Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

11.06.2023, 07:30 Uhr

Also, keine Frage, am 14. Juni 2023 sind alle Apotheken dabei! Wir haben so viele gute Gründe. Da muss es einen Ruck im Land geben. (Foto: Alex Schelbert)

Also, keine Frage, am 14. Juni 2023 sind alle Apotheken dabei! Wir haben so viele gute Gründe. Da muss es einen Ruck im Land geben. (Foto: Alex Schelbert)


Ein perfides Faktenblatt aus dem Bundesgesundheitsministerium will der Öffentlichkeit mit gezielt ausgewählten Fakten erklären, dass die Apotheken genug Honorar bekommen. Lauterbach legt in einem Tweet nach und verkündet, dass die Apothekeneinkommen stetig gestiegen seien und ätzt: „Wirklich schlecht verdient wird in der Pflege.“ Danke, Herr Minister, es reicht! Wir lassen uns nicht kaputt sparen. Der 14. Juni zeigt der Öffentlichkeit, was passiert, wenn es immer weniger Apotheken gibt. Also, mitmachen und protestieren, wir lassen uns die Ohrfeigen des Ministers nicht mehr gefallen. 

5. Juni 2023

Nein, es ist nicht wirklich ein Faktenblatt, mit dem das Bundesgesundheitsministerium (BMG) im Vorfeld des Apotheken-Protesttags Stimmung gegen die Apotheken machen will. Das BMG-Faktenblatt, das als Informationsschreiben an die Presse veröffentlicht wurde, ist schon eher ein perfides Papier, das mit Fakten verzerrte Wahrheiten widerspiegelt. So vermengt das Faktenblatt z. B. die Begriffe Einkommen mit Umsatz. Mein liebes Tagebuch, es ist immer wieder das Gleiche, warum kapieren es diese Menschen nicht, dass Umsatz kein Einkommen ist? Wer ist heute noch so naiv? Oder doch bösärtig?Auch der im Faktenblatt zitierte gestiegene Absatz von Arzneimittelpackungen ist doch kein Indiz, dass es den Apotheken immer besser geht – mehr Packungen heißt auch mehr Arbeit und mehr Risiken, man denke an die Hochpreiser. Außerdem müsste man auch erwähnen, dass in den Jahren zuvor die Zahl der abgegebenen Packungen jahrelang gesunken ist. Dann verweist das Faktenblatt auch auf die Verbesserung des Apothekenhonorars auf mehreren Ebenen: Nacht- und Notdienstpauschale, Botendienstvergütung und Vergütung für BtM-Abgabe. Mein liebes Tagebuch, klingt für BMG-Laien wohl supergut. Sie sollten mal hinter diese Vergütungen schauen: Es sind kleine bis kleinste Beträge, die bei weitem die Leistungen nicht „vergüten“ – ein Honorar, das diese Leistungen vergütet, müsste um ein Vielfaches höher ausfallen. Zitiert wird natürlich auch der ABDA-Wirtschaftsbericht, der von einer positiven Einnahmeentwicklung der Apotheken spricht. Ja, aber diese Entwicklung war durch Sondereffekte der Pandemie bedingt, mittlerweile werden in den Apotheken keine Masken mehr verkauft, keine Impfzertifikate ausgestellt und alle die pandemiebedingten Leistungen nicht mehr erbracht. Mein liebes Tagebuch, so ist das Faktenblatt ein Paradebeispiel dafür, wie man mit einfachen Fakten, die man ohne Hintergründe und Zusammenhänge zitiert, richtig Meinung und Stimmung machen kann. DAZ-Wirtschaftsredakteur Dr. Thomas Müller-Bohn kommt in seiner Analyse zu dem Schluss, das trotz zutreffender Fakten die Auswahl der Argumente und das Weglassen der jeweiligen Gegenargumente ein ganz anderes Bild erzeugt als es die Apothekeninhaber und ihre Teams im Alltag erleben. Mein liebes Tagebuch, mein Fazit des Faktenpapiers: Es ist bösartig und perfide.

