Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

15.09.2024, 07:00 Uhr

Der Widerstand gegen die Apothekenreform ist groß: Auch im September geht's nicht weiter... (Foto: Alex Schelbert)

Der Widerstand gegen die Apothekenreform ist groß: Auch im September geht's nicht weiter... (Foto: Alex Schelbert)


Apothekers waren schon immer kreativ. In Brandenburg stellt ein Kollege in Zusammenarbeit mit einem Supermarkt ein Vorbestell-Terminal auf für OTCs und zum Einlösen von E-Rezepten. Da ist der Automat mit telepharmazeutischer Anbindung nicht mehr weit; und den EU-Versendern läuft das Wasser im Munde zusammen. Derweil besuchen Politikerinnen und Politiker viele Apotheken und versichern ihre Unterstützung. Der Widerstand gegen die Aporeform wächst. Kein Wunder, dass es mit ihr nicht weitergeht, in der jetzigen Form jedenfalls nicht. Die ABDA schlägt bereits vor, die GKV-Kassen von versicherungsfremden Leistungen zu entlasten und das Geld fürs Apothekenhonorar zu verwenden. Und der Hessische Apothekerverband weiß, was gegen Lieferengpässe helfen könnte und schickt seine Vorschläge ans Ministerium. Während  Apothekenökonom Kaapke der ABDA am liebsten eine Diät zum Abspecken und Verschlanken vorschlägt und sich mehr Professionalisierung wünscht. 

9. September 2024

Apotheker Michael Kranz, Inhaber der Grünen Apotheke Prenzlau „Am Markt“ und „Am Sternberg“, möchte keine Denkverbote, wenn es um den Ersatz der wegbrechenden Apothekenstruktur geht. Er sucht schon seit geraumer Zeit nach neuen Wegen, um die Arzneimittelversorgung auch in Zukunft flächenmäßig zu gewährleisten. Und er sucht nicht nur, er handelt bereits. In Boitzenburg betreibt er seit einiger Zeit eine „Pick-up-Stelle“ auf Wunsch des Bürgermeisters, weil eine Apotheke dort wirtschaftlich nicht tragbar sei. In der Offizin seiner Grünen Apotheke hat er ein Bestellterminal aufgestellt, wo die Kundschaft frei verkäufliche Produkte per Selbstbezahlung erwerben sowie OTC- und Rx-Arzneimittel vorbestellen kann – die Arzneimittel werden dann über einen Automaten bereitgestellt. Kranzs neuestes Projekt: ein Apothekenterminal in einem Supermarkt in Prenzlau. Die Kundschaft des Supermarkts kann an diesem Terminal E-Rezepte einlösen und verschreibungspflichtige und OTC-Produkte zum Versand nach Hause oder zur Abholung in der Apotheke vorbestellen. Kranz kooperiert dabei mit dem Supermarktinhaber Gilbert-Peter Boullay, der seiner Kundschaft den Zugang zu Arzneimitteln im ländlichen Raum erleichtern will. Am liebsten würde Boullay auch eine Abholstation für Arzneimittel in seinem Markt anbieten, berichtete bereits die „Lebensmittel Praxis“. Mein liebes Tagebuch, innovative Ideen, in der Tat. Soweit eine Vor-Ort-Apotheke dahinter steht, klingt dies alles ein bisschen mehr oder weniger nach innovativer Rezeptsammelstelle. Allerdings sind diese Ideen natürlich verdammt nahe an der verbotenen DocMorris-Idee, in ländlichen Regionen Arzneimittelabgabe-Automaten aufzustellen, Automaten, die dann über Telepharmazie mit einer Apotheke verbunden sind. Kranz denkt bereits in Richtung Automat: Er würde in Zukunft natürlich gerne einen Automaten im Marktkaufcenter aufstellen, an dem die Kunden ihre Arzneimittel abholen können – die Behörde hat dies allerdings untersagt. Denn wer könnte dann noch verhindern, dass EU-Versender in Supermärkten solche Automaten aufstellen? Ließen sich überhaupt eindeutige Kriterien aufstellen, wann solche Arzneimittelabgabestellen möglich sind und wann nicht? Mag sein, dass das Apothekensterben neue Ideen fordert, aber dann sollten sie so gestaltet sein, dass Arzneimittelautomaten von EU-Versendern nicht zum Zuge kommen. Wie sollte das möglich sein?

