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Long-Covid-Kongress
Für Lauterbach ist Long-Covid ein „forschungsmäßiger Notfall“
Bundesgesundheitsminister Lauterbach erklärte zum ersten Kongress des Ärzte- und Ärztinnenverbandes Long Covid, die Krankheit sei ein „forschungsmäßiger Notfall“. Denn die vielen Symptome würden die Lebensqualität wesentlich senken und Long Covid betreffe sehr viele Menschen. Der Kongress brachte Forscher und Betroffene zusammen und zeigte, dass in der Versorgung und in der Forschung viel zu tun ist.
Es begann im Mai 2020 mit dem Hashtag #longcovid. Daraus entstanden der Betroffenenverband Long Covid Deutschland und der Ärzte- und Ärztinnenverband Long Covid. Letzterer richtete am Freitag und Samstag mit der Uniklinik Jena unter der Schirmherrschaft des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow den ersten Ärzte- und Ärztinnenkongress Long Covid als Hybridtagung aus. In Jena oder online nahmen etwa 2400 Gäste an den Fachvorträgen, der Podiumsdiskussion oder dem Betroffenenforum teil.
Vielfältiges Syndrom erfordert interdisziplinären Ansatz
Kongresspräsident Dr. Daniel Vilser betonte vor der Tagung die Komplexität der Erkrankung, die wie kaum eine andere die Zusammenarbeit in der Medizin erfordere. Dies spiegele sich im Kongressprogramm wider, das auch die Betroffenen involviere. Vilser erklärte, es gehe um Patienten, die absolut nicht in der Lage seien, ihren Alltag zu meistern, bis zur Bettlägerigkeit. Dazu könnten Schmerzen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Luftnot, Schlafstörungen und viele weitere Symptome kommen.
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Prof. Dr. Martin Walter als weiterer Kongresspräsident beschrieb das krankheitsspezifische Problem der Belastungsintoleranz. Dabei könnten schon leichte Überforderungen mit einer Verzögerung zu einer längeren Verschlechterung führen, sodass die Betroffenen immer wieder neue Rückschläge erfahren. Außerdem erklärte Walter, es sei wichtig, dass möglichst viele Ärzte mit dem neuen Krankheitsbild vertraut gemacht werden. Nur so könnten Betroffene schnell erkannt werden.
Lauterbach sieht Arbeit erst am Anfang
In einem Grußwort erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, die Betroffenen hätten keine klare Perspektive und wüssten nicht, was auf sie zukommt. Aus wissenschaftlicher Sicht sei die Vielfalt der Aspekte bei Long Covid „unfassbar spannend“. Es gebe immensen Forschungsbedarf, wobei die Forschung auch Erkenntnisse zu anderen Erkrankungen verspreche. Vieles spreche dafür, dass Long Covid mehrere Krankheitsbilder umfasst. Die vielen Symptome hätten gemeinsam, dass sie die Lebensqualität wesentlich senken. Darum und wegen der großen Zahl der Betroffenen ist Long Covid für Lauterbach ein „forschungsmäßiger Notfall“. Daher verhandle er derzeit über ein großes Forschungsprogramm, erklärte Lauterbach, räumte aber ein, dass die Arbeit erst am Anfang stehe. Bis Februar werde alles zusammengetragen. Außerdem forderte Lauterbach, jeder in der ambulanten Versorgung müsse wissen, auf was bei Long Covid zu achten sei. Die Spezialambulanzen könnten nicht alle Patienten versorgen. Die Versorgung zu fördern, solle daher ein Schwerpunkt seiner Arbeit sein. Er kündigte Versorgungspfade vom Gemeinsamen Bundesausschuss an, die lange Odysseen der Patienten ohne Diagnose verhindern sollen. Nötig sei auch mehr Aufklärung über die Erkrankung, insbesondere für Arbeitgeber. Dazu diene beispielsweise das Informationsportal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Symptomorientiertes Vorgehen gefragt
In der anschließenden Podiumsdiskussion betonte Dr. Jördis Frommhold, Präsidentin des Ärzte- und Ärztinnenverbandes Long Covid, die praktischen Probleme bei der derzeitigen Versorgung. Sie forderte ein symptomorientiertes Vorgehen. Denn alle alternativ möglichen Ursachen auszuschließen, könne sehr aufwendig und unpraktikabel sein. Es gehöre auch zur ärztlichen Tätigkeit, die Menschen anzuhören. Die Versorgungssysteme müssten sich auf die Konsequenzen für Beruf und Schule einrichten. Dagegen erklärte Dr. Ellen Lundershausen, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, eine Ausschlussdiagnose sei problematisch. Außerdem seien die Hausärzte schon jetzt am Limit und hätten nicht mehr Zeit.
Klinische Diagnose möglich und nötig
Die selbst betroffene Ärztin Dr. Claudia Ellert, Betroffenenverband Long Covid, erläuterte, was die Krankheit bedeutet. Durch die Belastungsintoleranz breche die eigene Identität weg. Das anzunehmen und nicht dagegen vorzugehen, sei das eigentliche Problem. Es gehe darum, die eigenen Grenzen zu finden, die individuell sehr verschieden sein können und sich auch ändern. Long-Covid sei aber nicht so diffus, wie oft behauptet werde. Dazu verwies Ellert auf Prof. Dr. Akiko Iwasaki, Universität Yale, die wenige Stunden zuvor in einem Vortrag erklärt hatte, dass Long-Covid in 94 Prozent der Fälle durch eine Befragung festzustellen sei. „Betroffene beschreiben es so klar, da verliert sich das Diffuse“, erklärte Ellert. Zugleich forderte sie verschiedene Ausprägungen und Schweregrade unterschiedlich zu bezeichnen. Long-Covid als gemeinsamer Begriff für andauernde Geruchsstörungen und für Menschen, die das Haus nicht verlassen können, sei für die Vermittlung in der Öffentlichkeit schlecht.