Die ABDA zeigt sich durch das „Faktenblatt“ übrigens darin bestätigt, den Apotheken-Protesttag durchzuführen. ABDA-Präsidentin Overwiening nimmt sich in der ABDA-Reaktion auf das BMG-Papier einzelne Punkte aus dem Papier vor. Sie kritisiert u.a., dass die Bundesregierung Umsatz mit Erträgen verwechsle. Overwiening äußert sich außerdem dazu, dass das BMG die mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz erfolgte Honorarkürzung der Apotheken durch die Erhöhung des Kassenabschlags als „verhältnismäßig“ bezeichnet. Dies sei nach der Pandemie ein „moralischer Tiefschlag in Richtung Apothekerschaft“ gewesen. Und der neue Zuschlag in Höhe von 50 Cent für das Lieferengpass-Management sei „nicht mehr als ein Witz“. Mein liebes Tagebuch, vollkommen richtig: Das perfide BMG-Faktenblatt sollte all diejenigen unserer Kolleginnen und Kollegen, die bisher noch zögern, ermuntern, sich dem Protest anzuschließen. Ein BMG, das uns Apothekers und unsere Leistungen mit derartigen „Faktenblätter“ abkanzelt, braucht massiven Widerstand.

 

6. Juni 2023

Blitzumfrage unter den Mitgliedern des Apothekerverbands Nordrhein: 90 Prozent der Apotheken wollen sich dort der Protest-Demo auf dem Düsseldorfer Burgplatz anschließen. Nun ja, mein liebes Tagebuch, es sind 90 Prozent von den rund 570 Mitgliedsapotheken, die sich an dieser Umfrage beteiligten – und diese 570 sind ein knappes Drittel aller Mitgliedsapotheken dieses Verbands. Immerhin, die Tendenz stimmt: Nach Einschätzung des AVNR geht das Streik-Barometer wohl nach oben. Dieses Drittel erklärte in der Umfrage auch, die Apotheken geschlossen zu halten. Und auch die Apotheken-Teams werden demonstrieren – der Apothekerverband Nordrhein rechnet mit gut 4000 Personen allein aus den Apotheken an Rhein und Ruhr, wobei es noch mehr werden könnten durch Teilnehmende aus den benachbarten Bundesländern. Mein liebes Tagebuch, ehrlich gesagt, es dürften und sollten noch weit mehr Apotheken ihre Bereitschaft zur Demo und zum Geschlossenhalten der Apotheken zeigen und es dann auch tun. Das neueste „Faktenblatt“ des Bundesgesundheitsministerium ist doch eine weitere Ohrfeige für alle Apothekers, für alle Apothekenteams, dass die Leistungen der Apotheken überhaupt nicht gewürdigt werden. Das können wir nicht auf uns sitzen lassen!

 

Jetzt ist Endspurt für das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG), besser bekannt als Lieferengpass-Gesetz und als Gesetz, mit dem Lauterbach unsere Leistungen beim Engpass-Management mit läppischen 50 Cent abspeisen will. Es soll noch vor der Sommerpause, also in den kommenden drei Sitzungswochen verabschiedet werden. Man liebes Tagebuch, noch ist nichts in trockenen Tüchern, noch kann man auf Gesetzesinhalte einwirken. Das glaubt auch Andrew Ullmann, der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion: Er sehe noch Anpassungsmöglichkeiten und die Zukunftssorgen der Apothekerinnen und Apotheker nehme er ernst. So sieht er gerne noch mehr Bewegung in Sachen Honorierung. „Das Bundesgesundheitsministerium sollte…“, so Ullmann, „für eine auskömmliche Finanzierung sorgen. Denn wir brauchen bei Apothekerinnen und Apothekern, aber auch bei anderen Gesundheitsberufen, Zukunftsperspektiven.“ Es sollte für junge Menschen attraktiv bleiben, den Beruf des Apothekers zu ergreifen, ist Ullmann überzeugt, sonst „stehen wir langfristig vor großen Problemen“. Wie wahr, mein liebes Tagebuch. Aber ob solche netten Worte wirklich noch die Mehrheit der Parlamentarier dazu bringen kann, mehr als 50 Cent für uns Apothekers rauszuholen, da habe ich doch meine Zweifel. Selbst das Votum des Bundesrats, das angesichts von Kostensteigerungen und Inflation eine auskömmliche Honorierung der Apotheken forderte, hat bisher noch keine Bewegungen in Richtung „auskömmliche Honorierung“ ausgelöst. Und die Bundesregierung sieht erst recht keinen Bedarf hier nachzubessern. Irgendwie scheint unser Honorarkarren tief im Schlamm festzustecken. Und echte Hilfe außer netten Worthülsen ist nicht in Sicht. Auch deshalb: Wir protestieren!

