Forschung an kationenkanal

Mit Propofol gegen Epilepsie

Stuttgart - 05.08.2024, 09:45 Uhr

Bei einem Kind wird ein Elektroenzephalogramm aufgezeichnet, um die Hirnströme zu überprüfen. (Foto: Tobilander/AdobeStock)

Bei einem Kind wird ein Elektroenzephalogramm aufgezeichnet, um die Hirnströme zu überprüfen. (Foto: Tobilander/AdobeStock)


Das Anästhetikum Propofol hat wohl fragliche Berühmtheit erlangt, als der Popmusiker Michael Jackson 2009 an einer Überdosis verstarb. Eine Forschungsgruppe aus Schweden verschaffte dem Arzneimittel nun mit erfreulicheren Nachrichten Aufmerksamkeit: Propofol könnte zur Therapie bestimmter Epilepsieformen eingesetzt werden – zumindest strukturmechanistisch. 

Propofol wird als Narkosemittel eingesetzt. Im Hirn wirkt es unter anderem auf HCN-Kanäle, die auch bei bestimmten kindlichen Epilepsieformen eine Rolle spielen können. Um diesen Zusammenhang zu verstehen, müssen wir erst in die elektrisierende Welt der spannungsgesteuerten Ionenkanäle eintauchen.

 Hyperpolarization-activated-cyclic-nucleotide-gated(HCN)-1-Kanal ist ein spannungsgesteuerter Kationenkanal in der Membran von Neuronen, der bei der Depolarisation und Reizweiterleitung eine wichtige Rolle spielt. Ist der Kanal geöffnet, strömen positiv geladene Natrium- und Kalium-Ionen in die Zelle und depolarisieren diese. Auch im Herzen und Säure-detektierenden Zellen auf der Zunge finden sich HCN-Kanäle. Mutationen des HCN-1-Proteins konnten bereits mit Epilepsie assoziiert werden

Bei manchen dieser Polymorphismen kann sich der Kanal nicht mehr schließen und das führt zu einer Übererregtheit von Neuronen und epileptischen Anfällen. Eine im Fachjournal Nature erschienene Studie hat nun herausgefunden: Propofol kann diese mutierten neuronalen HCN1-Kanäle schließen und damit die Übererregtheit beenden. Der Wirkung des Propofols auf HCN-1 auf die Schliche gekommen sind die Autoren mithilfe von Kryo-Elektronenmikroskopie und anderer elektrophysiologischen Methoden. Bei zwei HCN-1-Mutationen, die zu einer bestimmten Epilepsieform im Kindesalter führen, konnte durch Propofol im Zellversuch die HCN1-Funktion wieder hergestellt und die Reizweiterleitung normalisiert werden. 

Epilepsieformen im Kindesalter

Epileptische Enzephalopathien sind Entwicklungsverzögerungen im Kindesalter, die mit schwer zu kontrollierenden epileptischen Anfällen in Verbindung stehen. Die betroffenen Kinder haben meist eine Intelligenzminderung und zeigen Verhaltens- und Entwicklungsstörungen. Bei manchen dieser Epilepsieformen ist der Kationenkanal HCN-1 mutiert. Die rhythmische Aktivität der Neuronen wird durch den Polymorphismus gestört, was zu den epileptischen Anfällen führen kann.

Das Autorenteam hofft, dass Propofol - oder ein noch zu entwickelnder Wirkstoff, der an mutiertem HCN-1 ähnlich wirkt -, zur Therapie bestimmter Epilepsieformen verwendet werden könnte.

Literatur

Kim ED et al. Propofol rescues voltage-dependent gating of HCN1 channel epilepsy mutants. Nature 31. Juli 2024, www.nature.com/articles/s41586-024-07743-z

Shimizu M et al. Propofol, an Anesthetic Agent, Inhibits HCN Channels through the Allosteric Modulation of the cAMP-Dependent Gating Mechanism. Biomolecules April 2022, www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9032835/

Broser P, Maier O. Frühe infantile epileptische Enzephalopathien. Epileptologie 2016, www.epi.ch/wp-content/uploads/Artikel-95-101_Maier.pdf

Bleakley LE, Reid CA. HCN1 epilepsy: From genetics and mechanisms to precision therapies. Journal of Biochemistry August 2023, doi: 10.1111/jnc.15928


Juliane Russ, M.Sc., DAZ-Redakteurin
jruss@dav-medien.de


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