Dringend Nachfolger gesucht

Insel-Apotheke in Helgoland vor dem Aus

02.09.2024, 17:50 Uhr

Für die Insel Apotheke auf Helgoland wird dringend ein Nachfolger für Inhaber Carsten Hase und seine Frau gesucht. (Foto: Carsten Hase)

Für die Insel Apotheke auf Helgoland wird dringend ein Nachfolger für Inhaber Carsten Hase und seine Frau gesucht. (Foto: Carsten Hase)


Die Insel-Apotheke ist die einzige Offizin auf Helgoland. Damit ist die Apotheke vermutlich diejenige, die deutschlandweit den größten Abstand zur nächsten Nachbarapotheke hat - mindestens 75 Fährminuten sind es bis zum Festland. Die Apotheke ist zuständig für Insulaner, Touristen und eine Klinik. Apotheker Carsten Hase und seine Frau möchten sich aus der Selbstständigkeit zurückziehen – finden aber seit über drei Jahren keinen Nachfolger. Nun fürchtet man um die Apotheke.

„Wir leben gerne auf der Insel“, sagt Apotheker Carsten Hase, der gemeinsam mit seiner Frau und einer PTA seit dem Jahr 2014 die Insel-Apotheke auf Helgoland betreibt. „Grön is dat Land – Rot is de Kant – Witt is de Sand. Dat sünd de Farven vun't hillige Land.“ So steht es gemeinsam mit den Inselfarben Grün-Rot-Weiß auch im Webauftritt der Insel-Apotheke. Hase und seine Frau, die vor über zehn Jahren aus Braunschweig in Niedersachsen auf die Insel kamen, um zunächst Vertretungsdienste zu machen und schließlich die Insel-Offizin zu übernehmen, haben sich definitiv in die Insel verliebt und sorgen sich um die Insulaner.

Allein – das Apotheker-Ehepaar hat oft nicht viel von der Schönheit der Insel. „Wir können viele Dinge, die uns wichtig sind, nicht machen. Das geht los bei gemeinsamem Schwimmen gehen – einer von uns muss ja immer zumindest telefonisch erreichbar sein. Gemeinsam auf die Düne? Kaum möglich. Ich war im Jahr 2023 genau zweimal auf der Düne – das ist definitiv zu wenig“, erzählt der Apotheker.

Letztlich sind die Hases 365 Tage im Jahr rund um die Uhr im Einsatz für die Apotheke und für 1253 Einwohner der Insel (Stand Ende 2023), mehr als 315.000 Übernachtungsgäste jährlich und die Patienten einer Fachklinik für Parkinson-Kranke mit zusätzlicher medizinischer Grundversorgung. „In dringenden und unvorhersehbaren Fällen außerhalb der Öffnungszeit bitte klingeln oder anrufen“, so steht es auf der Webseite und an der Tür der Apotheke.

Frust über Selbstständigen-Dasein spätestens seit Corona gewachsen

Dieser Umstand, die stetig weiter ausufernde Bürokratie und ein Gefühl, als Apotheker seitens Politik und Standesvertretung im Stich gelassen zu werden, schürte daher für das Ehepaar viel Frust über ihr Dasein als selbstständige Apotheker – und sie würden es gerne zu Gunsten eines Angestelltenverhältnisses beenden. Nicht zuletzt die Umstände der Corona-Pandemie hätten zuletzt den Entschluss gefestigt, dass die Hases daher einen Nachfolger suchen – und letztlich einen neuen Chef für die Apotheke und sich selbst.

„Fast jeder Geschäftsmann und jede Geschäftsfrau auf der Insel darf ohne Probleme das eigene Geschäft für ein paar Tage oder auch länger schließen – wie die langen Winterpausen, die viele machen – die Apotheke darf das nicht. Ich bin verpflichtet, jeden Morgen um 9 Uhr aufzuschließen – nicht einmal mein Ableben würde mich von der Verpflichtung befreien beziehungsweise meine Frau“, sagt Hase.