 

7. Juni 2023

Alle Jahre wieder: Tag der Apotheke. Mal mit mehr, mal mit weniger Echo. In diesem Jahr sieht es so aus, als ob unsere Anliegen in den Medien angekommen sind, sie berichten über Apotheken, übers Apothekensterben, und unsere Forderungen nach einen angemessenen Honorar, vor allem aber auch über die Lieferengpässe. In den Social-Media-Kanälen geht’s natürlich auch um die Frage, was verdienen die Apothekers eigentlich und ob dies angemessen ist. Und da geht’s natürlich wild durcheinander, Umsatz, Einkommen, Ertrag ist da manchmal alles eins. Und da stehen dann Zahlen im Raum, wie z. B. ein „Jahreseinkommen“ eines Apothekeninhabers von rund 180.000 Euro, ohne weiter aufzuschlüsseln, dass dies nicht wirklich das „Einkommen“ ist. Dumm ist nur, wenn auch Politikerinnen und Politiker nicht durchblicken und glauben, dass sich die Apothekers über solche Zahlen nicht beschweren sollten. Solche Fehlinterpretationen wird man wohl nie aus der Welt schaffen, schon gar nicht auf Facebook und Co. Die ABDA nutzte ihre  Pressekonferenz, die am Vortag zum Tag der Apotheke stattfand, aber nicht nur dafür, auf die sich ständig verschlechternde Lage vieler Apotheken hinzuweisen (keine Honorarerhöhung, Lieferengpässe, überbordende Bürokratie, Sparwahn der Krankenkassen). Die ABDA stellte vielmehr die Initiative „Gegen Zukunftsklau“ vor, die gemeinsam mit 300 jungen Pharmazeutinnen und Pharmazeuten gestartet wurde. Ziel ist es, „die Perspektive des Nachwuchses in die gesundheitspolitische Debatte einzubringen“ mit einem Appell an die Politik: „Hören Sie auf diese tolle Generation, um die Versorgung auch in Zukunft sicherzustellen!“ Mein liebes Tagebuch, diese Initiative können wir nur begrüßen – das wäre ein paar Jahre früher nicht möglich gewesen, dass sich die ABDA so für den Nachwuchs öffnet. Aber es gehören halt immer zwei dazu, wie es so schön heißt: die „jungen“ Apothekers, die sich berufs- und zukunftspolitisch engagieren, und die meist ältere etablierte ABDA-Riege, die das auch zulässt und sogar fördert. Mit unserer derzeitigen ABDA-Präsidentin und der ABDA-Nachwuchsorganisation AByou scheint dies zu gelingen. Zwei Mitglieder dieser Nachwuchsinitiative saßen sogar bei der Pressekonferenz mit auf dem Podium und konnten authentisch aus den Schwierigkeiten des Apothekenalltags berichten (Personalmangel, zu viel Bürokratie) und ihre Forderungen (Nachbesserung beim Apothekenhonorar, mehr Grundvertrauen in und mehr Freiheiten für Apotheken). Also, da tut sich was, was sehr erfreulich ist. Mit Unterstützung der ABDA werde der Nachwuchs in den kommenden Wochen und Monaten in den sozialen Medien, aber auch offline vor Ort aktiv werden.

Die ABDA-Präsidentin äußerte sich auf der Pressekonferenz auch zum „Faktenblatt“ des BMG. Die vom Ministerium präsentierten Zahlen und Fakten würden die Bevölkerung blenden, sagte Overwiening und verurteilte sie „aufs Schärfste“. 

 

Die Apothekerkammer Berlin legt sich eine Woche vor dem Protesttag nochmals in Zeug. Kammerpräsidentin Kerstin Kemmritz und der Kammervorstand rufen ihre Mitglieder eindringlich zur Solidarität auf. Laut und deutlich müsse man werden, um auf die Sorgen um die Arzneimittelsicherheit in Deutschland aufmerksam zu machen. Die Kammer ließ erneut durchblicken: Die Schließung der Apotheke sei in Ausübung des Demonstrationsrechts möglich. Der Notdienst allerdings müsse geleistet werden. Also, mein liebes Tagebuch, wer’s jetzt noch nicht verstanden hat, dem ist nicht zu helfen: Wenn kein Notdienst ansteht, sperrt die Apotheke zu  und protestiert, z. B. bei der Demo mit Kundgebung in Berlin – mehr dazu gibt’s hier.


