Worauf bei Bissverletzungen zu achten ist

Vorsicht, scharfe Zähne!

21.05.2024, 06:59 Uhr

Hundebisse können vor allem bei Kindern im Vorschulalter zu schweren Verletzungen der oberen Körperhälfte führen. (Foto: Volodymyr / AdobeStock) 

Hundebisse können vor allem bei Kindern im Vorschulalter zu schweren Verletzungen der oberen Körperhälfte führen. (Foto: Volodymyr / AdobeStock) 


Was haben Kleinkinder, Postboten, Freizeitsportler, Haustierhalter und Abenteuerurlauber gemeinsam? Das Risiko, bei ihren Aktivitäten von Tieren gebissen zu werden, liegt vermutlich höher als bei anderen Personengruppen. Neben potenziell schwerwiegenden Verletzungen der Haut und darunter liegender Strukturen ist dabei das Infektionsrisiko sehr hoch. Deshalb wird empfohlen, sich mit Bisswunden immer in ärztliche Behandlung zu begeben.

Haustiere sind in Deutschland äußerst beliebt. Nach Angaben der globalen Datenbank „Statista“ gab es im Jahr 2022 hierzulande 15,2 Millionen Katzen, 10,6 Millionen Hunde und 4,9 Millionen Kleintiere wie Meerschweinchen, Hamster und Kaninchen. Bei dieser großen Anzahl verwundert es nicht, dass Verletzungen häufig vorkommen, wobei genaue Zahlen schwer zu ermitteln sind. Das liegt an der hohen Dunkelziffer, die unter anderem durch die fehlende Meldepflicht begründet ist. Nach Angaben behandelnder Ärzte werden in Deutschland jährlich über 20.000 Kinder und Jugendliche aufgrund von Bissverletzungen in Praxen oder Notaufnahmen vorgestellt. Fast drei Viertel von ihnen sind jünger als sechs Jahre. Bissverletzungen durch Wildtiere sind hierzulande eher selten, müssen aber bei Urlaubsreisen in Betracht gezogen werden. Dazu gehören beispielsweise Schlangenbisse. Bei der Diagnostik von Bissverletzungen mit unklaren Angaben zur Ursache muss auch an Menschenbisse gedacht werden (s. Kasten „Menschliche Bisswunden“).

Menschliche Bisswunden

Bei Bissverletzungen durch Menschen wird das Infektionsrisiko geringer als bei Katzenbissen und höher als bei Hundebissen eingeschätzt.

Es kommen verschieden Auslöser infrage:

  • selbst zugefügte Bisswunden, z. B. bei psychischen Grunderkrankungen
  • aggressive Auseinandersetzungen zwischen Kindern
  • tätliche Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen oder Erwachsenen
  • Gewaltdelikte wie sexualisierte Gewalt oder Kindes­misshandlung.

Wenn bei tätlichen Auseinandersetzungen eine Person Faustschläge gegen das Gesicht einer anderen Person ausführt, treten bei der zuschlagenden Person vor allem Verletzungen im Bereich der Fingergrundgelenke auf. Sie werden als fight-bite-lesions oder als „Schaden der geballten Faust“ bezeichnet. Bei derartigen Verletzungen wird das ohnehin hohe Infektions­risiko durch Bisswunden noch einmal dadurch gesteigert, dass Zahnbestandteile der angegriffenen Person die Handknochen der angreifenden Person durchbohren können. Potenzielle schwere Komplikationen sind infektiöse Arthritiden und Osteomyelitiden. Als Erreger aus der Mundflora kommen Eikenella corrodens, Staphylokokken, Streptokokken und Anaerobier ­infrage.

Bei durch Menschen verursachten Bisswunden sind häufig der Kopf-Hals-Bereich und die oberen Extremitäten betroffen. Dagegen finden sich die Verletzungen nach sexualisierter Gewalt oft in der Genitalregion und der Brust des Opfers. Fachärzte weisen darauf hin, dass bei menschlichen Bisswunden bei Kindern immer an die Möglichkeit einer Kindesmisshandlung zu denken ist. Bei fragwürdigen Berichten über das vermeintliche Zustandekommen der Wunden oder bei besonders auffälligen Befunden wie unterschiedlich alten Verletzungen gelte es, Spuren zu sichern, die eine Täteridentifizierung ermöglichen.