„Es gibt immer wieder tolle Termine, Veranstaltungen und Reisen, die wir seit Jahren nicht wahrnehmen können.“

Carsten Hase, Inhaber der Insel- Apotheke auf Helgoland


Das entspreche einfach nicht dem, was sie sich vom Leben erwarten würden, sagen die Apotheker. „Die Insel ist toll und das Leben hier auch wunderbar. Deshalb wollen wir auch auf der Insel bleiben. Aber die Welt bietet so viele spannende Dinge, die wir gerne auch erleben wollen. Es gibt immer wieder tolle Termine, Veranstaltungen und Reisen, die wir seit Jahren nicht wahrnehmen können“, sagt Hase. „Personalmangel ist das Problem. Es ist einfach kaum möglich, hier eine Vertretung zu bekommen.“ Als Beispiel nennt er eine Vertretung für einen geplanten Kurzurlaub, die er tatsächlich über ein Jahr lang im Voraus habe planen müssen. „Und kurz vor dem Termin jetzt kam der Anruf, dass sie doch nicht die ganzen Tage Vertretung machen könne“, erzählt er.

Dienstleister, die professionell organisiert Vertretungsdienste für Apotheken anbieten, seien unter dem Strich zu teuer – so seien längere Vertretungen kaum möglich, geschweige denn ein längerer Urlaub, aufgrund der ständigen Dienstbereitschaft. Die Insellage verschärfe das Personalproblem, unter dem natürlich alle Apotheken im Land zu kämpfen hätten, noch einmal zusätzlich, sagt Hase.

Festland ist mindestens 75 Fährminuten entfernt

Das Festland ist mit der schnellsten Verbindung mindestens 75 Minuten entfernt – per Fähre ins 63 Kilometer entfernte Cuxhaven. Und die fährt nach Fahrplan im Sommer zwar mehrmals täglich, aber natürlich nicht rund um die Uhr. Im Winter fährt das Schiff sogar nur fünfmal in der Woche – und bei Sturm unter Umständen gar nicht.


„Was soll eine Cellistin auf der Insel?“

Carsten Hase, Inhaber der Insel- Apotheke auf Helgoland


Somit braucht es auch für die Familienangehörigen von Vertretern oder Nachfolgern der Apotheker ebenfalls am besten Unterkunft und einen Job auf der Insel. Und wenn die nicht gerade als Rettungsschwimmer/in, Masseur/in oder in der Hotellerie arbeiten, wird es auf der Insel eben problematisch. „Was soll eine Cellistin auf der Insel?“, beschreibt es Hase plakativ.

Seit mehr als drei Jahren suchen die Hases nun bereits nach einem Nachfolger, der ihnen die Insel-Apotheke abnimmt – und sie idealerweise als Angestellte weiter beschäftigt. Denn auch den Beruf an sich lieben die Apotheker – nur nicht mehr als Selbstständige. „Uns liegen die Insulaner am Herzen – und die Insel, weil sie so schön ist“, sagt Hase. Man sei ihm zwar entgegengekommen und habe ihm angeboten, dass die Apotheke drei Wochen Betriebsferien machen könnte. „Aber das kann ich den Insulanern ja wohl nicht antun“, sagt er. Schließlich habe man ja auch eine Verantwortung für die Menschen als Apotheker.

Vor mehr als drei Jahren hat Hase nun ein ungefähres Enddatum verlauten lassen. Ende 2024 solle Schluss sein, hatte das Ehepaar erklärt. „Nun gibt es damit tatsächlich eine Notlage“, sagt Hase. Überregional in ganz Deutschland machte seitdem die Nachricht die Runde, die Apotheke werde womöglich schließen.

„Uns liegen die Insulaner am Herzen – und die Insel, weil sie so schön ist“, sagt Inhaber Hase. (Foto: Carsten Hase)

Da die nächste Apotheke auf dem Festland in Cuxhaven liegt und damit die Versorgung der Insulaner, Touristen und Klinik-Patienten tatsächlich gefährdet wäre, sind allerdings andere Lösungen wahrscheinlicher – so könnte die Apotheke etwa als Zweigstelle einer Festlandapotheke weiter betrieben werden. 

Betrieb als Zweig- oder Notapotheke möglich

„Soweit keine Apothekerin oder kein Apotheker den Betrieb einer Apotheke beantragt und ein Notstand in der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung öffentlich bekannt gemacht würde, besteht für die Gemeinde die Möglichkeit, eine Betriebserlaubnis zu beantragen. In diesem Fall erhält die Gemeinde die Betriebserlaubnis und hat einen Apothekenleiter/in anzustellen. Nach unserem Kenntnisstand wird aber aktuell von dieser Möglichkeit bundesweit kein Gebrauch gemacht“, erklärt Panagiota Fyssa, Sprecherin der Apothekerkammer Niedersachsen – dem benachbarten Bundesland zu Schleswig-Holstein, zu dem Helgoland gehört. Inselproblematiken kennt man aber auch in Niedersachsen.