Mittlerweile ist es auch im Hause Karl Lauterbach angekommen, dass es am 14. Juni einen Apotheken-Protesttag geben wird. Vorsorglich ließ der Bundesgesundheitsminister daher schon mal das perfide „Faktenblatt“ zur Lage der Apotheken verbreiten: Apotheken profitieren von steigenden Umsätzen und überdurchschnittlich gestiegenen Einkommen. Mit einer Meldung auf Twitter legt Lauterbach nach. In seinem Tweet schreibt er: „Die Apotheker machen dicht für einen Tag, Protest gegen schlechte Honorare… Die Einkommen der Apotheker sind stetig gestiegen, gerade in der Pandemie. Wirklich schlecht verdient wird in der Pflege.“ Herr Minister, wie bitte? Bevor Sie einen solchen Nonsens raushauen, hätten Sie sich mal die Tarifverträge anschauen sollen. Das sind die Fakten: Das Durchschnittsgehalt einer examinierten Pflegekraft beträgt etwa 3800 Euro, das Durchschnittsgehalt einer PTA (eines vergleichbaren Berufs in der Apotheke) liegt bei etwa 2800 Euro. Außerdem: PTA müssen in der Regel ein Schulgeld für ihre Ausbildung bezahlen, angehende Pflegekräfte erhalten ein Ausbildungsgehalt. Noch ein Fakt: Das Gehalt für den Beruf der Pharmazeutisch-Kaufmännischen Angestellten (PKA) liegt gerade mal über dem Mindestlohn. Und ein Blick zur Gehaltstabelle von approbierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeigt, dass sie zu den akademischen Berufen gehören, deren Gehälter im Vergleich zu anderen Berufen mit Hochschulausbildung im Ranking weit unten liegen. Fazit: Wirklich schlecht verdient wird in der Apotheke!

In seinem Statement in der Tagesschau allerdings ist Lauterbach weniger provokant als auf Twitter. Hier heuchelt er Verständnis für die Apothekers, spricht sich für Entbürokratisierung aus und eine bessere Bezahlung der apothekerlichen Leistungen. Aber damit meint er nicht unser Apothekenhonorar, sondern: „…Gesundheitsberatung, Vorbeugeleistungen, in diese Richtung wollen wir uns bewegen. Der Beruf soll aufgewertet werden, aber es geht nicht nur ums Geld.“ Mein liebes Tagebuch, wann bewegt sich dieser Minister und versteht, dass nach 10 bzw. 20 Jahren ohne echte Honorarerhöhung endlich mal unser Basis-Honorar angepasst werden muss und wir nicht mehr mit Add-ons, die ja zugleich auch immer Mehrarbeit bedeuten, abgespeist werden können?

 

8. Juni 2023

Auch der Kammerpräsident von Schleswig-Holstein, Dr. Kai Christiansen, darf in dieser seiner Eigenschaft nicht zur Schließung der Apotheken am Protesttag aufrufen. Aber in einem Brief an die Apotheken in Schleswig-Holstein „als Kollege und Inhaber zweier Landapotheken“ positioniert er sich unmissverständlich: Er und sein Apothekenteam beteiligen sich am Protesttag der ABDA, seine beiden Apotheken blieben den gesamten Tag geschlossen. So ist es recht, mein liebes Tagebuch. Zur Begründung erklärt Christiansen: „Es ist an der Zeit, laut und unbequem zu werden und auf die dramatische Situation der Vor-Ort-Apotheken hinzuweisen.“ Und so bittet Christiansen persönlich darum, dass alle Apotheken des Landes am 14. Juni 2023 beisammenstehen, „so dass wir eine 100%-Protestbeteiligung vermelden können“. Möge es so kommen!

 

Mehr Flexibilität beim Austausch von Arzneimitteln und einen Retaxschutz, weniger Bürokratie und die Ausnahme der Apotheken von Präqualifizierungsverfahren – mit diesen Worten lassen sich die Forderungen der ABDA zusammenfassen, die sie am kommenden Montag in ihrer Stellungnahme  zum Regierungsentwurf des ALBVVG, dem Lieferengpass-Gesetz, in der öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags vorlegen wird. Und ganz klar, in dieser Stellungnahme hält die ABDA mit großer Überzeugung daran fest, dass die 50 Cent für das Engpass-Management ein Unding sind. Unsere Standesvertretung fordert dagegen, dass für einen Austausch von Arzneimitteln aufgrund von Lieferengpässen ein Zuschlag von 21 Euro zuzüglich Umsatzsteuer zu berechnen ist. Einen entsprechend vorformulierten Paragrafen für die Arzneimittelpreisverordnung liefert sie in ihrer Stellungnahme freundlicherweise gleich mit. Fein, mein liebes Tagebuch, da erwarten wir doch mit Spannung die nächste Woche, ob sich die Abgeordneten von den ABDA-Argumenten überzeugen lassen.

