Aus der Apotheke, für die Apotheke (Teil 3)

„Blinder Fleck in der Entwicklung“

Gelsenkirchen / München - 13.01.2023, 10:45 Uhr

Apocollect bezeichnet sich als Teamsoftware, mit der Apotheken alle Informationen, Aufgaben & Arbeitspläne in einer Software steuern können. (Screenshot: apocollect.de / DAZ)

Apocollect bezeichnet sich als Teamsoftware, mit der Apotheken alle Informationen, Aufgaben & Arbeitspläne in einer Software steuern können. (Screenshot: apocollect.de / DAZ)


Die Teamsoftware Apocollect von Simon und Gerrit Nattler will die internen Kommunikationsprozesse von Apotheken vereinfachen und effektiver machen. Dafür hat Simon seine vier Apotheken an den Bruder verkauft und konzentriert sich nun auf die Entwicklung der Software. 1.700 Apotheken nutzen diese bereits, das Marktpotenzial ist nach Einschätzung der Unternehmer hoch. 

Es ist erst einige Monate her, dass Simon Nattler (39) beruflich einen markanten Schwenk vollzogen hat. Bis April 2022 besaß der Gelsenkirchener Pharmazeut noch vier Apotheken und widmete ihnen den größten Teil seiner Arbeitskraft. Bis er dieses Paket an seinen Bruder Gerrit (42) verkaufte, seitdem Teilzeit-Angestellter in dessen Apotheken ist und sich ansonsten einem ganz anderen Metier widmet – der IT. Genauer: Der Entwicklung und Verbesserung der von ihm und Gerrit entwickelten Apothekensoftware Apocollect.

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Das perfekte Zusammenspiel

Apocollect bezeichnet sich als Teamsoftware. Oder wie es auf der Webseite heißt: als „die Komplettlösung für zettelfreies Arbeiten“. Mit Apocollect steuern Apotheken demnach alle Informationen, Aufgaben & Arbeitspläne in einer Software, die „ganz einfach funktioniert“. Dadurch hätten die Inhaber „mehr verfügbare Zeit durch effiziente Prozesse und das gute Gefühl, alles im Blick zu haben.“

Die Idee zu Apocollect kam den Brüdern, nachdem sie sich 2013 selbständig gemacht hatten. Simon Nattler: „Uns wurde schnell klar: Es gibt bei den Apotheken zwar eine digitale Entwicklung zum Kunden hin in Form von Onlineshops, Warenwirtschaftssystemen und Kommissionierautomaten. Die interne Zusammenarbeit im Apothekenteam verlief vor einigen Jahren aber oftmals noch analog. Teilweise haben wir in unseren eigenen Apotheken gefühlt eine halbe Woche damit verbracht, Informationen zu kommunizieren oder kommunikative Irrtümer zu korrigieren.“ 


„Die Apothekenbeschäftigten könnten sich nicht an jedem Terminal immer neu anmelden. Das funktioniere in der Praxis nicht, wenn Kunden bedient werden müssen.“

Simon Nattler


So berichtet Nattler, dass er 2016 noch die gleichen Methoden zur Information nutzte, die auch sein Vater bereits bei der Apothekengründung 1979 verwendete: Pinnwand, Zettel, Ordnerschränke. „Das hat alle stark limitiert“.

Mit zur Idee für Apocollect trug zudem bei, dass in den vergangenen Jahren die Zahl der Teilzeitkräfte deutlich zugenommen habe. Und die, so Nattler gegenüber der DAZ, wollen und müssen genauso gut informiert sein wie die Vollzeitkräfte, um ein gleichmäßiges Qualitätsniveau zu erreichen und Konflikte zu vermeiden. „Unklarheit führt in Folge immer zu Stress.“

Intuitiv, umfassend, sexy

Also verfasste Simon Nattler einen Anforderungskatalog. Die Software sollte intuitiv bedienbar sein, vergleichbar mit einem Navigationssystem: „Wenn sie im Urlaub ein Mietauto nehmen, verstehen sie das Navigationssystem sofort und können es benutzen, um an ihren Zielort zu kommen.“ Ein Apotheker, so Nattler, könne und wolle sich auch nicht 100 Tage Zeit für die Einarbeitung in eine neue Software nehmen.

Ein weiteres Kriterium: In der Software sollte alles enthalten sein, was die Apothekenmitarbeiter für ihren Arbeitsalltag benötigen und wissen müssen. Dazu zählen beispielsweise das Qualitätsmanagementhandbuch oder der Terminkalender. Schließlich sollte das System für 18-Jährige sexy und ebenso verständlich sein wie für 60-Jährige.