„Bei den Inselapotheken besteht die besondere Situation, Apothekenmitarbeitende beziehungsweise Nachfolgerinnen oder Nachfolger mit der Bereitschaft zu finden, auf einer Insel zu leben. Bislang konnten in der Vergangenheit Nachfolger/innen gefunden werden“, sagt Fyssa – auf den zu Niedersachsen gehörenden ostfriesischen Inseln gebe es insgesamt elf Apotheken:  auf Borkum und Norderney jeweils drei öffentliche Apotheken (ganzjährig), auf Juist, Langeoog, Spiekeroog, Wangerooge: jeweils eine Apotheke (ganzjährig). „Und auf der Insel Baltrum wird von März bis November eine Zweigapotheke betrieben.“


„Bei der Suche nach einem Nachfolger muss das Privatleben der gesamten Familie mit dem Leben auf einer Insel ohne feste Landanbindung kompatibel sein. Das ist unabhängig von der wirtschaftlichen Situation der Apotheke ein weiterer wichtiger Faktor.“

Felix-Alexander Litty, Geschäftsführer der Apothekerkammer Schleswig-Holstein


Auf Rügen und Usedom, den größten deutschen Inseln, die zum Bundesland Mecklenburg-Vorpommern gehören, gibt es diese Problematik so allerdings allein wegen der Größe der Inseln nicht. „Die Apotheken auf den Inseln im Bundesland sind zu einem hohen Anteil ländlich gelegene Apotheken“, sagt Matthias Franke, Geschäftsführer der Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern. Der Fortbestand aller Apotheken, die die Vor-Ort-Versorgung der Bevölkerung sicherstellen und die zum Erhalt der Versorgungsqualität wichtig seien, sei aber immer von besonderer Bedeutung, sagt er.

Wirtschaftliche Lage in diesem Fall kein Problem

Felix-Alexander Litty, Geschäftsführer der für Helgoland zuständigen Apothekerkammer Schleswig-Holstein, sagt, der Betrieb einer Inselapotheke sei sicherlich spezieller als der einer Apotheke auf dem Festland. „Beispiele dafür sind die höhere Frequenz an Notdiensten und die saisonalen Unterschiede. Bei der Suche nach einem Nachfolger muss das Privatleben der gesamten Familie mit dem Leben auf einer Insel ohne feste Landanbindung kompatibel sein. Das ist unabhängig von der wirtschaftlichen Situation der Apotheke ein weiterer wichtiger Faktor“, erklärt Litty.

Die Situation auf Helgoland sei aktuell am dringlichsten, da hier eine Nachfolge bereits seit Längerem gesucht werde. „Hier wäre eine sichere Arzneimittelversorgung ohne eine Vor-Ort Apotheke aufgrund der weiten Entfernung zum Festland kaum möglich. Daher hat die Zukunft dieser Apotheke eine besondere Bedeutung. Hier ist der Ort sicherlich die größte Herausforderung bei der Nachbesetzung, da nach meiner Kenntnis die Apotheke wirtschaftlich betrieben wird. Eine Zweigapotheke wie auf Pellworm könnte eine Möglichkeit sein“, sagt er.

Der Inhaber der Insel Apotheke auf Helgoland, Carsten Hase. (Foto: Carsten Hase)

Tatsächlich ist die wirtschaftliche Lage der Insel-Apotheke auch nicht das Problem. Er wolle definitiv nichts schlechtreden, sagt Hase auf die Kritik des Helgoländer Bürgermeisters Thorsten Pollmann hin, der jüngst erklärte, Hases Darstellung sei „nicht sonderlich konstruktiv“.

Pollmann erklärte gegenüber der „Kreiszeitung“, es gebe „aktuell zwei Interessenten, die die Apotheke übernehmen würden, sowie eine Dreierkonstellation, die sich den Betrieb teilen würden“. „Ich weiß allerdings von keinem“, sagt Hase – mit ihm habe man für jenen Artikel auch leider nicht gesprochen.

