Aus der Apotheke, für die Apotheke (Teil 2)

Whatsin: Die unverträgliche Form des Seins

München - 05.01.2023, 07:00 Uhr

Die Idee für die App Whatsin kam Maximilian Wilke bei seiner Arbeit in der Apotheke.  (Foto: Screenshot  www.whatsinmymeds.de)

Die Idee für die App Whatsin kam Maximilian Wilke bei seiner Arbeit in der Apotheke.  (Foto: Screenshot  www.whatsinmymeds.de)


Unverträglichkeiten gibt es nicht nur bei der Einnahme von Lebensmitteln, sondern auch im Zusammenhang mit Arzneimitteln. Damit Patienten selbständig recherchieren können, welche Medikamente sie vertragen oder eben nicht, hat der Berliner Apotheker Maximilian Wilke die Smartphone-App Whatsin entwickelt. Über 10.000 Nutzer greifen bereits auf diesen Wissensfundus zu – und es könnten noch viel mehr werden. Wilkes nächstes Ziel: die Zulassung für Whatsin als digitale Gesundheitsanwendung (Diga) zu erhalten.

Man kann Maximilian Wilke, 41, nicht vorhalten, dass er es beruflich ruhig angehen lassen würde. Neben seiner einen hauptberuflichen Tätigkeit als angestellter Apotheker in einer Berliner Apotheke geht er seit rund vier Jahren seiner zweiten hauptberuflichen Tätigkeit als Unternehmer nach. Mit seiner Firma Vitalfunktion GmbH gibt er eine Smartphone-App heraus, die sich Nutzer unter dem Kurznamen „Whatsin“ herunterladen können. Mit Hilfe der digitalen Anwendung können Patienten, die eine bestimmte Intoleranz haben, prüfen oder in der Apotheke prüfen lassen, welche Arzneimittel sie vertragen – und welche nicht. Ob Lactoseintoleranz, Fructoseintoleranz, Glutenunverträglichkeit oder Histaminintoleranz – Wilkes App gleicht derartige gesundheitliche Einschränkungen mit den entsprechenden Inhaltsstoffen von Arzneimitteln ab.

Eine Idee und viel Arbeit

Die Idee für Whatsin kam Wilke im Jahr 2017. Damals, erzählt er, stellte er durch seine Tätigkeit in der Apotheke fest, dass immer mehr Menschen wissen wollten, welche Inhaltsstoffe in Arzneimitteln enthalten sind und ob sich diese mit einer vorliegenden Unverträglichkeit vereinbaren lassen. „Die sind eben nicht nur bei Lebensmitteln weit verbreitet, sondern auch bei Arzneimitteln“, so Wilke. 

Weil es eine passende Software bis dato nicht gab, machte sich der Unternehmer an die Arbeit. Es wurde eine Menge Arbeit. Denn neben der Entwicklung der App musste diese mit zahllosen Daten befüllt werden. Die Inhalte bezieht Wilke zu einem Teil aus der Gelben Liste. Darüber hinaus betrieb und betreibt er intensive eigene Recherchen und baute eine eigene Datenbank zu Unverträglichkeiten auf. 

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Die Arbeit lastet weitgehend allein auf seinen Schultern – Whatsin ist vor allem eine One-Man-Show. Abgesehen von der Unterstützung durch einen Programmierer und ein Beratergremium, bestehend aus erfahrenen Unternehmern, konstruiert, recherchiert und implementiert Wilke alles selber.

Langsam, Schritt für Schritt ist er dabei in den vergangenen Jahren vorangegangen. „Damit habe ich mir fundamentale Fehler erspart. Ich habe erst ein funktionsfähiges Produkt erschaffen, ehe ich mir über die Farbe des Logos Gedanken gemacht habe.“ Mittlerweile ist sein Start-Up einen großen Schritt weiter, denn 2020 wurde die digitale Anwendung als Medizinprodukt der Klasse I zugelassen.

Verständlich auch für Laien

Formal und funktional ist ihm an seiner App wichtig, dass sie so einfach wie möglich gehalten und leicht bedienbar ist. Auch Laien ohne pharmazeutisches Wissen sollen die Inhalte verstehen können. Darüber hinaus spielt die Sicherung des Datenschutzes eine wichtige Rolle – „ich will eigentlich so wenig wie möglich von den Nutzern wissen“, so Wilke.

Serie: Aus der Apotheke für die Apotheke

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Wenngleich Whatsin vor allem eine Anwendung für Patienten ist, hat Wilke vor einigen Jahren auch eine Desktopversion für Apotheken entwickelt. Doch die Integration in den täglichen Apothekenprozess erwies sich als recht kompliziert, die Mitarbeiter mussten sich dazu erst aus der Apothekensoftware abmelden und Whatsin aufrufen. Hohe Hürden also in der praktischen Umsetzung. „Diesen Ansatz habe ich deshalb nicht weiter verfolgt“, sagt Wilke. Was nicht ausschließt, dass auch Apotheker seine App zu Informationszwecken nutzen.