 

So viel und so oft haben Politikerinnen und Politiker wohl noch nie Apotheken besucht wie in den letzten Wochen. Mein liebes Tagebuch, da rollt zurzeit eine Besuchswelle durchs Land. Und das zurecht! Denn gegen Lauterbachs Apothekenreform kann es nicht genug Unterstützung geben. Auch FDP-Bundestagsfraktionschef Christian Dürr hat sich in der Oldenburger Dobben-Apotheke vor Ort über die Lage der Apotheken informiert. Dr. Gabriele Röscheisen-Pfeifer, Vorstandsmitglied der Apothekerkammer Niedersachsen und Leiterin der Dobben-Apotheke, und Silke Langer (Leiterin Alte Raben Apotheke in Hude) machten Dürr und weiteren FDP-Politikerinnen und -Politikern deutlich, dass die zunehmenden Apothekenschließungen in Niedersachsen eine ernsthafte Bedrohung für die Gesundheitsversorgung darstellen. Dürr zeigte Verständnis für die Sorgen der Apothekerschaft und sicherte seine Unterstützung zu. Dürr wörtlich: „Die finanziellen Mittel, um die Apotheken angemessen zu unterstützen, sind vorhanden.“ Mein liebes Tagebuch, sein Wort in Lauterbachs Ohr!

 

10. September 2024

Versicherungsfremde Leistungen sind den gesetzlichen Krankenkassen ein Dorn im Auge. Das  Defizit der Kassen wächst und wächst, die Reserven liegen nur knapp über der gesetzlich vorgesehenen Mindestreserve. Der GKV-Spitzenverband fordert daher u. a. eine Dynamisierung des Bundeszuschusses für die versicherungsfremden Leistungen. Mein liebes Tagebuch, wie wäre es, wenn unser Bundesgesundheitsminister, offen für innovative Ideen, die GKV-Kassen von den versicherungsfremden Leistungen befreit? Die ABDA hätte hier einen Vorschlag: „Die Politik muss die Krankenkassen von versicherungsfremden Leistungen entlasten, damit die Gesundheitsversorgung der Patientinnen und Patienten endlich wieder ausreichend finanziert werden kann“, sagte Präsidentin Gabriele Regina Overwiening. Und sie weiß auch, wofür das Geld besser eingesetzt werden könnte: Das Geld sollte verwendet werden, um die Arzneimittelversorgung über die Apotheken zu stabilisieren. Bingo, mein liebes Tagebuch, zwei Fliegen mit einer Klappe: Die Kassen müssen keine versicherungsfremden Leistungen mehr stemmen und die Ampel-Koalition könnte nach einem elfjährigen Honorarstillstand auch dafür sorgen, dass die Apotheken wieder wirtschaftlich tragbar sind.

 

Auch in Sachsen-Anhalt: Politik besucht Apotheke. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) schaute in der Halberstädter Apotheke am Bahnhof von Inhaber Ulrich Grosch vorbei. Der Apotheker und sein Team konnten dem Ministerpräsidenten verdeutlichen, wie brisant die finanzielle Lage der Apotheken ist. Für Haseloff ist klar: Apotheken müssen flächendeckend erhalten bleiben, „das sichert die Stabilität der Demokratie der politischen Mitte“. Und in Richtung Berlin sagte er: Er sehe den Bund in der Pflicht, für eine ausreichende Finanzierung zu sorgen und darüber hinaus die gesetzlichen Krankenkassen von sachfremden Leistungen zu entlasten. Mein liebes Tagebuch, auch hier zeigt es sich: Die Gespräche von Apothekerinnen und Apotheker mit Politikerinnen und Politikern vor Ort öffnet der Politik die Augen. Das schafft Verständnis für  die Sorgen und Nöte der Apotheken vor Ort. Also, laden wir auch in den kommenden Wochen die Politik in unsere Apotheken ein!

 

11. September 2024

Apotheken sterben auch in Berlin, und es sind nicht wenige. Auf eine Anfrage von Kristian Ronneburg, Abgeordneter der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, teilte die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege mit, dass sich die Apothekenzahl seit 2013 in allen Berliner Bezirken verringert hat, insgesamt um knapp 17 Prozent. Aber gleichzeitig habe sich die Bevölkerungszahl im Land Berlin im Zeitraum von 2014 bis 2023 um etwas mehr als 9 Prozent erhöht. Ronneburg fragte auch, was der Senat dagegen tun könne. Und die Antwort des Senats: Die Politik wisse ganz genau, was die Apotheken plagt, deren Argumente seien vor allem auf Landesebene angekommen. Aber, so der Senat, es gebe keine staatliche Steuerung, der Senat könne nicht in dieses Marktgeschehen eingreifen. Mein liebes Tagebuch, klingt erstmal sehr dünn, aber der Senat schiebt nach: Auf politischer Ebene setze man sich z. B. im Bundesrat und in der Gesundheitsministerkonferenz dafür ein, „dass die bundesweit einheitlichen Rahmenbedingungen für Apotheken derart umgestaltet werden, dass sich der Apothekenbetrieb durch eine auskömmliche Vergütung und verlässliche Rahmenbedingungen wieder (mehr) wirtschaftlich trägt“. Den Apothekenreform-Entwurf könne man allerdings nicht bewerten, es wäre „nicht zielführend“ und „spekulativ“. Nun ja, mein liebes Tagebuch, man hätte auch anders darauf antworten können…, mit mehr Verständnis für Apotheken und deren Bedeutung. Und vor allem mit mehr Einsatz beim Bund.

