Studie von Eli Lilly

Tirzepatid: Rebound nach dem Absetzen?

Stuttgart - 11.12.2023, 17:50 Uhr

Droht auch bei Tirzepatid ein Jo-Jo-Effekt, wenn das Medikament abgesetzt wird? (Foto: Alena Vilgelm / AdobeStock)

Droht auch bei Tirzepatid ein Jo-Jo-Effekt, wenn das Medikament abgesetzt wird? (Foto: Alena Vilgelm / AdobeStock)


Unter medikamentöser Therapie mit dem dualen GLP-1-/GIP-Rezeptoragonisten Tirzepatid kommt es zur Gewichtsabnahme. Aber kann das reduzierte Körpergewicht auch gehalten werden, wenn Tirzepatid abgesetzt wird? Das hat die Phase-III-Studie SURMOUNT-4 untersucht.

Die Enttäuschung war groß, als 2021 mit der Publikation der Ergebnisse der Phase-III-Studie STEP 4 klar wurde, dass nach Absetzen des GLP-1-Rezeptoragonisten Semaglutid ein Rebound-Effekt in Form einer neuerlichen Gewichtszunahme erwartbar ist. Nun wurden die Ergebnisse der Phase-III-Studie SURMOUNT-4 publiziert, die randomisiert und doppelverblindet unter anderem die Gewichtsentwicklung nach dem Absetzen von Tirzepatid untersuchte. 

Dieser Wirkstoff ist in Deutschland aktuell nur „zur Behandlung von Erwachsenen mit unzureichend eingestelltem Typ-2-Diabetes mellitus als Ergänzung zu Diät und Bewegung“ zugelassen (Mounjaro®). In den USA gibt es darüber hinaus mit Zepbound® ein zum Gewichtsmanagement zugelassenes Präparat.

Tirzepatid unterscheidet sich von Semaglutid insbesondere dadurch, dass der Wirkstoff ein dualer Agonist der Rezeptoren von GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1) und GIP (glukoseabhängiges insulinotropes Peptid) ist. Wer gehofft hatte, dass der duale Agonismus oder die unter Tirzepatid stärker als unter Semaglutid ausgeprägte Gewichtsabnahme vor einem Rebound-Effekt schützen könnten, wurde nun erneut enttäuscht.

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Tirzepatid macht Semaglutid Konkurrenz

In die von Hersteller Eli Lilly finanzierte Studie wurden 670 Erwachsene eingeschlossen, die entweder adipös waren (BMI ≥30 kg/m²) oder aber übergewichtig (BMI ≥27 kg/m²) mit zusätzlicher gewichtsassoziierter Komorbidität. Diabetes stellte ein Ausschlusskriterium dar. Die Einschlusskriterien entsprachen somit den in der US-Zulassung von Zepbound® aufgeführten Indikationen. 

Während der ersten 36 Wochen der Studie wurden alle Patient:innen nach Aufdosierung mit 10 oder 15 mg Tirzepatid wöchentlich behandelt. Zusätzlich wurden als Lebensstilmaßnahmen ein tägliches Defizit von 500 Kilokalorien pro Tag und 150 Minuten körperliche Bewegung empfohlen. In dieser Phase reduzierten die Teilnehmenden ihr Körpergewicht im Mittel um 21 Prozent. 

Anschließend folgte eine 52-wöchige Studienphase, während der die Hälfte der Proband:innen weiterhin mit Tirzepatid behandelt wurde, die andere Hälfte hingegen ein Placebo bekam. Während sich in der Verumgruppe die Gewichtsreduktion fortsetzte (-5,5 Prozent), nahm die Placebo-Kohorte wieder zu (+14 Prozent).

Tirzepatid: Lebenslang bei nachlassender Wirksamkeit?

Welche Schlüsse aus diesen Ergebnissen für Empfehlungen zur Therapiedauer gezogen werden sollen, wird in Expertenkreisen nun diskutiert. Für Prof. Stephan Martin (Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums, Düsseldorf) zeigen die Studien STEP 4 und SURMOUNT-4 eindeutig, dass die vermeintlichen Wunderspritzen wohl lebenslang eingesetzt werden müssten. Der Agonismus am GLP-1-Rezeptor reduziere zwar den Hunger, verändere aber nichts am Ernährungsverhalten, weshalb der Rebound nicht überraschend auftrete, argumentiert er. Zudem fürchtet er ein Nachlassen der Wirkung der Medikamente bei dauerhaftem Einsatz: „Diese Erfahrung haben wir bei Personen mit Typ-2-Diabetes in der Praxis. Dort wirkt Semaglutid am Anfang sehr gut, aber wenn es zu keiner nachhaltigen Änderung des Lebensstils kommt, lässt die Wirkung nach.“

Dauerhafte Gewichtsreduktion bei bestimmten Subgruppen?

