Apothekensterben in England

Fünfmal so viele Schließungen wie im Vorjahr

Berlin - 07.05.2024, 10:45 Uhr

Auch in England sind viele Apotheken in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. (Foto: IMAGO / Pond5 Images)

Auch in England sind viele Apotheken in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. (Foto: IMAGO / Pond5 Images)


Deutschland ist kein Einzelfall. Auch in England stecken die Apotheken in einer tiefen Krise. Besonders im letzten Jahr zeichnete sich eine dramatische Entwicklung ab. Die Mehrheit der Apothekenbesitzer beklagt sinkende Gewinne und Einkommen. Weitere Schließungen sind absehbar. Dafür stehen auch hier die Versender bereit, um die Lücken zu schließen.

Auch in England schreitet das Apothekensterben mit rasantem Tempo voran. Laut aktuellen Daten der Company Chemists‘ Association (CCA) mussten im Jahr 2023 in England 432 Apotheken schließen – mehr als fünfmal so viele, wie im Jahr zuvor (78). Darüber berichtete das Fachportal chemistanddruggist.co.uk (C+D) am vergangenen Donnerstag. Durchschnittlich schließen in England etwa acht Apotheken jede Woche.

Dem Geschäftsführer der CCA Malcom Harrison zufolge erwirtschaften derzeit viele Apotheken Verluste: „Ohne erhebliche zusätzliche Mittel werden weniger Apotheken dazu führen, dass die Patienten noch weniger Zugang zu den Medikamenten und der klinischen Versorgung des nationalen Gesundheitsdienstes (NHS) haben, die sie benötigen“, fügte er hinzu.“ Zwischen 2015 und 2022 schlossen laut CCA 808 Apotheken, lediglich 138 Neueröffnungen standen dem gegenüber.

Sinkende Gewinne durch hohe Arzneimittelpreise

Die Mehrheit der Apothekenbesitzer:innen – etwa 70 Prozent – verzeichnete 2023 einen Rückgang der Rentabilität. Das ergab eine Gehaltsumfrage von C+D, die zwischen Oktober 2023 und Januar 2024 durchgeführt wurde. Dabei seien in erster Linie überhöhte Arzneimittelpreise ein wesentlicher Kostenfaktor. 53 Prozent der Befragten bezifferten den monatlichen Verlust dadurch auf 1.000 bis 5.000 Pfund. Bei 24 Prozent lag der Verlust zwischen 5.000 und 10.000 Pfund, bei 23 Prozent sogar über 10.000 Pfund.

Das Einkommen sank bei 45 Prozent der Apothekeninhaber:innen, bei 32 Prozent blieb es unverändert und nur bei 23 Prozent stieg das Einkommen im Jahr 2023. Das Jahreseinkommen liegt für 43 Prozent lediglich zwischen 25.000 und 50.000 Britischen Pfund. 25 Prozent gaben ein Einkommen zwischen 50.000 und 75.000 Euro an, lediglich 11 Prozent verdienen mehr als 100.000 Pfund im Jahr.

34 Prozent sehen eine oder mehrere ihrer Apotheken in diesem Jahr von Schließungen bedroht. Darüber hinaus hatten 15 Prozent bereits eine oder mehrere ihrer Apotheken im vergangenen Jahr schließen müssen. 76 Prozent der Befragten sehen die Schuld für ihre wirtschaftliche Misere bei der britischen Regierung.

Versender sollen Lücken schließen

Unterdessen stehen auch in England die Versender bereit, um das Sterben der Apotheken vor Ort zu kompensieren, insbesondere in den ländlichen Regionen. Insgesamt gibt es in England etwa 400 Versandapotheken (Distance selling Pharmacies, DPA). Den beiden größten unter ihnen – LloydsDirect und Pharmacy2U – wurde im April dieses Jahres von der Wettbewerbsbehörde (CMA) die Erlaubnis zur Unternehmensfusion erteilt. In dem Gutachten dazu kam die CMA zu dem Schluss, dass Vor-Ort-Apotheken und Versender „austauschbar“ seien. Darüber berichtete C+D am 24. April.

