Lieferengpässe bei Kinderarzneimitteln (Teil 1): Der Apotheker

„Ich würde mir wünschen, dass wir mehr Pharmazeuten sein dürfen”

Hamburg - 13.12.2022, 17:50 Uhr

Engpässe bestimmen derzeit den Alltag in den Apotheken. (s / Foto: Schelbert)

Engpässe bestimmen derzeit den Alltag in den Apotheken. (s / Foto: Schelbert)


 Schon lange gibt es Lieferengpässe bei Fiebersäften für Kinder. Nun werden auch Kinder-Antibiotika knapp. Was bedeutet das für die Apotheken – und für die Industrie? Ein Apotheker und ein Pharmaunternehmer berichten über ihren Umgang mit den Engpässen und machen Lösungsvorschläge.  

Felix Weber ist angestellter Apotheker in der Ausbüttels Apotheke im eks in Dortmund. Seit Ende Juli ist auch diese von Lieferschwierigkeiten bei den Fiebersäften betroffen. Wie in vielen anderen Apotheken wich man bei den Fiebersäften auf die Eigenproduktion aus. Für die Mitarbeiter ein ziemlicher Arbeitsaufwand: „Wir haben inzwischen schon über 1.000 Rezepturen selbst hergestellt”, sagt Weber. „Das bindet natürlich Personal und wir würden gerne jemand nur für die Rezeptur einstellen.“ Auch bei der Eigenproduktion gab es zudem das Problem, dass Rohstoffe vorübergehend knapp wurden: „Ibuprofen Substanz war zwischendurch schwer zu bekommen”, so Weber. Die Akzeptanz bei den Kunden sei sehr unterschiedlich. „Es ist natürlich nicht ganz das gleiche Produkt, da können wir nichts machen. Manche sagen, dass unsere Rezeptur besser schmeckt, andere erzählen, dass der Saft von ihren Kindern nicht so gut angenommen wird.“

Die Lieferschwierigkeiten bei Antibiotika-Säften wirken sich in der Dortmunder Apotheke noch nicht so stark aus. „Wir hatten Glück und haben vor drei Monaten von vielem, was verfügbar war, größere Mengen bestellt“, sagt Weber. Bestimmte Dosierungen seien aber trotzdem nicht mehr verfügbar: „Amoxi 250 Säfte gibt es zum Beispiel gar nicht”, so der Apotheker. Noch sei es möglich, auf andere Dosierungen und Präparate auszuweichen. Was bei den Trockensäften eine Umstellung bei der Zubereitung bedeute. Und einen erhöhten Beratungsaufwand für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Apotheke.

Antibiotika-Säfte von Infectopharm, für die seit Dezember eine Zuzahlung fällig wird, musste Weber bisher noch nicht an Kunden abgeben. „Wir haben derzeit noch genug andere Produkte, für die es noch keine Zuzahlung gibt.“

Gute Zusammenarbeit mit den Ärzten erleichtert den Umgang mit Engpässen

Der Umgang mit den Lieferschwierigkeiten werde zudem dadurch erleichtert, dass die Apotheke gut mit den Kinderärzten zusammenarbeitet, sagt Weber. In unmittelbarer Nähe zur Apotheke gebe es eine stark frequentierte Kinderarztpraxis, mit der man sich bestmöglich abstimme. Sobald er oder seine Kollegen in der Datenbank des BfArM sehen, dass es bei einem Kinderarzneimittel einen Engpass gibt oder bald ein Engpass zu erwarten ist, geben sie das an die Ärzte weiter. „Wir machen zweimal die Woche eine Liste von allen Kinderarzneimitteln, die nicht lieferbar sind. Dann listen wir eine alternative Packungsgröße Wirkstoff oder Dosierung auf, zum Beispiel Amoxi 125 oder 500, statt Amoxi 250. Und im Idealfall verschreiben das die Ärzte dann auch.” 

Unflexible Ärzte erschweren die Versorgung

Derzeit gilt noch die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung, die die Versorgung während der Pandemie sicherstellen und erleichtern sollte. Ist ein Präparat nicht lieferbar, dürfen wirkstoffgleiche Arzneimittel, andere Packungsgrößen oder Wirkstärken auch ohne Rücksprache mit dem Arzt abgegeben werden.  
Bei einem nicht wirkstoffgleichen Präparat ist hingegen noch Rücksprache erforderlich. Ist ein Arzt hierbei nicht flexibel, müssen Eltern derzeit sämtliche Apotheken abfragen. „Es kamen vor kurzem Eltern mit einem Rezept, von ziemlich weit her, das habe ich an der Postleitzahl gesehen“, erinnert sich Weber. „Das lag daran, dass ihr Arzt nur Ibuflam verschreiben wollte. Sie hatten schon 20 Apotheken abgeklappert, aber wir konnten ihnen auch nicht weiterhelfen.“ 

Dass Apotheker relativ geringen Spielraum haben, mache die Suche nach Alternativen bei Lieferengpässen oft kompliziert, sagt Weber. Ein Riesenproblem sei zum Beispiel auch ein Engpass bei ACC-Kindersaft als Hustenlöser und Ambroxol Hustensaft. ACC-Tabletten, eine mögliche Alternative, könnten aber nicht ersatzweise abgegeben werden, weil es sie nur auf Rezept gibt. Es bleiben also nur die Brausetabletten.  

Weber wünscht sich mehr Freiheiten

Webers Vorschlag wäre, den Apothekern bei Lieferengpässen mehr Freiheiten einzuräumen. „Ich würde mir wünschen, dass wir mehr Pharmazeuten sein dürfen und auch ohne Rücksprache Alternativen abgeben dürfen, wenn ein Medikament nicht lieferbar ist”, sagt er.

Die Lieferschwierigkeiten bei Kinder-Arzneimitteln sorgen derzeit nicht nur bei Apothekern, sondern auch in der Industrie für Frust. Das hessische Pharmaunternehmen Infectopharm hat vor kurzem in einem offenen Brief an Gesundheitsminister Karl Lauterbach davor gewarnt, dass in diesem Winter Antibiotika für Kinder knapp werden könnten. Es drohten „erhebliche Versorgungsengpässe bei Penicillin und Amoxicillin-Säften.“

In dem Brief hatte das Unternehmen auch erklärt, es sehe sich gezwungen, die Preise über den Festpreis hinaus zu erhöhen, um weiterhin den Markt für Kinder-Antibiotikasäfte bedienen zu können, ohne unwirtschaftlich zu werden. Seit Dezember verlangt Infectomox für alle seine Antibiotikasäfte im Großhandel rund drei Euro mehr. Für Eltern bedeutet das, dass sie eine Zuzahlung leisten müssen.

Lesen Sie morgen warum sich Infectopharm gezwungen sah, die Preise zu erhöhen und welche Vorschläge als Unternehmen für eine fairere Festpreispolitik hat. 


Irene Habich, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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