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Frommhold bestätigte, dass mit Erfahrung aus dem klinischen Bild eine Diagnose zu stellen sei und auch Cluster verschiedener Krankheitsbilder unterschieden werden könnten. Sie war bisher Leiterin einer spezialisierten Reha-Klinik in Heiligendamm und hat Anfang Oktober das Institut Long Covid in Rostock eröffnet, das künftig eine Patientenlotsenfuntion übernehmen soll. Auf die Frage nach Patienten, die nach einer Corona-Impfung ohne Infektion das Long-Covid-Syndrom entwickeln, erklärte Frommhold, diese Fälle würden oft nicht richtig erfasst, sodass ihre Zahl unbekannt sei. Doch auch diese Patienten müssten jetzt beachtet werden. „Die fallen hinten über“, mahnte Frommhold.
Overkill für die Gesellschaft
Für Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen, zeigt sich durch die Pandemie und ihre Folgen, was schon vorher im Gesundheitswesen falsch gelaufen sei. Er sei gerne Schirmherr des Kongresses, weil der Kongress Probleme sichtbar mache und auch die Betroffenenperspektive zeige. Long Covid sei eine soziale Katastrophe, weil die Betroffenen nicht wüssten, wie sie abgesichert sind. Dazu komme die Schere im Kopf. Die Betroffenen hätten Angst als Simulanten dazustehen, was alles noch schlimmer mache. Zur gesellschaftlichen Dimension verwies Ramelow auf die sinkende Zahl der Erwerbstätigen als Folge der demografischen Entwicklung. Wenn jetzt viele junge Menschen zusätzlich ausfallen, sei das der „Overkill“. Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, erklärte, die Politik dürfe es mit Long Covid nicht machen „wie immer“. Es seien Kompetenzzentren nötig und die Politik müsse „jetzt loslegen“. Ralf Hermes, Vorstand der IKK - die Innovationskasse, forderte, die Versorgung der Betroffenen dürfe kein Thema für den Wettbewerb unter den Kassen sein. Das Geld für Long Covid müsse da sein und die Kassen müssten es auch ausgeben und die Patienten versorgen dürfen, ohne dass dies als Untreue ausgelegt wird. Sorge entgegnete, es liege auch an den Kassen selbst, was sie finanzieren.
Pragmatische Ansätze und mehr Forschung gefragt
Ellert mahnte, solche Debatten würden inhaltliche Lösungen verhindern. Deshalb sei jetzt eine Priorisierung für diese Aufgaben nötig. Sie habe bisher nicht das Gefühl, dass die Politik das Problem verstanden habe. Es werde über langfristige Folgen gesprochen, aber stattdessen sollte erforscht werden, wie den Patienten zu helfen sei. Dafür sei jetzt viel mehr Geld nötig. Doch es gebe auch keine Versorgung in der Breite. Mit Ausnahme weniger Zentren würden die Menschen allein gelassen. Viele hätten Angst, über ihre Einschränkungen zu sprechen und würden dann über ihre Grenzen gehen, wodurch die Krankheit chronifiziere. Damit müssten sich auch die Arbeitgeber befassen. Frommhold forderte ein Umdenken im Arbeitsleben zuzulassen und eine neue Kultur zu schaffen. Lundershausen ergänzte, auch die Ärzte müssten in Fortbildungen noch mehr zu Long Covid erfahren. Der Beirat der Bundesärztekammer habe ein Papier dazu zusammengetragen, das nun bei den Ärzten verbreitet werde. Ellert forderte Orientierung zur Diagnose und Therapie für Primärärzte. Es gebe viele gute Aktionen, die aber in der Versorgung ankommen müssten. Dies war auch eine häufige Bemerkung in den Diskussionen zu den Vorträgen des wissenschaftlichen Programms.
Dort zeigte sich auch, dass international mit viel mehr Ressourceneinsatz an Long Covid geforscht wird. Um eine mögliche Rolle der Apotheken ging es auf dem Kongress nicht, aber die vielfach beschriebenen Probleme der Betroffenen bei der Suche nach einer angemessenen Versorgung lassen erwarten, dass viele auch Rat in Apotheken suchen. Ein Bericht über die Fachvorträge, auch über die diskutierten Arzneitherapien, wird für die DAZ vorbereitet.
12 Kommentare
Wozu der Aufwand?
von Dr. House am 26.11.2022 um 16:17 Uhr
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Kongress ME/CFS POTS SmallFiber sind nicht neu
von Sibylle am 25.11.2022 um 17:52 Uhr
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Long covid / ME/CFS
von Christina Kaleve am 22.11.2022 um 18:26 Uhr
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Kommentar
von Piepenhagen am 22.11.2022 um 16:48 Uhr
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Long Covid/ MeCfs/ Post Vac
von Nadine Eisenhardt am 22.11.2022 um 15:43 Uhr
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Deutlich mehr Forschung nötig! Studien fehlen immer noch nach 3 Jahren Pandemie
von Christine Möker am 22.11.2022 um 12:35 Uhr
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Long Covid
von Iris Wieland am 22.11.2022 um 12:22 Uhr
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Impfgeschädigte, die sich nicht mehr äußern können
von Renata Holzwarth am 22.11.2022 um 12:11 Uhr
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von Sabine am 22.11.2022 um 11:18 Uhr
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ME/CFS
von Anke Gioia am 22.11.2022 um 10:56 Uhr
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von Steffi Köhlke am 22.11.2022 um 10:52 Uhr
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von Arpad Kovac am 21.11.2022 um 18:57 Uhr
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