Welche Erreger kommen infrage?

Hunde und Katzen können nach einem Biss verschiedene Bakterien und Viren übertragen. Bei Katzen kommen bei einem Biss oder einer Kratzverletzung vor allem gramnegative Bartonellen wie Bartonella henselae als Verursacher der Katzenkratzkrankheit oder Pasteurella multocida als Auslöser der Pasteurellose infrage. Letztere Infektion kann auch durch Hunde übertragen werden, und zwar nicht nur durch einen Biss, sondern auch durch das Küssen der Tiere oder wenn das Tier das Gesicht oder Wunden des Menschen ableckt.

Hantaviren und Co.

Hantaviren kommen vor allem bei Spitzmäusen, Maulwürfen und Fledermäusen vor und können ebenfalls durch Bisse auf den Menschen übertragen werden, wenn auch eher selten. Ein Tierkontakt ist für eine Hantavirus-Infektion aber nicht unbedingt Voraussetzung. Denn Hantaviren können auch nach dem Kontakt mit Ausscheidungen wie Speichel, Kot und Urin infizierter Tiere auf den Menschen übertragen werden. In Deutschland sind derzeit das bei Rötelmäusen vorkommende Puumalavirus und das bei Brandmäusen vorkommende Dobrava-Belgrad-Virus als krankheitsauslösende Hantavirus-Arten bekannt. Das Robert Koch-Institut weist in verschiedenen Publikationen darauf hin, dass sich klimatische Veränderungen auch auf die Ausbreitung von Nagetier-assoziierten Infektionskrankheiten auswirken können. Das Tetanus-auslösende grampositive, sporenbildende Stäbchenbakterium Clostridium tetani kommt hauptsächlich im Erdreich sowie auch im Darminhalt und in den Fäzes von Pferden, seltener von Rindern und anderen Tieren vor. Doch obwohl der Speichel von Tieren kein Reservoir des Erregers ist, kann z. B. durch den Kontakt mit Pfoten, die das Erdreich berührt haben, eine Übertragung erfolgen. Nach Tierbissen sollte unbedingt der Tetanus-Impfstatus überprüft werden.

Besonderer Fokus auf Tollwut

Die wohl gefürchtetste Infektion nach einem Tierbiss ist die Tollwut, die durch verschiedene Spezies der Lyssaviren, behüllte Einzelstrang-RNA-Viren aus der Familie der Rhabdoviren, ausgelöst wird. Der Mensch infiziert sich meist über den Speichel eines infizierten Tieres. Die Übertragung kann durch eine Bissverletzung oder über Wund- und Schleimhautkontakt mit dem infektiösen Speichel erfolgen. Eine Infektion ruft eine Enzephalitis hervor, die fast 100%ig letal verläuft. Die Tollwut ist nach dem Infektionsschutzgesetz eine meldepflichtige Erkrankung. Schätzungen zufolge sterben jährlich weltweit etwa 60.000 Menschen an dieser Erkrankung. Die meisten durch Tollwut verursachten Todesfälle kommen in Asien (ca. 60%) und Afrika (ca. 36%) vor. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts gilt Deutschland seit 2008 als frei von terrestrischer Tollwut. Terrestrisch bedeutet, dass die Virus übertragenden Tiere an Land leben. Aber auch Fledermäuse sind ein Reservoir für Tollwut-Erreger. Zur prä- und postexpositionellen Prophylaxe sind in Deutschland drei Totimpfstoffe auf Basis inaktivierter Tollwutviren (Tollwut-Impfstoff HDC inaktiviert, Verorab®, Rabipur) und ein Immunglobulin zur Prophylaxe nach vermuteter Exposition (Berirab®) zugelassen. Den Tollwut-Impfstoff HDC hat der Hersteller kürzlich vom Markt genommen, die Alternative ist der Impfstoff Verorab®. Die Tollwutimpfung wird von der Ständigen Impfkommission (STIKO) als Reiseimpfung bei Aufenthalten in Regionen mit Tollwutgefahr und einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einer Tollwutexposition (z. B. durch Kontakt mit streunenden Hunden oder Fledermäusen) empfohlen. Die präexpositionelle Impfung mit drei Dosen führt zu einer Boosterfähigkeit, die Jahrzehnte bzw. lebenslang anhält. Boosterfähigkeit bedeutet, dass nach Kontakt mit einem infizierten Tier und darauf folgender Postexpositionsprophylaxe schnell eine ausreichende Immunantwort induziert wird, um den Ausbruch der Tollwut zu verhindern.