 

Eine Riesen-Baustelle ist und bleibt der Nacht- und Notdienst. Keine Frage: So einen Dienst für Notfälle muss es geben, da stehen wir in der Pflicht und Verantwortung. Aber stimmen noch die Rahmenbedingungen? Mittlerweile verteilen sich die Dienste aufgrund der sinkenden Apothekenzahlen auf immer weniger Apotheken. Manche Apothekerkammern bemühen sich bereits, softwaregestützt eine möglichst gerechte Verteilung in den Griff zu bekommen. Ist allerdings nicht einfach, da diese Form der Notdienst-Einteilung an den Grenzen der jeweiligen Länder bzw. Kammerbereiche endet. Was konkret bedeutet, dass hier Entfernungen zwischen Apotheken nicht berücksichtigt werden und Menschen, die einen Apotheken-Notdienst in Anspruch nehmen müssen, mitunter unzumutbar weite Strecken in Kauf nehmen müssen. In meinem Podcast-Gespräch unterhalte ich mich darüber mit Apotheker Gunther Böttrich, der mit einigen Kolleginnen und Kollegen einen Acht-Punkte-Katalog ausgearbeitet hat, der dringende Verbesserungen in der Nacht- und Notdienstfrage aufzeigt. Eine Lösung für die gerechtere Verteilung des Nacht- und Notdienstes sieht er z. B.  im Einsatz einer geodatenbasierter Software. Gute Idee, mein liebes Tagebuch, technisch wohl machbar, allerdings gibt es da einige bürokratische Hürden zwischen Landesbehörden und Apothekerkammern zu lösen. Aber, wie heißt es doch so schön: Wo ein Wille, da ein Weg. Tja, der Wille…

 

9. Juni 2023

Mittlerweile kommt viel Bewegung in Richtung Protesttag. Der 14. Juni steht schon fast vor der Tür und die letzten Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Immer mehr Apotheken bekunden, dass sie am 14. Juni geschlossen bleiben. Mittlerweile ist das Thema sehr breit in den Medien angekommen, einige Sender und viele Tageszeitungen haben bereits über die Forderungen der Apotheken und deren Hintergründe berichtet. Die ABDA stellt auf ihrer Internetseite verschiedene Infomaterialien zur Verfügung. Außerdem findet sich auch eine Übersicht, in welchen Städten, was wo und wann stattfindet, z. B. Protestmärsche, Kundgebungen, Protestaktionen. Wenn die Apotheke geschlossen ist, dann bietet es sich an, an diesen Aktionen teilzunehmen. Und es gibt noch weitere Aktivitäten. Die Pharmagroßhandlung Kehr beispielsweise hat auf ihren Lieferfahrzeugen den Slogan „Apotheken kaputt sparen? Mit uns nicht!“ angebracht. Apotheker Jan Olgemöller von der Wasserturm-Apotheke in Essen hat ein Video gemacht für die vor der Klappe wartenden Kundinnen und Kunden. Das Video, das er mit Unterstützung und Beteiligung von sechs weiteren Apotheken in Essen anfertigte, wendet sich direkt an Kundinnen und Kunden, die vielleicht frustriert oder gelangweilt in einer Schlange vor der Klappe warten. Es macht deutlich, dass die Apotheken für die Kundinnen und Kunden demonstrieren und zeigt an mehreren Beispielen, was wäre, wenn es immer weniger Apotheken gäbe, wenn der Notdienst ausgedünnt würde.


Im Bezirk Nordrhein kommt übrigens auch von den Hausärztinnen und Hausärzten Unterstützung für den Apothekenprotest, der Hausärzteverband kritisiert Bundesgesundheitsminister Lauterbach. In einer Pressemitteilung des Verbands heißt es, die Apotheken vor Ort seien „in der hausärztlichen Versorgung wichtige Partner“. Die Medikamentenlieferung an die Apotheken gleiche einem „einem Glücksspiel“, wird der Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Oliver Funken zitiert. „Wir sind es leid“, so Funken, „das Schönreden des Gesundheitsministers hilft keinem, weder den Apotheken und Arztpraxen noch den Patienten.“ Der Verband macht auch darauf aufmerksam, dass die Lieferengpässe für viele Patienten eine Umstellung der Medikation bedeuten. Dies sei insbesondere für chronisch Kranke unzumutbar, so Funken.