Prof. Ruth Hanßen (Leiterin der Arbeitsgruppe Translationale Stoffwechselforschung, Uniklinik Köln) verweist unterdessen darauf, dass 16,6 Prozent der Proband:innen auch nach dem Absetzen von Tirzepatid mindestens 80 Prozent der erzielten Gewichtsreduktion beibehalten haben. „Diese Zahlen decken sich mit den Zahlen zum erneuten Gewichtsanstieg nach diätetischer Gewichtsreduktion in der Literatur: Hier können auch nur 16 bis 20 Prozent der Betroffenen eine Gewichtsreduktion von mindestens zehn Prozent des Ausgangsgewichts längerfristig beibehalten.“ Dieses Ergebnis lege nahe, dass es eine Varianz in der Gewichtszunahme gibt. Eine Aufschlüsselung nach Subgruppen, um abzuschätzen, wer ein hohes und wer ein geringes Risiko für eine erneute Gewichtszunahme hat, hält sie für wünschenswert.

Früher oder später wieder zum Ausgangsgewicht zurück?

Privatdozentin Isabelle Mack (Bereichsleiterin Ernährung und Gewichtsregulation in Klinik und Forschung, Innere Medizin VI - Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Tübingen) macht sich unterdessen keine Hoffnung auf solch eine Subgruppe, die nach dem Absetzen ihr Gewicht dauerhaft stabilisiert. Sie weist auf einen anderen Aspekt der Ergebnisse hin. „Bei vorliegender Studie zeigt die Placebogruppe nach Absetzen des Medikaments eine lineare Zunahme des Gewichts über die Zeit, deren Phase auch nicht am Studienende abgeschlossen scheint.“ So haben die Teilnehmenden dieser Gruppe am Ende der Studie zwar „immer noch knapp zehn Prozent Gewichtsverlust im Vergleich zum Ursprungsgewicht“, es sei jedoch davon auszugehen, dass die lineare Gewichtsentwicklung sich fortsetze und früher oder später das Ausgangs- oder sogar ein höheres Gewicht erreicht wird. Sie betont aber auch, dass der in der Verumgruppe erzielte Gewichtsverlust von knapp 26 Prozent in der Größenordnung dessen läge, was mithilfe der Adipositaschirurgie erreicht wird – und somit zu dieser erstmals eine medikamentöse Alternative bestehe.

Es bleiben auch nach der Publikation der Ergebnisse aus SURMOUNT-4 noch viele Fragen offen. Wie Prof. Ruth Hanßen erinnert, ist dies aber gar nicht ungewöhnlich: „GLP-1-Analoga und duale Agonisten haben die Adipositastherapie revolutioniert, da wir endlich ein (bei fast allen Patienten) wirksames Medikament für die Gewichtsreduktion haben. Im nächsten Schritt müssen wir erforschen, wie wir diese Medikamente am effektivsten einsetzen: bei welchen Patienten mit welchen Merkmalen für welche Dauer – und wie wir die begleitende Therapie und Nachsorge gestalten.“

Literatur

Aronne L.J., et al. Continued Treatment With Tirzepatide for Maintenance of Weight Reduction in Adults With Obesity: The SURMOUNT-4 Randomized Clinical Trial. JAMA. Published online December 11, 2023. doi:10.1001/jama.2023.24945

Rubino D., et al. Effect of Continued Weekly Subcutaneous Semaglutide vs Placebo on Weight Loss Maintenance in Adults With Overweight or Obesity: The STEP 4 Randomized Clinical Trial. JAMA. 2021;325(14):1414–1425. doi:10.1001/jama.2021.3224

Erneute Gewichtszunahme nach Absetzen von Tirzepatid. Informationen des Science Media Center. 11. Dezember 2023.

Gnegel G. FDA lässt Tirzepatid-Präparat zum Gewichtsmanagement zu. News der deutschen Apotheker Zeitung. 9. November 2023 https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2023/11/09/fda-laesst-tirzepatid-praeparat-zum-gewichtsmanagement-zu

Neubeck M. Neues Antidiabetikum Tirzepatid übertrifft Semaglutid. DAZ 2023;48:42

Mounjaro®. Fachinformation der Lilly Deutschland GmbH. Stand August 2023


Dr. Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


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