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Droht eine Pandemie?
Vogelgrippe – was wir wissen und wie wir uns schützen können
Selten war das deutsche Interesse an US-amerikanischen Milchkühen so groß! Die Tiere schaffen es in die Hauptnachrichten und viele Menschen hierzulande sorgen sich um das Wohlbefinden der Rinder in den USA. Zwar ist es nicht ungewöhnlich, dass Kühe erkranken, allerdings ist es ungewöhnlich, dass diese speziellen Kühe an Influenza erkrankt sind, ausgelöst durch eine Infektion mit einem Influenza-A-Virus des Typs H5N1 – eigentlich ein Virus, das eine Vogelgrippe auslöst! Könnte das der Ausgangspunkt für eine neue Pandemie sein?
Nach Angaben des Animal and Plant Health Inspection Service des U. S. Department of Agriculture sind seit Ausbruch der Influenza bei Milchkühen insgesamt 161 Tiere erkrankt, die sich auf über zwölf Staaten der USA verteilen (Stand: 15. Juli 2024). Das klingt nach nicht vielen Fällen, selbst wenn man betrachtet, dass in den vorangegangenen 30 Tagen allein 55 Erkrankungen aufgetreten sind. Vielleicht wirkt es dramatischer, wenn die Anzahl der bestätigten Vogelgrippefälle bei Geflügelfarmen im gleichen Zeitraum gegenübergestellt werden: 2,16 Millionen! Da wundert es nicht, dass neben anderen Regionen mit Minnesota, Iowa und Colorado dieselben Staaten betroffen sind, in denen auch Milchkühe infiziert sind!
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Der gefundene Influenza-A-Virustyp H5N1 gilt als hochpathogen und wird deshalb auch mit HPAI abgekürzt (highly pathogenic avian influenza). In Vögeln ist die Infektion mit einer hohen Morbidität und Mortalität verbunden. Bei Milchkühen sind innerhalb einer Herde üblicherweise weniger als 10% der Tiere befallen und die Mortalitätsrate liegt bei höchstens 2%. Die Erkrankung äußert sich in geringem Appetit, niedrigerer Milchleistung und einer dickeren und verfärbten Milch. Warum interessieren uns also die 55 relativ leicht erkrankten Milchkühe so viel mehr, als die gut zwei Millionen potenziell dem Tod geweihten Truthähne, Gänse, Enten und Hühner?
Bisher galt das Influenza-A-Virus H5N1 als typisches Geflügelvirus, Kühe gehörten eher nicht zum Wirtsspektrum (s. Abb. 1). Dass nun diese Säugetiere infiziert sind, weist darauf hin, dass sich das Virus bereits so weit verändert hat, dass nicht mehr allein Vögel zur Virusvermehrung genutzt werden. Besonders kritisch wird außerdem beobachtet, dass sich in Texas, Michigan und Colorado bereits vier Farmarbeiter mit dem Virus infiziert haben. Ist also der Sprung hin zu einem humanpathogenen Virus bereits passiert?
Influenza-A-Viren und Co.
Die Influenzaviren gehören zu den sogenannten Orthomyxoviridae, die in den Wirtsorganismen akute, ansteckende Atemwegserkrankungen auslösen. Mittlerweile sind vier verschiedene Influenzaviren bekannt, die als Alpha-, Beta-, Gamma- und Deltainfluenzaviren respektive Influenza-A-, Influenza-B-, Influenza-C- und Influenza-D-Viren (IAV, IBV, ICV, IDV) bezeichnet werden. Für die jährliche Grippewelle sind vor allem die Influenza-A- und -B-Viren verantwortlich, weshalb in den saisonalen Impfstoffen Antigene beider Virustypen enthalten sind. Erkrankungen, die durch das Betainfluenzavirus ausgelöst werden, sind typischerweise weniger schwer als eine Typ-A-Influenza. Alle Pandemien, die sich in der Vergangenheit in der Welt ausgebreitet haben, sei es die Spanische Grippe (1918 bis 1920), die Hongkong-Grippe (1968/1970) oder die H1N1-Pandemie (2009), wurden immer von verschiedenen Influenza-A-Viren ausgelöst.
