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Was ist eigentlich los im deutschen Apothekenwesen? Es mangelt an allem: Mangel an Arzneimitteln: Jetzt werden schon OTCs knapp! Mangel an Botendiensten: Die Barmer beklagt, dass zu wenige Botendienste abgerechnet werden! Mangel an Personal: Apotheken werden verschenkt und in Brandenburg fehlt’s Personal für pharmazeutische Dienstleistungen. Und über allem: Mängel beim E-Rezept, die Rollouts sind gestoppt und die elektronische Gesundheitskarte kommt nicht voran. Dabei wollen Deutschlands Apotheken doch schnellstmöglich das E-Rezept einführen – sagt der DAV. Wo soll das alles nur hinführen?
31. Oktober 2022
Für die Barmer Krankenkasse rechnen die Apotheken zu wenige Botendienste ab. Laut einer intensiven Analyse dieser Kasse liege die Botendienstpauschale recht konstant bei 7 Prozent, also deutlich niedriger als vom Bundesgesundheitsministerium erwartet. Na sowas, mein liebes Tagebuch, möchte die Barmer gerne viel, viel mehr Botendienste honorieren? Was würde sie sagen, wenn die Apotheken vielleicht in 15 oder noch mehr Prozent der Fälle einen Boten losschicken und der Kasse dafür jeweils 2,50 Euro in Rechnung stellen? Nun ja, so will die Barmer das wohl nicht interpretiert sehen, nein, allein die 7 Prozent sind ihr wohl schon zu viel. Die Kassenbegründung: Der Botendienst hat als Kontaktvermeidungsinstrument sein Ziel verfehlt. Mein liebes Tagebuch, welche Kontaktvermeidung? Das mag anfangs der Grund für die Honorierung der Botendienstpauschale gewesen sein. Aber als das Botendiensthonorar von 5 Euro auf 2,50 Euro gekürzt und verstetigt wurde, stand ein anderes Ziel im Vordergrund, nämlich: Die Politik wollte den Botendienst auf eine wirtschaftliche Basis stellen, um den Patientinnen und Patienten diese wichtige und schnelle Versorgungsmöglichkeit zu erhalten und dort, wo noch nicht gegeben, zur Verfügung zu stellen. Letztlich sollte er auch ein Scherflein dazu beitragen, die Präsenzapotheken zu erhalten. So sieht’s aus, liebe Barmer. Und überhaupt, mein liebes Tagebuch: Es ist schon erstaunlich, welche Mühe und Arbeit sich die Kasse mit der Auswertung der Botendienst-Abrechnungen macht, die bei dieser Kasse gerade mal 1 Million Euro im Monat betragen. Da wird pingelig und im Kleinkarierten geguckt, wo und an welchen Orten, in welcher Stadt oder auf dem Land, für welche Distanzen und für welche Altersgruppen der Patienten Botendienste abgerechnet werden – als hätte man nichts Besseres zu tun. Die Kassen sollten zufrieden sein, dass die Apotheken so verantwortungsvoll mit den Botendiensten umgehen. DAZ-Autorin Christina Grünberg meint dazu: „Die rund 12 Millionen Euro im Jahr für eine Dienstleistung, die im konkreten Einzelfall unmittelbar hilft, die Versorgung der Menschen mit Arzneimitteln zu sichern, sind doch verschwindend gering im Vergleich zu den mehr als 1,4 Milliarden Euro, die im selben Zeitraum bei einer einzelnen Kasse für Verwaltungstätigkeiten anfallen.“ So ist es.
