GLP-1-Agonist punktet in Phase-III-Studie

Liraglutid bald auch für Kinder?

11.09.2024, 14:30 Uhr

Für stark adipöse Kinder ab sechs Jahren, die trotz einer Veränderung im Lebensstil ihren Body-Mass-Index nicht reduzieren können, könnte der GLP-1-Agonist Liraglutid bald eine Option sein. (Foto: kwanchaichaiudom / AdobeStock)

Für stark adipöse Kinder ab sechs Jahren, die trotz einer Veränderung im Lebensstil ihren Body-Mass-Index nicht reduzieren können, könnte der GLP-1-Agonist Liraglutid bald eine Option sein. (Foto: kwanchaichaiudom / AdobeStock)


Die GLP-1-Agonisten werden effektiv zur Gewichtsreduktion bei Adipositas eingesetzt. Zugelassen sind sie ab einem Alter von zwölf Jahren. Der Hersteller von Saxenda® (Liraglutid) präsentiert nun die Ergebnisse einer Phase-III-Studie an Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren.

Glucagon-like peptide-1(GLP-1)-Analoga wirken unter anderem über eine Hemmung des Appetits und damit der Nahrungsaufnahme antiadipös. Liraglutid (Saxenda®) muss einmal täglich, das neuere Semaglutid (Wegovy®) einmal wöchentlich subkutan appliziert werden. Beide Wirkstoffe sind für Erwachsene, aber auch für Kinder im Alter von zwölf Jahren oder älter zugelassen. Voraussetzung bei Kindern ist das Vorliegen einer Adipositas über der 95%-Perzentile für den Body-Mass-Index (BMI). In den zugehörigen Tabellen der jeweiligen Fachinformationen wird dabei auf unterschiedliche Kriterien Bezug genommen, für Semaglutid auf die CDC-Kriterien (US Centers for Disease Control and Prevention), für Liraglutid auf die IOTF (International Obesity Task Force). Beispielsweise ist für einen zwölfjährigen Jungen mit 1,50 m Körpergröße Semaglutid ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 24,2 kg/m2, entsprechend rund 55 kg Körpergewicht indiziert, Liraglutid ab einem BMI von 26,02 kg/m2, entsprechend 59 kg Körpergewicht. Zum Vergleich: die 50%-Perzentile für das Gewicht eines Jungen im Alter von zwölf Jahren liegt bei 40 kg.

Adipositas ab BMI auf der 95%-Perzentile oder darüber

Der Einsatz der GLP-1-Agonisten bei noch jüngeren Kindern wird derzeit untersucht. Saxenda®-Hersteller Novo Nordisk hat nun im New England Journal of Medicine die ersten Ergebnisse der SCALE Kids-Studie, einer Phase-IIIa-Studie zur Effektivität bei adipösen Kindern ab sechs Jahren vorgestellt. 82 Kinder im Alter von sechs bis elf Jahren mit einem BMI auf der 95%-Perzentile oder darüber, jedoch ohne Typ-1-Diabetes und ohne manifeste Folgeerkrankungen der Adipositas wurden eingeschlossen. Über 56 Wochen erhielten 56 Kinder täglich 3 mg oder die individuell maximal verträgliche Dosis Liraglutid, 26 Kinder einen Placebo subcutan injiziert, gefolgt von einer 26-wöchigen Beobachtungsperiode. Lebensstilverändernde Maßnahmen wurden parallel bei beiden Gruppen durchgeführt – unter derselben Voraussetzung ist Saxenda® auch für ältere Kinder und Erwachsene zugelassen.

BMI nach 56 Wochen unter Liraglutid 7,4 Prozent niedriger als unter Placebo

Die prozentuale Änderung des Body-Mass-Index über den Studienzeitraum wurde bestimmt. Die Kinder, die Liraglutid erhielten, hatten nach 56 Wochen einen durchschnittlich um 5,8 % erniedrigten, die Kinder unter Placebo-Therapie dagegen einen um 1,6 % erhöhten BMI, entsprechend einer Differenz zwischen beiden Gruppen von 7,4 % (95%-Konfidenzintervall [KI]: −11,6 bis −3,2;  p < 0.001). Eine BMI-Reduktion um mindestens 5 % erreichten 46 % der Kinder unter Liraglutid, jedoch nur 9 % der Kinder aus der Placebo-Gruppe.