Nachfolger wird ab 1. Januar 2025 gesucht - Datum nicht fest

Das zuständige Landesamt für Soziale Dienste des Bundeslandes Schleswig-Holstein hat seit dem 26. Juni eine „Öffentliche Bekanntmachung zur Suche nach einem Betreiber einer Apotheke auf Helgoland“ unter anderem online veröffentlicht. Darin heißt es: „Der jetzige Betreiber der Insel-Apotheke auf Helgoland wird zum 31.12.2024 seinen Betrieb einstellen. Aus Sicht der Gemeinde ist eine Apotheke auf Helgoland unverzichtbar und die Gemeinde sieht mit der Schließung der Apotheke einen kritischen Notstand in der Arzneimittelversorgung. Daher wird zum 1. Januar 2025 ein Nachfolger gesucht.“ Weiterhin wird erläutert: „Die Insel-Apotheke ist die einzige Apotheke auf Helgoland und muss daher immer dienstbereit sein. Die Insel wird zudem von zahlreichen Gästen besucht, die kurzfristig Medikamente benötigen. Zum Versorgungsumfang gehört auch die Belieferung einer Klinik auf Helgoland.“

Das Enddatum stehe indes noch nicht genau fest, sagt Hase. „Aktuell haben wir Ende Januar im Auge. Es kommt uns aber nicht auf ein oder zwei Monate an. Sollte etwa eine Übernahme durch die Gemeinde erst zu Ende Februar oder Ende März möglich sein, würden wir natürlich so lange weitermachen“, sagt er – eine so durch die Gemeinde betrieben Notapotheke würden die Hases als Angestellte dann gerne am Laufen halten – dazu gebe es Gespräche, betont auch der Bürgermeister gegenüber der Kreiszeitung.

Auch Rettungsschwimmer, Medizinische Bademeister oder Psychotherapeuten gesucht

Durch die Veröffentlichung sei die Notlage erklärt und man wahre so die Frist von mindestens einem halben Jahr, erklärt Hase.

Dass das Apothekerehepaar Hase trotz wirtschaftlich guter Lage einfach „mehr vom Leben“ haben möchte, kann ihnen sicherlich niemand vorwerfen. Wie schrieb der Inseldichter Helgolands – James Krüss – schließlich in seinem (Kinder-)Buch „Freunde von den Hummerklippen“: „Die Moral lautet: Gold und Glück sind ganz verschiedene Sachen. Oder auch: Gold ist ein Gut, aber nicht unbedingt ein gutes.“

Wer im Übrigen Interesse an der Apotheke hat, kann sich an Carsten Hase unter e-mail@hochsee-apotheke.de, unter apothekenwesen@lasd.landsh.de an das Landesamt für Soziale Dienste Schleswig-Holstein oder den Bürgermeister von Helgoland unter t.pollmann@helgoland.de wenden. Aktuell sucht man auf der Insel auch noch unter anderem Rettungsschwimmer, Medizinische Bademeister oder Physiotherapeuten…


Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Wirtschaftliche Lage

von Michael Mischer am 04.09.2024 um 10:50 Uhr

Was mir unklar blieb:
Mal abgesehen von allen besonderen Belastungen, die man als Interessent bereit sein muss auf sich zu nehmen - wie soll eine Apotheke, die aktuell von einem Ehepaar und nach der Schilderung in diversen Artikeln ohne weitere approbierte Angestellte betrieben wird, künftig einen anderen Apothekenleiter und eben dieses Ehepaar als Angestellte finanzieren? Wäre es so einfach, könnte ja auch die aktuelle Leitung einen Approbierten anstellen, der dann auch die Urlaubsvertretung macht. Oder einer der beiden Ehepartner könnte eine andere Tätigkeit aufnehmen und der andere als Ersatz einen Approbierten anstellen.

All das scheint nicht zu gehen, womit auch außer Frage stehen dürfte, ob man die Apotheke übernehmen und nur einen der beiden oder beide in Teilzeit anstellen könnte.

Wenn das so zutrifft, bleibt ja nur der Betrieb über eine Notapotheke und die Anstellung der beiden vormaligen Betreiber oder anderer Approbierter. Was die Gemeinde in die interessante Position bringt, eine Apotheke (möglichst) wirtschaftlich zu betreiben. Und die Frage aufwirft: Darf eine Gemeinde hier über Tarif zahlen?

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