Die Top-12-Kinderarzneistoffe

Cetirizin: Manche brauchen hohe Dosen

Rosenheim - 23.09.2022, 07:00 Uhr

Im Kindes- und Jugendalter gilt Heuschnupfen in Deutschland als eine häufige Erkrankung. (s / Foto: zaikina / AdobeStock)

Im Kindes- und Jugendalter gilt Heuschnupfen in Deutschland als eine häufige Erkrankung. (s / Foto: zaikina / AdobeStock)


In der Serie „Die Top-12-Kinderarzneistoffe“ beleuchtet die DAZ die Arzneimittel, die laut TK-Arzneimittelreport am häufigsten von Kinder- und Jugendmedizinern verordnet werden, aber auch in der Selbstmedikation zum Einsatz kommen. Cetirizin ist gemäß TK-Erhebung das am häufigsten verordnete Antiallergikum. Bei chronischer idiopathischer Urtikaria dosieren Ärzte sogar bis zur vierfachen Tagesdosis – doch dann darf ein Blick auf Propylenglykol nicht fehlen!

Heuschnupfen ist mit einer 12-Monats-Prävalenz von rund 9 Prozent hierzulande eine häufige Erkrankung im Kindes- und Jugendalter. Natürlich ist Allergenkarenz die beste Therapie. Diese gelingt jedoch nur selten, sodass lokal wirksame oder orale Arzneistoffe die Beschwerden lindern müssen. Ganz vorne mit dabei ist Cetirizin. Es ist ein Antihistaminikum der zweiten Generation und blockiert langanhaltend und selektiv die peripheren H1-Rezeptoren. 

Der Wirkstoff ist ab zwei Jahren zur Linderung von Symptomen der saisonalen und perennialen allergischen Rhinitis sowie chronischer idiopathischer Urtikaria zugelassen. Eingesetzt wird er beispielsweise auch bei Neurodermitis oder als unterstützende Maßnahme bei asthmoiden Zuständen allergischer Herkunft. In der Praxis wird Cetirizin auch schon bei jüngeren Kindern angewendet, dann allerdings im Off-Label-Use. Je nach Alter und Vorliebe gibt es Saft, Tropfen, Schmelztabletten und Tabletten. 

Leider gesellt sich im Verlauf von Heuschnupfen häufig ein allergisches Asthma bronchiale dazu – ein sogenannter Etagenwechsel. Um diesem bestmöglich vorzubeugen, sollte auch Heuschnupfen konsequent behandelt und ärztlich abgeklärt werden. Aber Achtung: Cetirizin beeinflusst einen kutanen Allergietest. Es muss daher drei Tage vor der Diagnostik pausiert werden. Als Absetzsymptome können Urtikaria und Juckreiz auftreten, selbst wenn diese vor Therapiebeginn nicht vorlagen. 

Cetirizin: Kinder teilen Tagesdosis besser auf

Kinder bis 30 kg Körpergewicht nehmen als Standardtagesdosis 5 mg ein. Ab 30 kg beziehungsweise sechs Jahren ist die übliche Dosis 10 mg pro Tag. Mit einer terminalen Halbwertszeit von etwa zehn Stunden genügt für Erwachsene eine einmal tägliche Einnahme. Nicht jedoch bei Kindern! Denn sie verstoffwechseln Cetirizin schneller. Die Halbwertszeit beträgt im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren etwa sechs Stunden, bei jüngeren Kindern (zwei bis sechs Jahre) fünf Stunden und bei Säuglingen und Kleinkindern (sechs bis 24 Monate) ist sie sogar auf nur etwa drei Stunden verkürzt. Patienten unter zwölf Jahren teilen die Tagesdosis daher am besten auf zwei Einzeldosen morgens und abends auf.

Cetirizin ist ein Racemat und besteht zu gleichen Teilen aus rechts- und linksdrehenden Stereoisomeren. Da nur das R-Enantiomer antihistaminerg wirkt, genügt beim Einsatz von Levocetirizin die halbe Dosis. Es ist seit 2019 auch freiverkäuflich erhältlich.

Cetirizin wirkt innerhalb der Gruppe der Antihistaminika der zweiten Generation am stärksten sedierend. Daher bietet sich bei einmal täglicher Einnahme die abendliche Gabe an – zumal die Wirkung von Histamin nachts und frühmorgens ohnehin am stärksten ist. 

Bei Kindern sind sedierende Antihistaminika der ersten Generation wie Diphenhydramin hingegen selbst für die Nacht keine gute Wahl. Denn im Gegensatz zu Cetirizin beeinflussen sie den REM-Schlaf und können das Lernen und die kognitive Entwicklung negativ beeinträchtigen. Insbesondere unter drei Jahren sind auch paradoxe Reaktionen wie Unruhe oder Atemdepression möglich. Nicht-sedierende Wirkstoffe der 2. Generation wie Cetirizin sollten daher grundsätzlich gegenüber den zentral dämpfenden Wirkstoffen vorgezogen werden

Bei Urtikaria teils hohe Dosen von Cetirizin nötig

In Einzelfällen können die angegebenen Tagesdosen sogar überschritten werden, wie beispielsweise bei Urtikaria. Dabei klagen Betroffene über plötzlich auftretende, juckende Quaddeln. Diese flüssigkeitsgefüllten Schwellungen an der Hautoberfläche sind flüchtig und verschwinden meist innerhalb von ein bis 24 Stunden wieder, können aber einen hohen Leidensdruck verursachen. Da die Symptome im Wesentlichen durch die Histaminwirkung an Endothelzellen und sensorischen Nerven vermittelt werden, haben H1-Antihistaminika wie Cetirizin ihren festen Stellenwert in der Therapie. In einer Studie mit chronischer Urtikaria profitierten einige Patienten von einer Dosiserhöhung bis zur vierfachen Tagesdosis von Levocetirizin und Cetirizin, ohne dass sie dabei über ernste Nebenwirkungen oder verstärkte Müdigkeit klagten. 

Da der Saft für Kinder allerdings Propylenglykol enthält, darf im Hochdosisbereich ein kritischer Blick nicht fehlen. Das gilt insbesondere für Fälle, in denen noch weitere Arzneistoffe verabreicht werden. Denn durch die niedrige Aktivität der Alkohol- und Aldehyddehydrogenase kann der Hilfsstoff bei kleinen Kindern akkumulieren und ist insbesondere unter vier Jahren kritisch. Bei Kindern zwischen einem Monat und bis zu fünf Jahren gelten laut europäischer Arzneimittelagentur 50 mg/kg Körpergewicht als Höchstdosis, ab fünf Jahren dann 500 mg/kg pro Tag. Die Grenzwerte sollten nur unter sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko überschritten werden. Denn schlimmstenfalls drohen bei Überdosierung Leberschäden, Krampfanfälle und Herzarrhythmie bis hin zu letalem Ausgang. 


Anna Carolin Antropov, Apothekerin
redaktion@daz.online


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