Mein liebes Tagebuch, der 14. Juni muss deutliche Spuren in unserem Land hinterlassen. Ein halbherziger Protest oder ein Protest von nur wenigen Apotheken wäre kontraproduktiv. Das  sagen sich übrigens auch viele der großen Apothekenfilialverbünde. Zum Beispiel Anike Oleski, Inhaberin der MediosApotheken in Berlin. Für sie ist es klar, dass sie da eine „Vorbild-Funktion“ hat: Ihre vier Apotheken bleiben geschlossen. Auch die Premium-Apotheken von Heike Zweydinger machen mit und bleiben geschlossen. Zurzeit werden die Kundinnen und Kunden der Apotheken auf den Protesttag aufmerksam gemacht und darüber informiert. Nochmal, mein liebes Tagebuch: Wer jetzt immer noch zögert und meint, das hilft doch alles nichts und bringt nichts, sollte sich einen Ruck geben. Natürlich wird uns Lauterbach am 15. Juni keine 4 Euro mehr Honorar geben, aber die durch den Protest ausgelöste Diskussion im Land, die Meinungsbildung in der Öffentlichkeit und bei Politikern über den Wert der Apotheken – all das kann sich durchaus positiv auf unsere Zukunft auswirken. Umso mehr ist Einigkeit, Geschlossenheit und Solidarität gefragt. Es gibt nur eine richtige Reaktion am 14. Juni: Apotheken zu und Mitmachen beim Protest, bei Demos und Kundgebungen.

 


Peter Ditzel (diz), Apotheker / Herausgeber DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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15 Kommentare

Weglassen der jeweiligen Gegenargumente

von Thomas Kerlag am 11.06.2023 um 18:31 Uhr

Ein wahres jüdisches Sprichwort sagt:"
Die halbe Wahrheit ist die größere Lüge"

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

AmPreisVO - Zurück in die Zukunft

von Dominik Klahn am 11.06.2023 um 16:54 Uhr

In der Tat wird am Protesttag die Position der Apotheken diametral jener von BMG und den GKVen diametral gegenüberstehen.

Was mir fehlt ist allgemein und speziell mit Blick auf die Vergütung ein konkreter Lösungsvorschlag. Forderungen zu zu stellen ohne ein begleitendes, konkretes Angebot ist leider zu kurz gesprungen. Zudem sollte nicht vergessen werden, dass das 2hm Gutachten (auch wenn das Ergebnis nicht gefällt) vor nicht allzulanger Zeit erstellt und handwerklich sehr gut gemacht wurde. Solange die Apothekenvergütung weiterhin auf dem Kombi-Modell beruht, wird es nicht lange dauern, bis Forderungen nach einer Erhöhung mit dem Gutachten politisch ausgekontert werden.

Daher und aus vielen weiteren Gründen ist es m.E. sinnvoll, auf das prozentuale, packungsorientierte Vergütungsmodell vor dem Jahr 2004 zurückzukehren. Diesen Vorschlag haben Kohl/AVIE bereits vor einigen Jahren in einem Positionspapier formuliert.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: AmPreisVO - Zurück in die Zukunft

von Karl Friedrich Müller am 11.06.2023 um 17:16 Uhr

Ihnen ist schon klar, dass mit dem „alten“ Model kaum noch Gewinn übrig bleibt? Oder meinen Sie, dass die Politik einen Aufschlag von mehreren Hundert Prozent, sei es auch nur für die niedrigen EKs goutieren wird? Never.

So so ...

von Reinhard Herzog am 11.06.2023 um 11:35 Uhr

"Das sind die Fakten: Das Durchschnittsgehalt einer examinierten Pflegekraft beträgt etwa 3800 Euro ..."

... wenn schon, sollte man auf vergleichbare Berufe z.B. aus dem Einzelhandel abstellen, denn das Berufsprofil einer Pflegekraft hat kaum etwas mit demjenigen einer PTA zu tun. Ungeachtet dessen:

(Kommunaler) öffentlicher Dienst, Pflegetarif P:

P7 (Einstiegstarif für Examinierte), Stufen im Abstand von 3 - 3 - 4 - 5 Jahren:
2.932 / 3.108 / 3.379 / 3.515 / 3.654 €

P8:
3.108 / 3.257 / 3.448 / 3.603 / 3.819 €

KR7 / KR8 (Unikliniken) liegen knapp 100 € höher.