 

Als eine der ersten privaten Krankenversicherungen bietet die Gothaer Krankenversicherung ihren Versicherten an, sich E-Rezepte ausstellen zu lassen und einzulösen. Benötigt werde dafür lediglich die einheitliche Krankenversicherungsnummer und die Gothaer ePA-App, eine App, die den Zugang zur elektronischen Patientenakte und nun auch für das E-Rezept bietet. Die Versicherten können dann auch die Kostenbelege der eingelösten E-Rezepte direkt an die GesundheitsApp weiterleiten. Mein liebes Tagebuch, hat ein bisschen gedauert, aber bald sind auch die Privaten beim E-Rezept dabei.

 

„Ein paar dunkle Wolken“ sieht Thomas Müller, für Arzneimittel zuständiger Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium, aufziehen. Er meint damit: Die nächsten Kostendämpfungsmaßnahmen stehen vor der Tür. Er sagte dies auf der Mitgliederversammlung des Verbands Pharma Deutschland. Angesichts der jüngst veröffentlichten GKV-Finanzergebnisse und den zweistelligen Steigerung bei den Arzneimittelausgaben werde es ohne erneute Kostendämpfungsmaßnahmen wohl nicht gehen, prognostizierte er. Spätestens nach der Wahl werde man über ein weiteres Gesetz zur Stabilisierung der GKV-Finanzen nachdenken müssen. Mein liebes Tagebuch, in dieser Legislaturperiode wird zwar kaum noch etwas geschehen, aber nach der Wahl – die Regierung wird vermutlich alte und neue Bereiche auftun, um Kosten für die GKV zu sparen. Und da liegt der Arzneimittelsektor so nahe, ist ja auch so einfach. Es wird nicht besser…


12. September 2024

Hand aufs Herz: Das Lieferengpassgesetz von Lauterbach hat nicht wirklich etwas gebracht. Die Apotheken kämpfen nach wie vor täglich mit Engpässen und verbringen viel Zeit mit der Suche nach lieferbaren Arzneimitteln. Schlimm! Der Hessische Apothekerverband (HAV) schlägt Alarm – und schreibt einen Brief an das Gesundheitsministerium. HAV-Chef Holger Seyfarth macht deutlich, dass die Apotheken wegen massiver Lieferengpässe nicht in vollem Umfang die Arzneimittelversorgung aufrecht erhalten können. Der HAV formuliert Vorschläge, wie die Lage verbessert werden könnte, z. B. durch ein umgehendes Ende des Preisdiktats bei Rabattverträgen zwischen Herstellern und Krankenkassen. In den Rabattverträgen müssten eine Mindestbevorratung und eine Diversifizierung der Lieferanten zwingend berücksichtigt werden. Außerdem soll, so die HAV-Forderung, ein staatlich überwachtes System zur frühzeitigen Erkennung von Lieferengpässen eingerichtet werden und Vor-Ort-Apotheken sollen bei der Bevorratung von kritischen verschreibungspflichtigen Arzneimitteln umfangreich logistisch und finanziell unterstützt werden. Mein liebes Tagebuch, die Forderungen stehen im Raum, auf die Antwort des Ministeriums kann man gespannt sein.

 

Das E-Rezept läuft – mehr oder weniger gut. Also das E-Rezept für „normale“ GKV-Rezepte. Aber wir wissen, es gibt mehr als „normale“ GKV-Rezepte, da wären z. B. noch die Hilfsmittel-Rezepte, die T-Rezepte und BtM-Rezepte. Der Plan, wie rasch und wann diese Rezeptarten an den Start gehen sollen, steht zwar, aber es geht so weiter, wie das E-Rezept gestartet ist: holprig. Eigentlich wäre im kommenden Jahr das bisher dreiteilige BtM-Rezept an der Reihe, durch eine digitale Variante ersetzt zu werden. Ob das so kommen wird, ist allerdings offen: Das Bundesgesundheitsministerium hält sich derzeit sehr bedeckt, ob dieser Zeitplan zu halten ist. Vermutlich sind fehlende finanzielle Mittel der Grund. Mein liebes Tagebuch, wie weit ist unser Land gekommen, dass nicht mal mehr Geld für die Digitalisierung bei BtM-Rezepten vorhanden ist!