Der neue Vorsitzende des Apothekerverbands Schleswig-Holstein, Hans-Günter Lund, zeigte sich auf der Mitgliederversammlung seines Verbands kämpferisch. Das beschlossene Lauterbachsche Spargesetz mit dem erhöhten Kassenabschlag stößt Lund äußerst sauer auf: Es sei „eine Frechheit sondergleichen“, wenn Lauterbach jetzt von irgendwelchen Effizienzreserven bei den Apotheken spreche. Viele Apotheken kämpfen in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten um das Überleben. Und daher sollte der jüngste Streik ein Zeichen setzen, was wäre, wenn die Apotheken nicht mehr da wären. Für Lund war der kleine Streik aber nur der Anfang, er kündigte weitere Aktionen an, „nicht nur Reaktion“. Lund freut sich bereits auf „schöne Ideen“ der Mitglieder „für die nächste „Eskalationsstufe“. Mein liebes Tagebuch, so ist’s recht. Bei dem kleinen Protest in nur wenigen Bundesländern darf es nicht bleiben, zumal Lauterbach ebenfalls seine nächste Stufe, ein umfangreiches Reformgesetz, angekündigt hat. Georg Zwenke, Geschäftsführer beim schleswig-holsteinischen Apothekerverband, machte zudem weitere Probleme deutlich, die auf die Apotheken zukommen, z. B. ein steigendes Inkassorisiko durch den erhöhten Herstellerabschlag. Worauf er auch hinwies: Es geht nicht nur darum neue Belastungen abzuwehren, man müsse endlich mehr Honorar fordern – und zwar mindestens zehn Prozent mehr, um die höheren Kosten aufzufangen. Und er sagte auch, dass die honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen irgendwelche anderen Verluste nicht kompensieren könnten. Mein liebes Tagebuch, vollkommen richtig! Es wird Zeit, dass wir mit der Politik Tacheles reden und uns nicht mit Sonntagsreden und Beschwichtigungen abgeben. Wir waren lange genug die braven Buben und Mädchen – wir müssen es krachen lassen.
1. November 2022
Er will es wirklich machen: Apotheker Gerald Hanbuch verschenkt eine seiner drei Apotheken. Nicht, weil der Laden nicht läuft, sondern aus Personalmangel. Es findet sich einfach keine Filialleitung, die gewillt ist, die Belastungen eines Apothekers, einer Apothekerin in Selbstständigkeit auf sich zu nehmen. Wie sagt Hanbuch so nett in meinem Podcast-Gespräch mit ihm: Selbstständig bedeutet eben, dass man alles selbst und ständig machen muss. Eine gute Work-Life-Balance bedeutet für viele eben mehr als eine Karriere und eine eigene Apotheke. Mein liebes Tagebuch, klar, das mag für manche so sein, andererseits laden aber auch die Rahmenbedingungen nicht dazu ein, sich für eine eigene Apotheke zu entscheiden: die überbordende Bürokratie, die politischen Rahmenbedingungen, die Unwägbarkeiten der Zukunft – auch das sollten wir der Politik ins Stammbuch schreiben. Wenn es in Zukunft noch Apotheken mit persönlich haftenden Inhaberinnen und Inhabern geben soll, muss mehr Verlässlichkeit ins System.
2. November 2022
Der Brief, den Kai Christiansen, Chef des Apothekerverbands Schleswig-Holstein an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geschrieben hat, stößt dort auf offene Ohren. „Sparen Sie uns nicht zu Tode“, appellierte Christiansen an Habeck und machte beispielsweise auf das unsägliche Retaxgebaren von Krankenkassen aufmerksam, die die Apotheken auf Null retaxieren, wenn die Dosierungsangaben fehlten. Habecks Büro kündigte an, diese Praktik der Krankenkassen auf den Prüfstand zu stellen. Mein liebes Tagebuch, klingt gut – dann wollen wir mal hoffen, dass sich hier etwas tut. Immerhin, so schreibt das Büro Habeck, sei es gelungen, per Änderungsantrag zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz das BMG zu verpflichten, bis Ende September 2023 Empfehlungen zum Bürokratieabbau im Gesundheitswesen zu erarbeiten: „Darunter verstehen wir beispielsweise auch die Abschaffung von Retaxationen bei einfachen Fehlern des oder der verordnenden Ärzt*in wie beispielsweise eine fehlende Dosierangabe, heißt es in der Antwort aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Also, dran bleiben, da muss sich was tun. Die vorübergehende Erhöhung des Apothekenabschlags hält das Habeck-Ministerium dagegen für tragbar, auch wenn sie im Einzelfall schmerzlich sei. Mein liebes Tagebuch, das war auch nicht anders zu erwarten, aber immerhin will man sich im Habeck-Büro „um angemessene Lösungen bemühen“, um die Preissteigerungen durch Energiekosten und Inflation zu mildern. Vielleicht kann dies dann Kai Christiansen im persönlichen Gespräch mit Habeck klären und eine längst überfällige Honorarerhöhung für die Apotheken einfordern – wenn das Gespräch zustande kommt. Drücken wir die Daumen.
