 2023 wieder die apothekenspezifischen und berufspolitischen Fragen im Vordergrund stehen, die dem Berufsstand unter den Nägeln brennen. Davon gibt es genug. Die Themen hierzu liegen vor uns. Man muss sie nur aufgreifen.


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6 Kommentare

Selbstentmachtung?

von Florian Becker am 23.09.2022 um 19:49 Uhr

Herr Rotta erläutert die Gründe, warum so viele Anträge nicht entschieden bzw. in Ausschüsse verwiesen wurden genau richtig.
Den Delegierten dann gleichzeitig aber mangelnde Entscheidungsfreudigkeit vorzuwerfen, halte ich für unangemessen.
Was sollte der Sinn sein, einen offensichtlich unausgegorenen Antrag -von denen es zahlreiche gab- zu entscheiden, nur damit etwas „entschieden“ wurde?
DAMIT würde sich der DAT ad absurdum führen.
Von der mangelnden Diskussionszeit ganz zu schweigen.

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Ich weiß auch nicht.

von Michael Mischer am 20.09.2022 um 13:22 Uhr

Mir fällt bei aller Phantasie nicht ein, wie die Förderung einer flächendeckenden Apothekenversorgung mit der Niederlassungsfreiheit und Abhängigkeit des Apothekenumsatzes (und damit am Ende auch des Gewinns) primär vom abgegebenen Arzneimittel zusammengehen soll. Ein Ausgleichsmechanismus, mit dem starke Apotheken schwache Apotheken stützen, wenn diese (von wem auch immer) als versorgungsrelevant eingestuft werden, ist vollkommen systemfremd und wohl auch nicht mehrheitsfähig.

Was die Ausschusseritis betrifft:
Man mag die Verweisung in einen Ausschuss als Beerdigung erster Klasse bezeichnen - vielleicht war sie aber hier auch teilweise das Bekenntnis, dass man die Idee eigentlich gut findet, de Umsetzung aber mangelhaft ist und ein Plenum derartiger Größe Textarbeit fast unmöglich macht. Insoweit stimme ich zu: Für juristische Bedenken und Formulierungsschwächen bedürfte es eines vorherigen Clearings - allerdings eines Clearings, das frei von Einflussnahme durch die Gremien ist, um keine Angriffspunkt zu geben, missliebige Anträge vorab zu filtern.

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Apothekensterben

von Holger am 20.09.2022 um 10:00 Uhr

Ach ich weiß nicht ....
Ich bin Krankenhausapotheker seit 1989 und habe in den Jahren von 1990 bis 2010 einen Rückgang der Zahl der Krankenhausapotheken um insgesamt 50% erlebt. Hat da jemand von "Krankenhausapothekensterben" gesprochen? Nö, nicht einmal wir Krankenhausapotheker selber! Es gab damals einen wirtschaftlich getriggerten Trend zur Zentralisierung. Die ist mittlerweile auf einem stabilen Niveau angekommen, die Anzahl der in Krankenhausapotheken tätigen Apotheker:innen STEIGT seit Jahren sogar langsam aber kontinuierlich. Wo ist das Problem?? Klar gibt es einen Rückgang der Zahl öffentlicher Apotheken. Aber von "Sterben" sind wir da doch weit weg.
Außerdem - warum soll ausgerechnet der Apotheker als (einziger?) Selbständiger vor unternehmerischem Scheitern in Form der Insolvenz gesellschaftlich geschützt werden?? Andere Selbständige würden uns vermutlich in der Realität willkommen heißen.

Es gibt kein Diktum, dass für die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln eine bestimmte Anzahl von Arzneimittelausgabestellen erforderlich ist. Aber wir dürfen uns doch nicht wundern, dass diejenigen, die vom Handel leben, sich hauptsächlich dort ansiedeln, wo mit Handel möglichst viel Geld zu verdienen ist? Und das ist eben nicht in der Peripherie, sondern möglichst zentral. Würde ich genauso machen, wenn das mein Geschäftsprinzip wäre. Wenn wir das umkehren wollten, müssten wir Vergütungssysteme finden, die nicht primär Größe belohnen. DAS wäre mal ein Antrag für einen DAT!! Nur würde der vermutlich nicht einmal in einem Ausschuss beerdigt, sondern direkt abgeschossen. Schließlich leisten sich vermutlich vornehmlich die Selbständigen unter den Apothekers einen mehrtägigen Aufenthalt in München (noch dazu mit Anschluss an das erste Wiesn-Wochenende - was für merkwürdige Zufälle es doch gibt ...), die in ihrer Apotheke abkömmlich sind. Und die werden gewiss nicht freiwillig an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen. Stattdessen fordern wir lieber (natürlich vergeblich!) "mehr Geld ins System" - das dann am Ende doch wieder vor allem bei den Größten landen würde. So wird datt nix ...

By the way:
Die Alternative, wenn wir das nicht selber in den Griff kriegen, wären ja gesellschaftlich organisierte Arzneimittelausgabestellen, in denen genauso angestellte Apotheker:innen arbeiten, wie in den derzeitigen Apotheken auch. Nur den selbständigen Inhaber, den gibt es da nicht mehr, sondern der Chef/die Chefin ist genauso angestellt. Ist es vielleicht DAS, vor dem die Mehrheit der lautstarken Apotheker:innen die größte Angst hat??

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Apothekertag der verpassten Gelegenheiten

von Dr. Gregor Huesmann am 20.09.2022 um 8:40 Uhr

Die Pharmazieehistorikerin Prof. Erika Hickel hat den Apothekerberuf mal als den Beruf der verpaßten Gelegenheiten bezeichnet. Das hat offensichtlich der Apohekertag wieder bewiesen. Wir hätten den heilberuflichen Ansatz unseres Berufes weiter entwickeln können. Durch Corona haben wir die Chance bekommen, unsere Kompetenz zu belegen. Das Eisen ist heiß und müsste jetzt geschmiedet werden. Aber wir tauchen ab in Ausschüsse. Leider auch ein Apothekertag der verpassten Gelegenheiten.

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Wem nützt so ein DAT?

von Ulrich Ströh am 19.09.2022 um 15:01 Uhr

Unbeantwortet blieb auf diesem Apothekertag auch die drängenden Fragestellungen zu Mitarbeitern und Gehältern….
Diskussionen um Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind zwar sinnvoll, dürfen aber einen DAT nicht zeitlich dominieren .
Chancen vertan!

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Generalthemaverfehlung...

von Thomas Eper am 19.09.2022 um 14:54 Uhr

Das mit Abstand größte Problem unseres Berufstandes ist unser "Aussterben".
Generalthema hätte "Apothekensterben" sein müssen.
Scheinbar hat es noch nicht bei allen den entsprechenden Stellenwert. Schade.

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