Gemeinsam ist den vier Influenzaviren, dass sie eine Hüllmembran und ein einzelsträngiges RNA-Genom in Minusstrang-Orientierung haben. Zudem liegt das RNA-Genom in acht (IAV, IBV) oder sieben (ICV, IDV) Segmenten im Viruspartikel vor. Jeweils ein Segment codiert für die wichtigen viralen Oberflächenproteine Neuraminidase und Hämagglutinin. Bisher sind für Influenza-A-Viren insgesamt 18 verschiedene Hämagglutinin- (H1 bis H18) und 11 Neuraminidase-Varianten (N1 bis N11) bekannt, sodass sich daraus 198 IAV-Subtypen kombinieren können. Für Vögel sind jedoch „nur“ 16 Hämagglutinin- und neun Neuraminidase-Proteine relevant und beim Menschen konnten bislang nur sechs verschiedene Hämagglutinin-Typen zu Infektionen führen.
Die Minusstrang-RNA wird im Zellkern der Wirtszelle durch einen viruseigenen RNA-Polymerase-Komplex repliziert (s. Abb. 2). Diese Replikation ist sehr fehleranfällig und sorgt für Mutationen in den neu entstandenen Viren und eine Weiterentwicklung der Viruspopulation; bei Influenza-A-Viren ist die Mutationsrate höher als bei Influenza-B-Viren und resultiert im sogenannten Antigendrift der Viren. Noch wesentlich dramatischer ist allerdings die Veränderung beim Antigenshift: Kommt es zufälligerweise zu einer gleichzeitigen Infektion einer Wirtszelle mit zwei unterschiedlichen Influenza-A-Virussubtypen, können die acht Genomsegmente in den neu gebildeten Viruspartikeln gemischt werden und es entstehen sogenannte Reassortanten mit völlig neuen Eigenschaften. Gerade dann, wenn verschiedene potenzielle Wirtsorganismen für Influenza-A-Viren auf engem Raum zusammenleben, kann es (schnell) zu solchen Reassortanten kommen.
Bisher zählten Rinder nicht zum bevorzugten Wirtsspektrum der Vogelgrippe-IAV. Und auch wir Menschen sind nicht ihre primäre Zielgruppe. Influenza-A-Viren wählen ihre Wirtszellen über bestimmte Zuckerverzweigungen auf den Zelloberflächen aus, an die das Hämagglutinin in der Hüllmembran des Virus bindet (s. Abb. 2). Während H5N1 α2,3-verknüpfte Sialinsäure im Gastrointestinaltrakt der Vögel präferiert, erkennen Grippeviren wie H1N1 α2,6-verknüpfte Sialinsäure in den oberen Atemwegen der Menschen. Erst im Bereich der unteren Atemwege des Menschen finden sich auch α2,3-verknüpfte Sialinsäure-Reste.
Was ist bisher bekannt?
Offensichtlich ist das Virus Ende 2021 erstmals in den USA aufgetaucht. Der spezielle H5N1-Virusstamm wird als Clade 2.3.4.4b bezeichnet und fand seinen Weg vermutlich in Zugvögeln von Asien über Europa nach Nordamerika. Ab Februar 2024 traten in den USA die ersten Infektionen bei Milchkühen auf und relativ schnell waren die ersten Todesopfer zu beklagen: Zwei Katzen verstarben, die mit unbehandelter Milch infizierter Kühe gefüttert wurden. Sie litten vor ihrem Tod an einer Enzephalitis, einer interstitiellen Pneumonie und einer nekrotisierenden Myokarditis, und in ihrem Gehirn, der Lunge und dem Herzen waren Influenza-Viruspartikel nachweisbar.
Wie sich genau die Kühe mit dem Vogelgrippevirus infizieren konnten, ist nicht ganz leicht nachzuvollziehen. Dadurch, dass die ersten Fälle jedoch entlang typischer Flugrouten der Wildvögel beobachtet wurden, liegt es nahe, dass das Virus irgendwie von den Vögeln zu den Rindern kam – eventuell über die Zwischenstufe der Geflügelfarmen und Farmarbeiter, die sowohl Geflügel als auch Rinder versorgten. Innerhalb einer Farm werden die Viren vermutlich über Melkmaschinen und der Betreuung der Tiere durch die Farmarbeiter weitergegeben. Eine weitere Virus-Verbreitung fand über den Transport scheinbar gesunder Tiere zu anderen Farmen statt. Mittlerweile gelten strenge Regeln für den Tiertransport innerhalb der USA mit ausreichend langen Quarantäne-Aufenthalten für die Rinder, bevor sie in die Herde eingebracht werden.