3. November 2022
Wird das E-Rezept in Deutschland zur Lachnummer? Bisher musste der neue Berliner Flughafen BER immer wieder gerne für die besondere Schaffenskraft und Leistungsfähigkeit unseres Landes herhalten. Das E-Rezept könnte bald die Nachfolge antreten. Denn mittlerweile haben sich die beiden Pilotregionen Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe erstmal vom Rollout des E-Rezepts verabschiedet. Datenschützer hatten zunächst in Schleswig-Holstein den dort häufig praktizierten Weg der E-Rezept-Übertragung per E-Mail oder SMS untersagt und nun hat sich auch Westfalen-Lippe vom Rollout zurückgezogen und macht erstmal nicht mehr mit. Grund ist hier, dass Datenschützer die Übertragung des E-Rezepts über die elektronische Gesundheitskarte (eGK) in der jetzigen Form, also ohne PIN oder sonstigen Schutz, kritisierten. Das E-Rezept auf Papier auszudrucken – dagegen wehren sich die Ärzte, das sei nicht zumutbar. Mein liebes Tagebuch, dass die Datenschützer eine eGK ohne PIN kritisierten und nicht für sicher halten, dürfte wohl richtig sein. Und so fragt man sich, wie die Gematik oder wer auch immer „vergessen“ konnte, eine eGK ohne PIN-Nutzung ins Rennen zu schicken? Mein liebes Tagebuch, so wird sich die flächendeckende und rasche Nutzung des E-Rezepts erneut verzögern und weit bis ins nächste Jahr dahindümpeln.
4. November 2022
Das hätten wir uns noch vor einigen Jahren kaum vorstellen können: Lieferengpässe bei OTCs! An die Lieferengpässe bei Rx-Arzneimitteln, z. B. Antibiotika, Cholesterinsenker oder Protonenpumpenhemmer haben wir uns mittlerweile gewöhnt, aber Lücken und Nachschubprobleme bei gängigen OTC-Arzneimitteln von Ambroxol bis Wick Medinait sind relativ neu. 92 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einer DAZ.online-Umfrage sagten, dass sie mehrmals am Tag mit OTC-Lieferengpässen konfrontiert sind. Neben dieser Belastung bei der Suche nach Alternativen kommt auf das Personal im Handverkauf auch noch in vielen Fällen der Ärger und Frust der Kunden hinzu, wenn sie ihr gewohntes Präparat nicht erhalten können. Mein liebes Tagebuch, während früher die Apothekenlager vor Ware überquollen, klemmt es heute hinten und vorne. Aber warum ist das so? Warum können Großhandel und Hersteller nicht liefern? Womit werden die Engpässe erklärt? Produktionsschwierigkeiten bei Arzneistoffen in Indien und China? Logistikprobleme? Ein paar Erklärungen von Industrie und Großhandel wären dringend angebracht, aber vor allem die Absicht, diese Zustände beseitigen zu wollen.