Das sieht offenbar auch der zuständige Staatssekretär für Gesundheit und Soziales Lord Nick Markham so. Auf Anfrage des Bischofs von St. Albans zum fortschreitenden Apothekensterben Englands und den möglichen Konsequenzen für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, insbesondere in ländlichen Regionen, antwortet Markham: „Wenn eine örtliche Apotheke schließt, können die Patienten wählen, ob sie pharmazeutische Dienstleistungen in einer anderen Apotheke in Anspruch nehmen wollen.“ Das könne auch „jede der über 400 Versandapotheken sein, die verpflichtet sind, Medikamente kostenlos an Patienten zu liefern“. Außerdem können in England auch Ärzt:innen in ländlichen Regionen Arzneimittel direkt an ihre Patient:innen abgeben, ergänzte Markham.


Michael Zantke, Redakteur, DAZ
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Treffer. Versenkt

von Stefan Haydn am 07.05.2024 um 19:46 Uhr

Besser kann man das Dilemma nicht beschreiben. Danke!

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Einfach mal ne Frage stellen

von Dr. House am 07.05.2024 um 13:30 Uhr

Im letzten Lanz Precht Podcast ging es um sterbende Berufe, die der Digialisierung zum Opfer fallen werden. Wiedermal blieb es um die Apotheken still. Ich weiß nicht, ob es nur meine subjektive verzerrte Betroffenensicht ist, oder ob man hier etwas übersieht. Kaum ein Berufsfeld ist von einer ungewissen Zukunft geplagt wie unseres, denn eigentlich könnte die Gesellschaft entscheiden, was sie will und braucht und eigentlich fände man noch genug gute Leute, vorrausgesetzt es wird gut gezahlt. Volle Digitalisierung und Liberalisierung oder bewährte Strukturen in Zeiten von Hochaltrigkeit und Lieferengpässen - was darf es sein? Unter voller digitaler und analoger Hochbelastung unter Bürokratiebergen dahinsiechen? Doch ich vermute mittlerweile man hat sich entschieden gar keine wirkliche Entscheidung zu treffen, sondern es drauf ankommen zu lassen. Man möchte zuschauen und abwarten wer am Ende noch steht. Im schlechtesten Fall hat keiner mehr Bock auf den Job. Weder die Versender, die seit Jahren rote Zahlen schreiben, noch die VorOrtAusbügler und Selbstausbeuter, denen inzwischen sowohl das kaufmännische Bein (Skonti), als auch das heilberufliche Bein (Bürokratie, Lieferengpässe) erfolgreich amputiert wurde. Jeder auch noch so grazile Spagat zwischen diesen beiden "Apothekerseelen" verkümmert damit zur Lächerlichkeit. Aber auch ein aussterbender Beruf muss keine Tragödie sein - wenn man fair mit allen Beteiligten umgeht und einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess mit klarem Ergebnis führt. So wie es jetzt läuft ist es wohl am unethischsten. Alles geht langsam aber qualvoll zugrunde, keiner trägt am Ende die Verantwortung und der von außen zugefügten Schaden wird vermutlich in einer innerberuflichen Zereißprobe enden - in den Apothekenteams UND im nach wie vor gestörten kollegialem Neid-Verhältnis zwischen den Apotheken. Dabei würden ein paar deutliche der Öffentlichkeit zugewandte Fragen schon etwas erhellende Würde bringen - und hier nehme ich die viel zu schwache ABDA in die Pflicht - Haben wir noch einen Versorgungsauftrag und wenn ja, was genau wird noch von uns erwartet und was dürfen wir dafür erwarten? Eigentlich wäre das doch voll in Ordnung diese Frage zu stellen und auf eine deutliche Antwort jenseits von "Apotheken grundsätzlich stärken ABER..." zu bestehen... Wenn wir und vor allem der Apothekennachwuchs nicht mehr gebraucht wird, ok, wir können und werden lernen damit umzugehen, wenn es so ist. Doch zurzeit fühlt es sich so an als braucht man uns unbedingt, aber zum Nulltarif. Dazu fällt mir nur ein: "Entweder scheißen oder runter vom Pott", wie man so schön sagt.

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