Verwaltungsgericht Leipzig

Wie viel Unzuverlässigkeit verträgt die Betriebserlaubnis?

Berlin - 30.05.2024, 17:00 Uhr

Um eine Apotheke zu betreiben, muss man die „erforderliche Zuverlässigkeit" besitzen.  (Foto: IMAGO / Silas Stein)

Um eine Apotheke zu betreiben, muss man die „erforderliche Zuverlässigkeit" besitzen.  (Foto: IMAGO / Silas Stein)


Einem Apotheker, bei dem die Aufsicht über Jahre hinweg immer wieder apotheken- und arzneimittelrechtliche Verstöße festgestellt hat, der zudem rechtskräftig verurteilt wurde und sich erneut wegen Betrugsvorwürfen verantworten muss, fehlt die für den Apothekenbetrieb nötige Zuverlässigkeit. So sah es nicht nur die zuständige Behörde, die deshalb die Betriebserlaubnis widerrief, sondern auch das Verwaltungsgericht Leipzig, das dem Apotheker den vorläufigen Rechtsschutz versagte.

Das Verwaltungsgericht Leipzig hat sich mit der Frage befasst, wann ein Pharmazeut nicht mehr die nötige Zuverlässigkeit besitzt, um eine Apotheke zu betreiben. Die Landesdirektion in Sachsen hatte Mitte März dieses Jahres die Betriebserlaubnis eines Apothekers widerrufen und die sofortige Vollziehung angeordnet. Bis Ende Mai 2024 gab sie dem Apotheker Zeit, seinen Betrieb abzuwickeln. Zugleich widerrief sie seine Versandhandelserlaubnis sowie diverse Genehmigungen für die Versorgung von Heimen. Der Apotheker wollte sich damit nicht abfinden und legte Widerspruch gegen die behördliche Anordnung ein. Da dieser keine aufschiebende Wirkung hatte, zog er vor Gericht, um zu erreichen, dass er seine Apotheke zumindest bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren offen behalten kann. Er scheiterte allerdings mit seinem Antrag.

Die Gründe des Widerrufs

Was genau hatte den Apotheker in die Situation gebracht? Die Gerichtsentscheidung führt sieben Bußgeldbescheide auf, die zwischen 2014 und 2023 gegen ihn erlassen wurden – jeweils nach einer Betriebsbesichtigung. Es ging um Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz, die Arzneimittelverschreibungsverordnung, das Betäubungsmittelrecht und die Apothekenbetriebsordnung. Unter anderem wurde ihm in der Folge aufgegeben, einen weiteren Apotheker in Vollzeit vertraglich zu binden und dessen Einsatz in der Apotheke durch die Übersendung von Dienstplänen nachzuweisen. Dem kam er nicht nach, sodass Zwangsgelder festgesetzt wurden.

Abgeschlossene und laufende Strafverfahren

Im Sommer 2022 wurde der Apotheker zudem rechtskräftig verurteilt, weil er gefälschte Arzneimittel in den Verkehr gebracht hat. Er hatte angebrochene BtM-Verpackungen, insbesondere Fentanyl, mit Betäubungsmitteln gleichen Wirkstoffs aus anderen Verpackungen und Chargen aufgefüllt, um diese an Patienten abzugeben – derart zusammengestückelte Packungen wurden in seiner Apotheke gefunden. Im Sommer 2023 folgte eine Verurteilung wegen Computerbetrugs. Zuletzt erhob die Staatsanwaltschaft Leipzig im Juni 2023 auch noch Anklage wegen gewerbsmäßigen Betruges in 59 Fällen. Zwischen Dezember 2013 bis Dezember 2017 soll der Apotheker an einen ihm bekannten Arzt verschiedene Arzneimittel geliefert haben, die dieser seinen Patienten verordnete und in der Praxis aushändigte. Die passenden Verordnungen erhielt der Apotheker anschließend für die Abrechnung. Laut Anklage hat er mit diesen nicht abrechenbaren Leistungen einen Schaden von 412.000 Euro bei den Krankenkassen verursacht. Das Hauptverfahren wurde Ende 2023 eröffnet, abgeschlossen ist es noch nicht. 

Wann fehlt die Zuverlässigkeit?

All dies hatte die Landesdirektion Sachsen bewegt, als sie die Betriebserlaubnis widerrief. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 ApoG ist diese zu widerrufen, wenn nachträglich die Voraussetzungen für ihre Erteilung wegfallen – dazu zählt auch die Zuverlässigkeit des Betreibers. Und die fehlt insbesondere, wenn einen Apotheker strafrechtliche oder schwere sittliche Vorwürfe treffen oder er gröblich oder beharrlich gegen das Apotheken- und Arzneimittelrecht verstößt. Für die Behörde reichten im vorliegenden Fall schon die strafrechtlichen Verfehlungen, um den Pharmazeuten als unzuverlässig einzuschätzen. In seinem Verhalten habe sich überdies gezeigt, dass er den Zweck von Apotheken missachte: die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Das Verfahren wegen gewerbsmäßigen Betruges sei zwar noch nicht abgeschlossen. Doch darauf komme es nicht an, weil sich schon so zeige, dass der Apotheker bereit sei, das Gesundheitswesen durch Abrechnungsbetrug systematisch zu schädigen. Die korrekte Abrechnung gegenüber den Krankenkassen gehöre zu den Kernpflichten des Apothekers. 

