Givosiran (Givlaari®) wird bei Patienten mit der seltenen Erkrankung akute hepatische Porphyrie (Prävalenz: 1 : 75.000) eingesetzt. Betroffene leiden unter einem von vier vererbten Enzymdefekten in der Häm-Biosynthese. Häme sind entscheidend für die Sauerstoffaufnahme in den Körper, sie bestehen aus einem zentralen Eisen-Ion und einem Gerüst eines Porphyrin-Moleküls. Aufgrund der gestörten Häm-Synthese ist bei den Patienten ein weiteres Enzym in Leberzellen hochreguliert, das für den ersten Schritt der Häm-Synthese verantwortlich ist, die sogenannte Aminolävulinsäure-Synthase-1 (ALAS1). Der Anstieg von ALAS1 führt zu einer ausreichenden Produktion des Blutfarbstoffs Häm, aber auch zum Anstieg der toxischen Zwischenprodukte Aminolävulinsäure und Porphobilinogen. Diese Proteine sind für Nervenzellen schädlich und können lebensbedrohliche Attacken auslösen sowie langfristige Komplikationen. Treten diese neuroviszeralen Attacken auf, leiden Patienten unter anderem über mehrere Tage an Leibschmerzen, neurologischen Symptomen wie Muskelschwäche und Krämpfen sowie psychischen Symptomen. Die siRNA Givosiran bindet an die mRNA des Enzyms ALAS1 in Leberzellen und sorgt dafür, dass die ALAS1-mRNA abgebaut und die Enzymproduktion gestoppt wird. In der Folge sinken die Spiegel der toxischen Proteine um nahezu 95 %, und die Attacken gehen zurück sowie auch andere Manifestationen der Erkrankung [4, 6, 9].
Inclisiran (Leqvio®) ist ein Arzneimittel, das gegen Hypercholesterolämie und Dyslipidämie eingesetzt werden kann. Die siRNA bindet an die mRNA des Liganden Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9) und leitet deren Abbau ein. Physiologisch hat PCSK9 die Aufgabe, an LDL-Cholesterol-Rezeptoren (LDL: Low density lipoprotein) auf Hepatozyten zu binden und dadurch den Abbau der Rezeptoren für LDL-Cholesterol einzuleiten. Durch die Interferenz der siRNA mit der mRNA von PCSK9 wird weniger des Proteins PCSK9 synthetisiert. Infolge der verminderten Konzentration des Liganden PCSK9 werden weniger LDL-Cholesterol-Rezeptoren abgebaut und verbleiben auf den Hepatozyten. So kann mehr LDL-Cholesterol über die Rezeptoren in die Leberzellen aufgenommen werden und die LDL-Cholesterol-Blutspiegel sinken. Indiziert ist Inclisiran bei erwachsenen Patienten mit primärer, heterozygot familiärer und nicht familiärer Hypercholesterolämie oder gemischter Dyslipidämie zusätzlich zu einer diätetischen Therapie, wenn die LDL-Cholesterol-Zielwerte unter alleiniger Statin-Therapie nicht erreicht werden. Die siRNA wird mit Statinen oder einer lipidsenkenden Therapie kombiniert. Innerhalb von einem Monat können nach der Applikation von Inclisiran die LDL-Cholesterol-Blutspiegel über mindestens sechs Monate anhaltend um 50 bis 55 % gesenkt werden. Dabei muss die siRNA in der Erhaltungsphase nur alle sechs Monate injiziert werden, allerdings von medizinischem Fachpersonal [4, 10]. Erst vor Kurzem wurden neue Langzeitdaten aus der offenen Extensionsstudie ORION-8 zu Inclisiran veröffentlicht. Die Ergebnisse zeigten, dass bei zusätzlicher Behandlung mit Inclisiran zu einer Statin-Therapie die LDL-Cholesterol-Werte über einen Zeitraum von bis zu mehr als sechs Jahren gesenkt werden konnten. Die Langzeitsicherheit aus den zuvor durchgeführten klinischen Studien wurde bestätigt [16].