Der Food Safety and Inspection Service am US Department of Agriculture veröffentlichte im Mai die Nachricht, dass Rindfleisch sicher sei. Zwar wären im Muskelfleisch gekeulter, infizierter Rinder Viruspartikel nachweisbar, allerdings käme dieses Fleisch nicht auf den Nahrungsmittelmarkt. Will man sich nicht darauf verlassen, sollte auf rohes Rindfleisch vorsichtshalber verzichtet werden.
Für den Konsum von Kuhmilch empfiehlt die US Food and Drug Administration, nur pasteurisierte Produkte zu verwenden. In einer von der Behörde initiierten Studie wurde die sichere Abreicherung enthaltener Viren aus infizierten Milchproben durch die üblicherweise bei der Pasteurisierung gewählten Temperaturen nachgewiesen.
Wie ist die Situation in Deutschland?
Bisher meldet das Friedrich-Loeffler-Institut, das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, für den Juni 2024 nur zwei Wildvögel mit einer Infektion mit dem H5N1-Virus. Selbst für ganz Europa sind keine Infektionen in Geflügelfarmen registriert, geschweige denn, dass Säugetiere mit dem Vogelgrippevirus infiziert wären. Allerdings zeigte ein Virus-Isolat aus einem Wildvogel in Deutschland in einer Infektionsstudie durchaus das Potenzial, sich im Euter von Kühen gut vermehren zu können. Es könnte also leicht auch hierzulande zu einem ähnlichen Ausbruch einer Vogelgrippe in Kühen oder – noch einfacher – in Schweinen kommen.
Wichtig ist, möglichst jegliches Ausbruchsgeschehen, ganz gleich welches Virus es auslöst, so schnell wie möglich zu detektieren und genau zu überwachen. Mit dem Friedrich-Loeffler-Institut und dem Robert Koch-Institut sind in Deutschland zwei Einrichtungen vorhanden, die Erkrankungen in Tieren und Menschen genau beobachten und sehr früh vor ungewöhnlichen Häufungen warnen können.
Droht eine neue Pandemie?
Könnte durchaus sein! In einer kürzlich vorab bei Nature Online veröffentlichten, noch nicht final editierten Studie an Labor-Mäusen und Frettchen wurde gezeigt, dass das H5N1-Virus aus einer infizierten Kuh in den USA sowohl nach oraler Aufnahme als auch nach respiratorischer Infektion eine schwere Erkrankung auslösen und dabei zu einer systemischen Ausbreitung des Virus auf nicht-respiratorische Gewebe wie Augen, Brustdrüsen, Zitzen und Muskeln führen kann. Bisher können sich die Viren – zumindest bei Frettchen – jedoch nicht über Tröpfcheninfektion weiterverbreiten.
Ein Virus-Isolat aus einem infizierten Farmarbeiter lieferte jedoch ein etwas anderes Ergebnis: Mit einer Häufigkeit von 33% war eine Tröpfcheninfektion bei Frettchen durchaus möglich! Zudem konnte das Hämagglutinin der Viren sowohl an α2,3- als auch an α2,6-verknüpfte Sialinsäure binden, so dass Menschen leichter auch im oberen Respirationstrakt infiziert werden können.
Die Viren passen sich durch den Antigendrift mit jeder Passage besser an ihren Wirt an und so bleibt es nicht aus, dass sich die Virus-Isolate aus den ersten infizierten Kühen von dem aus einem infizierten Farmarbeiter bereits unterscheiden. Mittlerweile wurde schon eine kritische Mutation bei Influenza-A-Viren detektiert, die eine Vermehrung im Menschen erleichtert.