Gastrointestinale Nebenwirkungen sind häufig

Bei 89 % der Kinder unter Liraglutid-Therapie traten Nebenwirkungen auf. Doch die Nebenwirkungsrate in der Placebo-Gruppe war ähnlich hoch und lag bei 88 %. Deutliche Unterschiede zeigten sich im Auftreten von gastrointestinalen Beschwerden, meist leichte bis moderate Übelkeit und Erbrechen, über die 80 % der mit Liraglutid behandelten Kinder, aber nur 54 % der Kinder, die Placebo verabreicht bekamen, klagten. Schwere Nebenwirkungen wurden bei 12 % der Kinder unter Liraglutid und 8 % unter Placebo beobachtet. Dabei wurden von den Studienautoren drei Fälle als möglicherweise oder wahrscheinlich mit der Liraglutid-Therapie zusammenhängend eingestuft: Zwei Kinder litten an schwerem Erbrechen, bei einem Kind entwickelte sich eine Colitis.

Liraglutid reduziert den BMI zehnmal stärker als eine Lebensstiländerung

Prof. Dr. Daniel Weghuber, Vorstand der österreichischen Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde des Uniklinikums Salzburg ordnete die Bedeutung der Studie für die Therapie adipöser Kinder gegenüber dem Science Media Center ein: „Bisher gibt es für diese Altersgruppe keinerlei Medikation, um Adipositas zu behandeln. Beim Großteil der Jugendlichen, bei denen eine Adipositas besteht, bestand sie auch schon zum Zeitpunkt der Einschulung, die dann meist bis ins Erwachsenenalter bestehen bleibt. Grundsätzlich ist eine Intervention bei diesen Kindern so früh wie möglich wichtig. Bisher sind die Methoden, die zur Verfügung stehen, ausschließlich eine Lebensstilveränderung im Rahmen einer Familienschulung. Das ist leicht gesagt, aber sehr schwierig umzusetzen. Insofern ist diese Studie für Kinder mit Adipositas, und insbesondere einer extremen Form von Adipositas, ein wesentlicher ergänzender Schritt für die Ermöglichung einer Therapie.“ Weghuber betont auch die hohe Effektivität von Liraglutid: „Die placebokontrollierte Effektstärke ist groß, die Gewichtsveränderung mit einem Unterschied von 7,4 Prozent des BMI zwischen den beiden Gruppen entspricht dem Zehnfachen, was man von einer Lebensstiländerung erwarten würde.“

Auch Semaglutid wird in der Therapie jüngerer Kinder untersucht

Prof. Dr. Martin Wabitsch, Sektionsleiter Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie und Leiter des Endokrinologischen Forschungslabors am Universitätsklinikum Ulm stellt gegenüber dem Science Media Center klar, dass nicht alle übergewichtigen Kinder in Zukunft mit GLP-1-Agonisten behandelt werden sollten: „Das Medikament kommt zukünftig vor allem für Kinder mit extremer Adipositas in Frage und sicher nicht für alle Kinder mit Adipositas. Dies ist eine kleine Gruppe an Patienten, die durch eine starke biologische Anlage für Adipositas charakterisiert ist. Diese manifestiert sich unter anderem durch einen Defekt der zentralen Regulation von Hunger und Sättigung. Genau hier setzt Liraglutid an.“ Wabitsch stellt in Aussicht, dass auch Semaglutid langfristig für Kinder ab sechs Jahren verfügbar sein könnte: „In einer weiteren Studie, die aktuell noch an unserem Zentrum in Ulm läuft, wird ein vergleichbares Medikament (Semaglutid, das nur einmal wöchentlich injiziert wird) bei sechs- bis zwölfjährigen Kindern in einer randomisierten Studie untersucht. Wir erwarten die Ergebnisse im Jahr 2025 und denken, dass eine einmal wöchentliche Injektion weitere Vorteile bietet.“

Literatur

CK Fox et al. Liraglutide for Children 6 to <12 Years of Age with Obesity — A Randomized Trial. publ. online September 10, 2024, doi: 10.1056/NEJMoa2407379


Dr. Sabine Werner, Apothekerin und Redakteurin
readktion@daz.online


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