Lumasiran (Oxlumo®) ist eine siRNA, die den Abbau der mRNA des Proteins der Glykolat-Oxidase initiiert. In der Folge sinken Oxalat-Spiegel von Patienten mit der autosomal-rezessiv vererbten Erkrankung primäre Hyperoxalurie Typ 1 (Prävalenz: 1 bis 3 : 1.000.000). Bei dieser Erkrankung schädigt eine Überproduktion von Oxalat die Niere und andere Organe. Grund der Überproduktion von Oxalat ist eine Mutation im Leberenzym Alanin-Glyoxylat-Aminotransferase, die Glyoxylat normalerweise in Glycin umwandelt. Weil das defekte Enzym Glyoxylat nicht metabolisieren kann, wird Glyoxylat vermehrt durch die Lactat-Dehydrogenase in Oxalat umgewandelt und lagert sich in Form von Calciumoxalat-Kristallen in verschiedenen Geweben ab, unter anderem in den Harnwegen und den Nieren, was zur Bildung von Harnsteinen und letztendlich Nierenversagen führt. Die siRNA Lumasiran interferiert mit der mRNA des Enzyms Glykolat-Oxidase, einem Enzym, das für einen vorgeschalteten Reaktionsschritt der Oxalat-Produktion verantwortlich ist – es wird also nicht das mutierte Protein adressiert, das für die Krankheit verantwortlich ist. Durch die Stilllegung der Expression der Glykolat-Oxidase sinken die pathologischen Oxalat-Spiegel [4, 11].
Patisiran (Onpattro®) und Vutrisiran (Amvuttra®) sind RNAi-Therapeutika, die zur Behandlung der hereditären Transthyretin-Amyloidose (Prävalenz: 1 : 1.000.000) eingesetzt werden können, bei Patienten mit Polyneuropathie der Stadien 1 oder 2. Die Erkrankung entsteht aufgrund einer autosomal-dominant vererbten Mutation im Transportprotein Transthyretin. Wegen der Mutation ist Transthyretin fehlerhaft gefaltet und akkumuliert zu Amyloidfibrillen. Diese lagern sich im Nervensystem, Herzen, Gastrointestinaltrakt, Knochenmark sowie in den Augen, Nieren und der Schilddrüse ab. Es entwickeln sich Polyneuropathien mit Lähmungen und Krämpfen, Kardiomyopathien bis zum Herzversagen, schwere Verdauungsstörungen und andere Symptome wie Sehstörungen, Nierenfunktionsstörungen und Demenz. Physiologisch wird Transthyretin in der Leber gebildet und transportiert Schilddrüsenhormone und Vitamin A. Die siRNA-Moleküle in Patisiran und Vutrisiran interferieren mit der Transthyretin-mRNA und leiten ihren Abbau ein, dabei wird nicht nur die mRNA der mutierten, für die Krankheit verantwortlichen Proteine abgebaut, sondern auch die der nicht mutierten. Insgesamt wird eine mehr als 80%ige langfristige Reduktion der Transthyretin-Serum-Spiegel erzielt. Eine unerwünschte Wirkung der Therapie ist es, dass der Vitamin-A-Transport gestört ist und die Vitamin-A-Spiegel im Serum der Patienten verringert sind. Vitamin A sollte deshalb bei Anwendung dieser Therapeutika supplementiert werden. Die beiden Wirkstoffe Patisiran und Vutrisiran unterscheiden sich in ihrer Applikationsform und der Art, wie die siRNA in die Zelle aufgenommen wird. Die siRNA in Patisiran ist in Lipidnanopartikel verpackt und wird als Infusion verabreicht, Vutrisiran wird subkutan injiziert und gelangt über den Liganden N-Acetyl-Galactosamin (GalNAc) in die Zelle [4, 12, 13].
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