Darüber (P9 / KR9 aufwärts) nur mit Fachweiterbildung oder in besonderer Funktion. Die Masse - siehe oben.

Bei privaten Trägern sieht es nochmal anders (gern schlechter) aus.

www.kommunalforum.de/p_tabelle_tvoed.php

Das Durchschnittsgehalt der Apotheken-PTA dürfte real (übertariflich) inzwischen eher um oder jenseits der 3.000 € liegen, auch hier wieder mit Gefälle, gerade von West nach Ost. Im ÖD ist es hingegen Essig mit übertariflich ...

Es gibt einen gewissen Nachholbedarf in der Bezahlung, aber wir sollten aufpassen, zu viel in die vier Zauberbuchstaben Geld projizieren zu wollen. Klar möchte jeder mehr und nicht abgehängt werden, gerade in diesen Zeiten, alles legitim.

Ich wage aber mal die provokative Behauptung:
Selbst wenn man jetzt ein Milliarden-Füllhorn über die Apotheken ausschüttet, wird sich an der Stimmung allenfalls kurzfristig etwas ändern.

Ein Jahr später wird diese wieder ähnlich schlecht sein. Und an diesen strukturellen Gründen gilt es sehr ernsthaft zu arbeiten, einschließlich der Frage, was Apotheken künftig noch wirklich besser als Automaten, Teleangebote, Versand und KI können.
Eine der zentralen und gerne verdrängten Fragen schlechthin, auch und gerade für den Nachwuchs.

» Auf diesen Kommentar antworten | 3 Antworten

AW: So so

von Tobias Kast am 11.06.2023 um 13:28 Uhr

Sehr geehrter Herr Prof. Herzog,

ich bin Ihrer Meinung - die Pflege ist kein guter Vergleich (einfach kein vergleichbarer Job). Dieser Vergleich wurde uns ja leider ministerial aufgedrängt...

Wen wir Zahlen aus der Realität/von "draußen" nehmen - z.B. Zahlen des statistischen Bundesamts nehmen;
Genesis/Destatis online, Tabelle 62361 (laufende Verdiensterhebung)-0030;
Bruttomonatsverdienst ohne Sonderzulagen, insgesamt (Stichmonat: 04/2022)
Jahr aus der 62361-0034.

Altenpflege ohne Spezialisierung - Fachkraft (KB10-82102): 3.542 (Durchschnitt: 3.559) Jahr inkl Sonderz.: durchschnittl. 46.614, mittel 46.402

Gesundheits-, Krankenpflege ohne Spezialisierung - Fachkraft (KB10-81302): 3.863 (Durchschnitt: 3.895)
Jahr inkl Sonderz.: durchschnittl. 51.238, mittel 51.072

Pharmazeutisch-technische Assistenz - Fachkraft (KB10-81822): 2.900 (Durchschnitt: 2.907)
Jahr inkl Sonderz.: durchschnittl. 38.258, mittel 37.309

Schichten, Feiertags, etc etc Zuschläge kommen in der Pflege eben noch dazu...

Falls etwas gegen die Verwendung dieser Zahlen spricht oder Ihnen Erfassungslöcher oder ähnliches bekannt sind, würde es mich freuen dazu zu lernen.

AW: So so

von Thomas Kerlag am 11.06.2023 um 18:42 Uhr

Wenn nicht einmal der Pharmazeut sieht was wir besser als KI können sollten wir schleunigst umschulen.

AW: So so

von Reinhard Rodiger am 11.06.2023 um 19:11 Uhr

Wie bei der Medizin handelt es sich um einen Beziehungsberuf.
Wesentliche Aufgabe ist Vermeidung von Fehlern durch Umsicht.Dies ist der Unterschied zu allen Automatisierungen.Fehler haben häufig die Eigenschaft,durch Verknüpfung in nicht vorher erfasster Verbindung zu entstehen. KI ist daran bisher gescheitert,Der wesentliche Nutzen ist Umsicht, nicht zuletzt ermöglicht durch Kundenkenntnis.Ohne gezieltes Schauspiel,wie sonst möglich.
Es ist die Abwägung, wieviel Risiko zumutbar ist.Minimierung von Risiken ist teurer als Vertrauen in unvollständige Automatismen.Das muss eben ermöglicht werden.