 

Professionell und schlank soll sie werden, unsere ABDA – sie war lange genug laienhaft und aufgebläht. Sie hatte sich vor geraumer Zeit eine Strukturreform verordnet, die allerdings nur mäßig ans Laufen kommt. Derzeit stockt sie, wie DAZ-Autor und Apotheken-Ökonom Prof. Dr. Andreas Kaapke von der Dualen Hochschule in Baden-Württemberg zutreffend analysiert. In seinem DAZ-Beitrag legt er deutlich dar, was aus seiner Sicht nötig wäre, nicht nur an ein „Reförmchen“ zu denken, sondern die ABDA wirklich zukunftsfähig zu machen. Mein liebes Tagebuch, den Beitrag sollten alle lesen, die auch nur ein bisschen berufspolitische interessiert sind! Kaapke spricht z. B. die atomisierte Struktur der ABDA an: Insgesamt sind es 37 Organisationen, die unter dem ABDA-Dach ihr Stelldichein geben: 17 Landeskammern, 17 Landesverbände, jeweils die dazugehörige Bundesinstitution und die ABDA als organisatorische Klammer. Und dies in der heutigen Zeit, in der es immer weniger Apotheken gibt. Was für ein Mammut-Apparat! Mal ehrlich: Die Zeit ist gekommen, auch diese Strukturen zu hinterfragen.

 

13. September 2024


Wie geht’s denn nun weiter mit der Apothekenreform. Schon zweimal wurde die Kabinettsvorlage des Lauterbachschen Machwerks verschoben. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass es auch im September nichts mit einem Kabinettbeschluss wird. Der jüngsten Kabinettzeitplanung ist zu entnehmen, dass die Aporeform im Oktober „in Betracht“ kommen könnte. Mein liebes Tagebuch, das wundert uns nicht. Der Widerstand aus den Bundesländern ist groß, außerdem sind regierungsinterne Abstimmungen noch immer nicht abgeschlossen. Eigentlich müsste Lauterbach doch einsehen, dass er mit seinem Papier keinen Blumentopf mehr gewinnen kann – zumindest solange er die Apotheke ohne Apotheker als seine Wunschvorstellung beibehält. Wir werden sehen, der Deutsche Apothekertag ist nicht mehr fern – und dort wird er (oder vielleicht sein Avatar?) den Delegierten digital in Big-Brother-Manier von der großen Video-Leinwand aus seine Vorstellungen kundtun. Mann, wie wir uns darauf freuen, auf so viel Nähe, Zuneigung und Menschlichkeit.

 

Der Lesetipp fürs Wochenende: Hochpreiser – ein Wort, das vielen Apothekerinnen und Apothekern auf besondere Weise unruhige Nächte beschert. Hochpreiser – für Außenstehende stellen sie sich auf den ersten Blick als Rieseneinnahme-Quelle dar, bei näherer betriebswirtschaftlicher Betrachtung entpuppen sie sich als finanzieller Horror-Trip, der eine Apotheke in den Ruin stürzen kann. Lauterbach will bekanntlich das Honorar für Hochpreiser von 3 auf 2 Prozent senken – welche Apotheke wird dafür noch ihren Kopf hinhalten und ihre Existenz aufs Spiel setzen? Die Zeitschrift „AWA – Apotheke und Wirtschaft“ bringt in ihrer aktuellen Ausgabe eine detaillierte kaufmännische Analyse des Geschäfts mit Hochpreisern. Den äußerst lesenswerten Artikel finden Sie hier.


Peter Ditzel (diz), Apotheker / Herausgeber DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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1 Kommentar

Laienhaft und…

von Ulrich Ströh am 15.09.2024 um 8:37 Uhr

Laienhaft und aufgebläht…
so schreibt hier heute Peter Ditzel über die ABDA .
Dem ist wenig hinzuzufügen.

Karl Lauterbach sieht natürlich auch,dass wir aktuell uns 34 eigenständige Landesorganisationen gönnen.
Zusätzlich bezahlen wir Beiträge an die IHK,deren Nutzen für uns schon immer spärlich war.

Solange 17000 Apotheken jährlich so etwas stemmen können,
kann es in -seinen- Augen mit der wirtschaftlichen Lage der Apotheken noch nicht so existenziell schwierig sein…

Veränderungen sind ausstehend !

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