Ansehen des Berufsstandes beeinträchtigt

Zusammen mit den wiederholten Bußgeldbescheiden ergebe die Gesamtschau, dass es sich nicht um Einzelfälle handle. Ein milderes Mittel habe es nicht gegeben – schließlich fanden bereits engmaschige Kontrollen statt, ohne dass sich etwas geändert hat. Das besondere öffentliche Interesse, das nötig ist, um die sofortige Vollziehung der Anordnung zu begründen, folge insbesondere aus der persönlichen Unzuverlässigkeit. Es gehe um den Schutz der Öffentlichkeit, insbesondere der Kunden und Abrechnungspartner, vor weiteren Schäden aus etwaigen erneuten Rechtsverstößen. Zudem habe der Apotheker mit seinen Handlungen das Ansehen des Berufsstandes in der Öffentlichkeit und deren Vertrauen in diesen erheblich beeinträchtigt,

Pharmazie ist ein kompliziertes Handwerk

Der Apotheker hält die Vorwürfe für überbewertet. Es handele sich um geringfügige Geldstrafen und die Bußgeldbescheide verteilten sich über einen langen Zeitraum. Sie beträfen zum Teil „singuläres Fehlverhalten oder Versehen“, in keinem Fall habe es eine konkrete Gefährdung von Patienten gegeben. Pharmazie sei zuallererst ein kompliziertes Handwerk, argumentierte er laut Gerichtsbeschluss. „Auf die bürokratischen, betriebswirtschaftlichen und rechtlichen Notwendigkeiten bereite das Studium nicht optimal vor. Selbst erfahrenen Praktikern unterliefen immer wieder Fehler“. Die Strafverfahren, räumt er ein, seien etwas anderes, aber die beiden rechtskräftigen Urteile beträfen denselben Sachverhalt, an dessen umfassender Aufklärung er mitgewirkt habe.

Gericht: Kein Ermessensspielraum

Das Verwaltungsgericht folgte nach seiner summarischen Prüfung der Lage allerdings der Auffassung der Behörde, dass es dem Apotheker an der nötigen Zuverlässigkeit mangelt. Es spreche einiges dafür, dass er sich auch zukünftig nicht ordnungsgemäß verhalten werde und mit Verstößen gegen apotheken- und arzneimittelrechtliche Vorgaben zu rechnen sei. Der Schutz der Allgemeinheit, insbesondere vor Gesundheitsgefahren, gebiete es, einem unzuverlässigen Apotheker die Betriebserlaubnis zu widerrufen. Dabei habe die Behörde keinen Ermessensspielraum, wie das Gericht nochmals betont. Da es sich um eine präventive Maßnahme zum Schutz der Bevölkerung handelt, komme es auch nicht auf eine Vorwerfbarkeit des Fehlverhaltens an.

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Dass es sich nur um geringfügige Verfehlungen über einen langen Zeitraum handle, lässt das Gericht nicht als Rechtfertigung gelten. Auch eine Vielzahl kleinerer Gesetzesverletzungen könnten in ihrer Häufung ordnungsrechtliche Maßnahmen rechtfertigen, wenn sie einen „Hang zur Nichtbeachtung geltender Vorschriften erkennen lassen“. Zudem zeige der klare Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 4 ApoG, dass Zuwiderhandlungen gegen das Apothekengesetz oder die Apothekenbetriebsordnung die Unzuverlässigkeit sogar dann indizieren, wenn sie weder als Straftat noch als Ordnungswidrigkeit sanktioniert sind. In der Rechtsprechung würden etwa Verstöße gegen eine nicht strafbewehrte Regelung wie § 11 ApoG als hinreichend angesehen, um die Erlaubnis zu widerrufen.

Und ein solcher Verstoß wird dem Apotheker im laufenden Strafverfahren vorgeworfen. Im Zusammenwirken mit dem ihm bekannten Arzt, das der Apotheker im Kerngeschehen selbst einräume, sei „zweifellos ein Verstoß gegen das Ärztebevorzugungsverbot des § 11 ApoG zu erblicken“. Und werde gegen dieses Verbot wiederholt verstoßen, sei dies gravierend.

Frustrierte Erwartungen

Was das Inverkehrbringens gefälschter Arzneimittel betrifft, sei ebenfalls der Kernbestand der Berufspflichten eines Apothekers betroffen. Es liege auf der Hand, dass im Interesse der Allgemeinheit und der Patienten von einem Apotheker ein sorgfältiger Umgang mit den abzugebenden Medikamenten erwartet werde. „Diese Erwartung frustriert aber derjenige, der den Inhalt von Verpackungen manipuliert und damit bewusst in Kauf nimmt, dass Präparate unterschiedlichen Alters und mit einer abweichenden Lagerungsgeschichte unerkannt in den Verkehr gelangen“.

Damit ist zum Monatsende tatsächlich Schluss für die Apotheke. Ob das Hauptsacheverfahren gegen den behördlichen Bescheid zu einem anderen Ergebnis kommt als das Eilverfahren, wird sich zeigen.

Verwaltungsgericht Leipzig, Beschluss vom 17. Mai 2024, Az.: 5 L 218/24


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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