Bei uns eher selten: Schlangenbisse

Von den etwa 3000 Schlangenarten, die weltweit vorkommen, sind etwa 600 für den Menschen giftig. Doch nicht in jedem Fall wird beim Biss auch Gift übertragen. Wehrt die Schlange den vermeintlichen Angreifer nur ab, ohne dass dabei Gift injiziert wird, sprechen Fachleute vom „Trockenbiss“. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden in Deutschland seit dem Jahr 2000 jährlich zwischen 43 und 139 Patienten aufgrund von Bissen durch Giftschlangen stationär aufgenommen. Die wichtigste Voraussetzung bei der Behandlung eines Schlangenbisses ist die Identifikation des Tieres, wofür ein Foto ideal wäre, oder eine möglichst genaue Beschreibung. Denn nur dann kann ein passendes Antivenin zum Einsatz kommen. Antivenine sind Schlangengift-Antikörper, die aus dem Blutplasma von Pferden (equine Antikörper) oder Schafen (ovine Antikörper) gewonnen werden, nachdem diesen Tieren geringe Giftmengen verabreicht wurden. Die Giftinformationszentralen in Deutschland können über die Depots, in denen die Antivenine gelagert werden, Auskunft geben. Eine Antivenin-Gabe ist jedoch nicht immer notwendig; manchmal genügt eine symptomatische Therapie. Die Entscheidung darüber fällt im Krankenhaus, in das Betroffene rasch und schonend transportiert werden sollten.

Erste-Hilfe-Maßnahmen nach Schlangenbiss

Die Erste-Hilfe-Maßnahmen nach einem Biss leiten sich aus den spezifischen Verteilungs- und Wirkungsweisen der Schlangengifte ab. Da körperliche Aktivität und Stress die Verteilung des Giftes im Körper beschleunigen, sollten Betroffene beruhigt, in eine bequeme Position gebracht und das entsprechende Körperteil ruhiggestellt werden. Schlangengifte enthalten Enzyme wie Phospholipasen und Metalloproteinasen, die dazu führen, dass Plasma aus Blutgefäßen austritt und Schwellungen entstehen. Deshalb ist es wichtig, dass beengende Kleidungs- oder Schmuckstücke wie Ringe, Uhren oder Schuhe von der betroffenen Extremität entfernt werden. Früher empfohlene Maßnahmen wie das Abbinden der Extremität oder das Aussaugen der Wunde sind heute obsolet. Es genügt ein steriles Abdecken der verletzten Stelle. Dank intensivmedizinischer Expertise verlaufen Schlangenbisse in Deutschland heute nur äußerst selten tödlich.

Wie erfolgt die Wundbehandlung?