Marktcheck: Keine Teamsoftware für Apotheker

Der Blick auf den Bestandsmarkt zeigte Nattler damals zwar, dass es dutzende andere Softwareprogramme gab, beispielsweise Microsoft Teams, Chat- und E-Mailprogramme. Die meisten waren nach seiner Einschätzung jedoch für Büromitarbeiter entwickelt worden. Für Leute also, die jeden Tag ihren eigenen PC hochfahren und sich mit ihren persönlichen Zugangsdaten einloggen. „Das passt nicht für die PTA“, so Nattler. Die Apothekenbeschäftigten könnten sich nicht an jedem Terminal immer neu anmelden. Das funktioniere in der Praxis nicht, wenn Kunden bedient werden müssen. Sein Fazit der Marktrecherche: „Wir sahen, dass es da einen blinden Fleck in der Entwicklung gab.“

So starteten er und sein Bruder im Dezember 2018 mit der Entwicklung. Dafür stellte Simon Nattler im Laufe der Zeit eigens fünf Entwickler und eine Designerin ein: „Ich bin kein Fan von Agenturen“, sagt er mit Blick auf externe IT-Dienstleister. „Ich glaube, dass die Effizienz und die Motivation mit Inhouse-Mitarbeitern höher ist.“ Im ersten halben Jahr nach der Gründung hat sein Team ausschließlich an der Sicherheitsarchitektur gearbeitet. Alle Inhalte sind verschlüsselt und auf Servern in Deutschland gespeichert.

Potenzial im Geschäftsmodell

Nachdem im Dezember 2019 die erste Version auf den Markt gekommen ist, nutzen mittlerweile rund 1.700 Apotheken inklusive Filialen die Software. Die Kündigungsrate liege bei unter einem Prozent, was Nattler auf eine „hohe Zufriedenheit“ mit der Software zurückführt. Die wird auch auf der Apocollect-Webseite unübersehbar zur Schau gestellt: „Ich bin wirklich begeistert“; „Geniale Erfindung“; „Eine der besten Investitionen“ – so die wiedergegebenen Lobeshymnen von Nutzerinnen und Nutzern.

Nattler sieht in dem Geschäftsmodell viel Potenzial: „Der Markt ist noch lange nicht erschlossen.“ Er hält es für möglich, einen Marktanteil von 30 bis 40 Prozent zu erreichen. Dabei wachse man „sehr stark, vor allem über Empfehlungen“.

Zu wirtschaftlichen Kennzahlen hält er sich bedeckt. 59 Euro pro Monat kostet die Nutzung der Software, 10 Nutzer eingeschlossen. Daraus zu schließen, dass seine Unternehmung unter dem Firmennamen Elisana Digital GmbH angesichts der Zahl der mitmachenden Apotheken jährlich auf rund 1,2 Millionen Euro kommen würde, trifft laut Nattler allerdings nicht die Wirklichkeit – da hier eben auch nichtzahlende Filialen miteingerechnet seien. Der tatsächliche Umsatz dürfte also niedriger liegen.

Spagat zwischen Apotheke und IT

Das Unternehmen gehört den Brüdern zu 100 Prozent, wobei Simon nach dem Verkauf seiner Apotheken an Gerrit heute den weitaus größten Teil seiner Zeit und Energie in Apocollect steckt. Lediglich 10 bis 20 Prozent seiner Arbeitszeit widmet er noch dem reinen Apothekerdasein. Während sein Bruder die geschäftliche Seite und die Buchhaltung macht, kümmert sich Simon um die vorbereitende Softwareentwicklung, das Marketing und den Support.

Den Spagat zwischen Apotheke und IT sieht Simon Nattler übrigens als Vorteil: „In der Regel führt es zu sehr guten Produkten, wenn man zwei Bereiche abdeckt, die nichts miteinander zu tun haben und diese dann zusammenführt.“

Einen Hang zu Computern hatte er bereits als Kind. Sein erstes Gerät war ein 386er mit grün-schwarzem Display, seine ersten Miniprogramme basierten noch auf MS Dos. Heute arbeitet sein Team ständig an Updates, entwickelt bestehende Module weiter und fügt neue Features hinzu. „Kürzlich haben wir ein neues Modul zur integrierten Einsatzplanung eingeführt. Das wurde von den Apothekern am meisten angefragt.“ Und auch 2023 werde man weitere Funktionen einführen und bestehende erweitern.


Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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