Damit aus einem Vogelgrippevirus jedoch ein pandemisches Virus wird, sind allerdings mehrere Mutationen nötig, die verschiedene, im gesamten viralen Replikationszyklus wichtige Proteine betreffen. Über die normale Mutationsrate wird es vermutlich noch einige Zeit dauern, bis ein pandemisches Virus entsteht, aber je mehr Organismen infiziert sind, desto mehr neue Viren werden gebildet und desto schneller kann es zu den entscheidenden Mutationen kommen. Kritisch könnte es werden, wenn die normale Grippesaison beginnt: Treffen dann humane Grippeviren beispielsweise in einem Farmarbeiter auf Vogelgrippeviren, könnte es zu einem Reassortement und zum Antigenshift kommen. Ein hoch-infektiöses Pandemievirus würde sich anschließend durch Selektion schnell durchsetzen und ausbreiten.
Wie können wir uns vor einer Vogelgrippe-Pandemie schützen?
Die COVID-19-Pandemie traf die Welt vor knapp fünf Jahren sehr unvorbereitet: Es gab zunächst keinen Impfstoff und auch kein Medikament, um die Virus-Vermehrung zu inhibieren. Selbst Masken und Desinfektionsmittel waren nicht in ausreichenden Mengen verfügbar.
Bei einer Vogelgrippe-Pandemie wäre die Situation ganz anders: Mit Zanamivir und Oseltamivir sind zwei Neuraminidase-Inhibitoren vorhanden, die auch gegen H5N1 wirken – schließlich wäre es die gleiche Neuraminidase-Variante, wie beispielsweise bei H1N1. Außerdem sind bereits verschiedene pandemische Influenza-Impfstoffe gegen die Variante H5N1 zugelassen; die Impfstämme müssten „nur“ noch exakt an das zirkulierende Pandemie-Virus angepasst werden – ähnlich, wie es jährlich mit den saisonalen Impfstoffen passiert.
Wichtig ist vor allem, dass sich diejenigen Personen, die häufigen Kontakt zu Wildvögeln, Geflügel in Farmbetrieben, Schweinen und auch Rindern haben, sich regelmäßig gegen die saisonale Grippe impfen lassen, um eine eventuelle gleichzeitige Infektion mit einem Vogelgrippevirus und einen möglichen Antigenshift zu vermeiden. Zusätzlich sollten sich diese Personen jedoch auch sorgfältig beobachten, ob Krankheitssymptome wie Konjunktivitis, Fieber oder Husten auftreten, die eventuell auf eine zoonotische Influenza hinweisen könnten. Die auftretenden Symptome bei einer aviären Influenza können sich durchaus von denen einer saisonalen Influenza unterscheiden und auch sehr mild ausfallen. Der Verdacht auf eine zoonotische Influenza ist gemäß §6 Abs. 1, Buchstabe s Infektionsschutzgesetz namentlich meldepflichtig. Ob eine Erkrankung tatsächlich zoonotischen Ursprungs ist, kann letztlich jedoch nur über genaue Erbgutanalyse einer Virusprobe bestimmt werden, was am Nationalen Referenzzentrum für Influenza am Robert Koch-Institut durchgeführt wird.
Eigentlich wäre es ja auch möglich, Tiere gegen eine Influenza zu impfen. Bisher gibt es zwar Grippe-Impfstoffe, die bei Geflügel und Schweinen angewendet werden können – beim Schwein auch gegen ein Pandemie-Virus, allerdings H1N1. Für Rinder ist noch kein Influenza-Impfstoff verfügbar. Sollten nun vermehrt auch Milchkühe mit IAV infiziert werden, wäre durchaus zu überlegen, ob hier nicht Nachholbedarf besteht.
Auf der Internetseite des Robert Koch-Instituts sind sehr viele aktuelle Informationen zur Vogelgrippe verfügbar. Das Bewusstsein von behördlicher Seite ist also prinzipiell da. Wichtig ist jetzt, dass auch jede und jeder Einzelne sich darüber im Klaren ist, dass die nächste Pandemie sicherlich kommen wird, die Frage ist nur, wann und durch welches Virus. Bei einer drohenden Influenza-Pandemie könnte es bereits helfen, sein Immunsystem durch regelmäßige Impfungen gegen saisonale Influenza-A-Viren zu stimulieren.
Literatur
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Zoonotische Influenza. Informationen des Robert Koch-Instituts (RKI), www.rki.de/DE/Content/InfAZ/Z/ZoonotischeInfluenza/ZoonotischeInfluenza.html?box=1¤t=Influenza%2C+zoonotische&lv2=2382010, Abruf am 18. Juli 2024
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