Die Schwere der Verletzung nach einem Tierbiss hängt von der Größe und Beißkraft des Tieres und der betroffenen Körperregion ab. Neben oberflächlichen Schürfwunden können auch tiefer gehende Stich-, Riss-, Quetsch- und Reißwunden bis hin zu Abrissen von Körperteilen wie Fingern oder der Nase entstehen. Wegen des eingedrungen Tierspeichels ist die Infektionsgefahr sehr hoch. Kleine Verletzungen werden von Betroffenen, Angehörigen und teilweise auch von Behandlern oft unterschätzt. Beispielsweise ist bei punktförmigen Verletzungen durch Katzenzähne das tatsächliche Ausmaß der darunter liegenden Gewebsschädigung nur schwer zu beurteilen. Ein Grund dafür ist das Kulissen­phänomen, bei dem verschiedene anatomische Schichten übereinander gleiten und dadurch die tatsächliche Verletzungstiefe verschleiern. Katzenbisse sind auch deswegen besonders problematisch, weil durch die langen spitzen Eckzähne ein besonders tiefes Eindringen von Erregern aus dem Speichel ins menschliche Gewebe möglich ist. Deshalb sollte Betroffenen nach einem Tierbiss unbedingt empfohlen werden, einen Arzt aufzusuchen. Bei frischen Verletzungen wird nach der Wundreinigung und ersten Versorgung (s. Tab.) häufig eine Antibiotikaprophylaxe durchgeführt. Hat sich eine Infektion bereits manifestiert, erfolgt eine kalkulierte orale oder intravenöse Antibiotikatherapie, letztere beispielsweise mit Carbapenemen. Die Dauer der ­Behandlung richtet sich nach dem Erreger, der Ausbreitung der Infektion und dem Ansprechen des Patienten.

Tab.: Empfehlungen zur Primärversorgung von Bissverletzungen [modif. nach Mühling / Muensterer 2023]
 Vorgehen
Wundreinigung
  • Entfernung von Fremdkörpern und Verschmutzungen
  • Desinfektion
  • Wundspülung mit isotonischer Kochsalzlösung, aber keine Druckinfusion, um Kontamination tieferer Wundareale zu vermeiden
Wundversorgung
  • lokales Débridement, wenn nötig
  • bei kleinen Wunden offene Behandlung
  • bei tieferen / größeren Wunden: keine Subkutannähte!
  • lockere Adaptation / kein dichter Wundverschluss
  • bei tieferen Wunden Laschen-/Drainageneinlage erwägen
Nachsorge
  • Abklärung Tollwut und Tetanus
  • antibiotische Therapie indiziert?
  • Kontrolle spätestens nach 48 h

Welche Präventionsmöglichkeiten gibt es?

Kinder im Vorschulalter sind stärker gefährdet als ältere, von Hunden gebissen zu werden und dabei schwerwiegende Verletzungen der oberen Körperhälfte zu erleiden. Letzteres ergibt sich aus ihrer geringen Körperhöhe, sodass es zu schweren und lebensgefährlichen Verletzungen am Kopf, am Nacken und am Hals kommen kann, insbesondere nach einem Biss von Hunderassen wie Schäferhunden, Rottweilern oder Retrievern. Ein weiterer Grund für ihre Gefährdung liegt darin, dass sie unerfahren sind, das Verhalten des Tieres zu deuten, und dazu neigen, anzunehmen, dass der Hund mit ihnen spielen möchte. Daher ist die Prävention von besonderer Bedeutung. Die Deutsche Veterinär­medizinische Gesellschaft hat einen Leitfaden sowohl für Eltern als auch für Lehrkräfte entwickelt. Das Material mit dem Titel „Der Blaue Hund“ ist auch online unter www.dvg.net verfügbar und kann in der Apotheke Familien empfohlen werden.

Literatur

Anforderungen an die Infektionsprävention bei der medizinischen Versorgung von immunsupprimierten Patienten. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2, 2021;64:232–264, https://doi.org/10.1007/s00103-020-03265-x

Anzahl der Haustiere in deutschen Haushalten nach Tierarten in den Jahren 2000 bis 2022 (in Millionen). https://de.statista.com/

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Der Blaue Hund. So spielen Kinder sicher mit dem Familienhund. Leitfaden der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft e. V., 1. Aufl. 2019

Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) und der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und Globale Gesundheit e.V. (DTG) zu Reiseimpfungen. Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts 2023;14:1-193, DOI: 10.25646/11201.4

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Wunden und Wundbehandlung im Kindesalter. S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH), Stand: Juli 2021, gültig bis 12/2025


Dr. Claudia Bruhn, Apothekerin / Autorin DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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