Google reicht nicht

Bei allem unternehmerischen Tun hat Wilke auch andere existierende Anwendungen und Informationsquellen im Blick. So ist ihm natürlich bewusst, dass mit gängiger Apothekensoftware bei der Arzneimittelsuche bestimmte Stoffe ausgeschlossen werden können. Das ist nach seiner Einschätzung aber keine Lösung für die Fragen der Patienten, denn bei Unverträglichkeiten reagieren diese oft auch mit verwandten Stoffen. Hinzu komme, dass die meisten Arzneimittel aus einer ganzen Reihe von Wirkstoffen bestehen.

Wenngleich viele Patienten bei ihrer ersten Suche beim Thema Unverträglichkeit Google befragen, hält Wilke diese Informationsquelle nicht für wirklich sinnvoll. Die Suchmaschine stütze sich in der Regel nicht auf Primärquellen und gebe teils veraltetes oder lückenhaftes Wissen wider. „Google ist für mich kein Wettbewerber, sondern eigentlich ein Grund, warum ich Whatsin gegründet habe“, sagt Wilke, dem es mit seinem Angebot vor allem um Exaktheit geht. 

Investoren meiden den Sektor

Diese Informationen nutzen derzeit über 10.000 aktive, also wiederkehrende, Nutzer. Die Zahl klingt erstmal hoch, hat aber angesichts von Millionen Deutschen mit einer Unverträglichkeit noch deutlich Luft nach oben.

Während die App für die User kostenlos ist, macht Wilke seit 2021 mit Werbung etwas Umsatz. Doc.Green, ein Unternehmen, welches den Apotheken Onlinekäufer zuleitet, taucht in seiner digitalen Anwendung als Kooperationspartner auf. „Das gibt mir einen gewissen finanziellen Spielraum“, so Wilke, ohne konkrete Zahlen zu nennen. Generell ist es laut seiner Erfahrung sehr schwer für Gesundheits-Start-Ups, signifikante Gewinne zu erzielen: „Das ist eine große Herausforderung.“

Eine Herausforderung ist es auch, Investoren zu finden. „Ich bin auf mehreren Konferenzen und Pitches gewesen und habe mein Projekt vorgestellt“, so Wilke. Professionelle Investoren haben nach seiner Erfahrung jedoch einen klar festgelegten Kriterienkatalog. Erfüllt ein Start-Up nur einen dieser Aspekte nicht, falle man durchs Raster – auch wenn die Geschäftsidee aussichtsreich ist. Nischenprodukte wie Whatsin hätten so gut wie keine Chance, einen Geldgeber zu finden. Zudem seien die Renditeanforderungen der Investoren meist sehr hoch; nach Wilkes Erfahrung „wollen die mit dem zehnfachen Faktor wieder rausgehen.“

Andererseits wundert sich der Apotheker-Unternehmer, dass Millionen Euro in die Finanzierung von Arzneimittel-Botendiensten gesteckt werden, denen daraufhin mitgeteilt wird, dass ihr Geschäftsmodell gegen deutsche Gesetze verstößt.

Auf dem Weg zur Diga

Wilke lässt sich von solchen Widrigkeiten nicht abhalten. Nahezu sämtliche Ausgaben bestreitet er aus der eigenen Tasche, die Entwicklung seiner App treibt er weiter voran. Aktuell läuft an zwei süddeutschen Hochschulen eine klinische Studie mit 250 Patienten, die untersucht, welchen medizinischen Nutzen die Applikation für Patienten hat. Sollten die Ergebnisse, die Wilke im kommenden Jahr erwartet, positiv ausfallen, wäre dies eine wichtige Voraussetzung, um die Genehmigung für Whatsin als digitale Gesundheitsanwendung (Diga) zu erhalten. In dem Fall könnte er von den Krankenkassen Erstattungen für die App-Leistungen erhalten und würde damit eine neue Einnahmemöglichkeit eröffnen. Nebenbei erwähnt Wilke, dass er damit auch die Renditeerwartungen von Investoren erfüllen würde.

Allerdings ist der Weg zur Diga beschwerlich. 2021 seien die Anforderungen für eine Zulassung noch einmal erhöht worden, sagt Wilke. „Anbietern wird es nicht leicht gemacht“, fasst er seine Erfahrungen mit diesem Thema zusammen.

Trotzdem denkt er über dieses Ereignis hinaus. So hält er es für möglich, die App mittelfristig auch in anderen Ländern einzuführen. „Arzneimittelunverträglichkeiten machen ja nicht an der Grenze halt.“ Für eine derartige Expansion bedarf es aber deutlicher finanzieller Zuflüsse.

Bis dahin will er die Anwendung erstmal weiter bekannt machen und hofft, die Zahl der aktiven Nutzer in den nächsten Jahren zu vervielfachen. Berücksichtige man, dass es allein in Deutschland schätzungsweise mehr als zwei Millionen Patienten mit Histaminunverträglichkeit gebe, sei dieses Ziel durchaus realistisch – und verglichen mit der Zahl der Betroffenen eigentlich immer noch recht niedrig.

Für die Zukunft seines „Herzensprojektes“ kann sich Wilke verschiedene Szenarien vorstellen. Neben der Möglichkeit, Whatsin als Geschäftsführer, Ideengeber und Macher selber weiter voranzubringen, schließt er nicht aus, das Start-Up eines Tages an einen Investor zu verkaufen, damit dieser etwas Großes daraus macht. Eines zeichnet sich jedenfalls ab: die Arbeit wird Wilke nicht ausgehen.


Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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