FAZ Kommentar vom 10.6.23

von Dr.Diefenbach am 11.06.2023 um 10:49 Uhr

Ich bitte mal um Lesen eines Kommentars in der FAZ ,Wirtschaftsteil!! mit dem Titel "Apothekerklage auf hohem Niveau" und dann stellt man fest, dass
K.L. mit seinen Thesen auch in der vermeintlich! unternehmerfreundlichen Klientel etliche zumindest in Teilen deutliche Fürsprecher findet.Allein der Schlusssatz"Entsprechend gering ist das Verständnis für die Arbeitsniederlegung am Mittwoch"lässt erwarten, dass wir noch ganz andere Bandagen auffahren
müssen.Vor Allem :Hier geht es immer nur um das Einkommen der LEITER,die Strukturen von über 150000 Mitarbeitern bleiben stets aussen vor.SOMIT sind
die Vertreter der Arbeitnehmer dringend gefordert!!!Sonst bleiben Annäherungen an 12 Euro ein Sommermärchen!!!!!

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: FAZ Kommentar vom 10.6.23

von Dr. Radman am 11.06.2023 um 13:06 Uhr

Wir sollten uns nicht von dem einen oder anderen Zeitungsbericht verunsichern lassen. Wir haben die Kunden auf unserer Seite. Das ist viel Wert. Der Kampf hat begonnen und wir sollten weiter eskalieren. Am Ende müssen wir die Rahmenverträge kündigen und auf Selbstzahler umstellen. Das bedarf natürlich noch mehr Geschlossenheit, da die Kassen versuchen werden mit einzelnen Apotheken Lieferverträge abzuschließen.

AW: FAZ Kommentar vom 10.6.23

von Reinhard Rodiger am 11.06.2023 um 13:17 Uhr

Dieser Kommentar ist sachlich und zeigt das Unverständnis in bekannten Fakten.
Einmalige Umsatzsteigerungen sind kein Maß für die Zukunft
und erfordern deshalb keine Rechtfertigung.Sie sind im Verhältnis zur Arbeitsleistung zu sehen und es gilt die Einmaligkeit.Hier zeigt sich bewusstes Unverständnis mit Applauscharakter.
Die Gewinnsituation von Apotheken wird ohne Berücksichtigung der Verteilung zitiert.Das ist Folge der ABDA-Kommunikation und nicht primär polemisch.Differenzierung
der Verteilung ist überfällig.Nicht zuletzt muss darauf verwiesen werden, dass ein Haupteil der geschlossenen Apotheken in Wohngebieten und nicht auf dem Land ist.(Iges)
Steigerung der Apothekerzahlen gilt nicht nur für die öffentliche Apotheke, andere Stellen sind attraktiver.
Für mich ist auffällig, dass auf alles sachlich geantwortet werden kann, ohne nur Aggressivität kontern zu müssen.

Der Grund für die Arbeitsniederlegung ist das gebündelte Unverständnis zur Funktionalität von Kleinunternehmen und
die Missachtung der Lebensfähigkeit breitangelegter Versorgung.

Mein liebes Tagebuch

von Bernd Haase am 11.06.2023 um 9:07 Uhr

Die große Frage ist, was passiert nach dem 14. Juni ?

Wie können die Apotheker Ihre berechtigten Forderungen durchsetzen ?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Warum ?

von Ulrich Ströh am 11.06.2023 um 8:37 Uhr

Solange Friedhofsgärtnerinnen aktuell in der Regel mehr verdienen als eine PTA in unseren Apotheken läuft etwas falsch….

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Warum

von Karl Friedrich Müller am 11.06.2023 um 10:21 Uhr

Solche Vergleiche finde ich problematisch. Welcher Beruf ist mehr „wert“?
Tatsache ist jedoch, dass unsere Mitarbeiterinnen unter Wert bezahlt werden, wenn man den Tarif als Grundlage nimmt. Individuell sehr es zwar etwas besser aus, hat aber auch da Luft nach oben.
Eine Vollzeitstelle muss gewährleisten, dass man auch davon leben kann. Egal in welcher Branche

.

von Anita Peter am 11.06.2023 um 7:59 Uhr

"Natürlich wird uns Lauterbach am 15. Juni keine 4 Euro mehr Honorar geben"

Lauterbach ist dafür auch gar nicht zuständig.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Korrekt

von Stefan Haydn am 12.06.2023 um 10:29 Uhr

Richtig! Drum kann Schwindelbach auch giften wie er will. Es ist nicht sein Zuständigkeitsbereich. Habeck hat das zu entscheiden.
Scheint keiner in der Apothekerschaft zu verstehen!

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