Nochmal zum E-Rezept-Desaster. Kurz zusammengefasst der Stand der Dinge: Der Rollout in Deutschland ist so gut wie gestoppt bzw. dümpelt vor sich hin, die Datenschützer sehen Datenlücken, die Ärzte in den Rollout-Regionen Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe haben die Notbremse gezogen, die Gematik-App mit Kassen-PIN bekommen die wenigsten Versicherten zum Laufen, der Papierausdruck für die E-Rezept-QR-Token ist nur eine Krücke, die vor allem den Ärzten überhaupt nicht gefällt (Drucker- und Papierkosten!).Und die elegante und eigentlich logische und einfache Lösung, nämlich die elektronische Gesundheitskarte (eGK), ist für die Datenschützer derzeit noch zu unsicher, da sie nicht PIN-geschützt ist. Aber warum wurde die eGK bei der Entwicklung des E-Rezepts so stiefmütterlich behandelt und nicht als primäres Transportmittel verfolgt? Seltsam. Mein liebes Tagebuch, da kann man doch nur da Fazit ziehen: Können Planung und Einführung eines E-Rezepts eleganter und kompetenter verlaufen? Immerhin verkündet der Deutsche Apothekerverband (DAV) stolz und selbstbewusst: „Die deutschen Apotheken sind bundesweit bereit für das E-Rezept, nachdem sie sich in den vergangenen Jahren mit großem technischen, organisatorischen und personellem Aufwand darauf vorbereitet haben“, lässt Anke Rüdinger vom DAV-Vorstand wissen. Nun ja, mein liebes Tagebuch, kommt draußen vermutlich nicht gut an, wenn wir uns so an die Brust klopfen: Wir Apothekers waren halt schon immer die Musterschülerinnen und -schüler, wir lernen eben auch Telefonbücher auswendig, wenn es uns befohlen wird und fragen nicht warum, sondern nur bis wann. Und warum drängen wir so sehr aufs E-Rezept? Sind wir nicht froh um jeden Monat, in dem die EU-Versender nicht die E-Rezepte abgreifen? Bis jetzt läufts’s doch auch noch mit dem Papierrezept ganz geschmeidig. Und außerdem sollten wir doch abwarten, bis die elektronische Gesundheitskarte, natürlich datenschutzkonform, fürs E-Rezept nutzbar ist: Denn die eGK werden die meisten Versicherten wohl nicht bei EU-Versender einsetzen können…
Personalmangel für Apotheken gibt’s in ganz Deutschland, aber in Brandenburg ganz besonders – und daher können die Brandenburger Apotheken, im Gegensatz zu den Apotheken in den übrigen Bundesländern, bisher kaum die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen anbieten. Darauf macht Brandenburgs Kammerpräsident Jens Dobbert aufmerksam. Er findet das sehr schade und nachteilig für die Patientinnen und Patienten, wenn die brandenburgischen Apotheken wegen Personalmangel hier nicht mitziehen können. Das sollte auch für die Politik ein Warnsignal sein. Genau, mein liebes Tagebuch, vielleicht erkennt jetzt endlich die brandenburgische Gesundheitspolitik, dass es in diesem Bundesland ein pharmazeutisches Institut geben sollte, um mehr Apothekerinnen und Apotheker auszubilden. Ist schon toll, wie Brandenburgs Kammerpräsident nicht aufgibt und für einen pharmazeutischen Studiengang in seinem Land kämpft.
11 Kommentare
Warum
von ratatoske am 07.11.2022 um 15:42 Uhr
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Frustration
von Karl Friedrich Müller am 06.11.2022 um 14:29 Uhr
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AW: Frustration
von Karl Friedrich Müller am 06.11.2022 um 14:47 Uhr
AW: Frustration
von Thomas Beck am 06.11.2022 um 17:26 Uhr
So ist es!
von Linda F. am 06.11.2022 um 12:35 Uhr
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Terrorliste
von Dr. Radman am 06.11.2022 um 11:17 Uhr
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AW: Terrorliste
von Dr.Diefenbach am 06.11.2022 um 12:01 Uhr
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von Anita Peter am 06.11.2022 um 9:34 Uhr
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AW: .was gemeint ist
von Karl Friedrich Müller am 06.11.2022 um 10:38 Uhr
Mein liebes Tagebuch
von Bernd Haase am 06.11.2022 um 8:43 Uhr
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AW: Mein liebes Tagebuch
von Anita Peter am 06.11.2022 um 9:25 Uhr
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