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Gast-Kommentar zur aktuellen Rabattvertragslage für Zytostatika in Bayern
Rabattvertragsexperimente: Schlimmer geht immer
Rabattverträge halten derzeit experimenthalber Einzug in die Onkologie. Die bisherigen Erfahrungen lassen an einen Schildbürgerstreich erinnern und dürften auch für Kolleginnen und Kollegen außerhalb des Mikrokosmos der Sterilzubereitung Unterhaltungswert haben. Doch wir haben es mit dem wahren Leben zu tun. Ein Gastkommentar von Monika Schübel, Thomas Wellenhofer und Florian Ziegler.
Stellen Sie sich einmal vor, Ihre Aufgabe ist es, schwer kranke Menschen mit Arzneimitteln zu versorgen. Stellen Sie sich gleichzeitig dazu vor, dass die für die Bezahlung zuständigen Krankenkassen Verträge mit Arzneimittel-Herstellern schließen, um intransparente Kickback-Zahlungen einzusacken. Und dann stellen Sie sich vor, dass besagte Kassen Ihnen als Apotheke die komplette Zahlung der Arzneimittel verweigern – in Form des beliebten Null-Retaxes –, wenn Sie aus guten Gründen Präparate anderer Hersteller verwenden.
Kommt Ihnen bekannt vor? Klar, auch Sie kennen als Pharmazeutin oder Pharmazeut die gelebte Praxis der GKV-Versorgung, in der unter dem juristischen Deckmäntelchen des SGB V Verträge zu Lasten Dritter – als Rabattverträge schöngesprochen – den Apotheker um den Verstand und die gesetzlichen Kassen an Milliardenbeträge bringen.
Dieses elegante Modell hält nun experimenthalber Einzug in die Onkologie; mit ein paar Nuancen, deren unbestreitbarer Unterhaltungswert die Geschichte auch für Kolleginnen und Kollegen außerhalb des Mikrokosmos der Sterilzubereitung lesenswert macht. Zudem ist ja nicht auszuschließen, dass die Kassenseite – kreativ, wie sie nun einmal ist – ihre Erkenntnisse aus dem Experiment auch auf andere Felder ausrollt.
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Aber der Reihe nach: Die Idee von Ausschreibungen onkologischer Rezepturen ist nicht neu. Die Feldversuche dazu sind vor einigen Jahren krachend gescheitert, übrigens kurz bevor sie die flächendeckende Versorgung an die Wand fahren konnten.
Ein Gedanke keimt...
Wenn ein Gedanke aber erst einmal da ist, hakt er sich naturgemäß fest und so ließ auch die fixe Idee der Rabattverträge bei Rezepturen die Denker der Krankenkassen nicht mehr los. Eher im Geheimen wurden vor geraumer Zeit vertrauliche Gespräche mit den Anbietern onkologischer Wirkstoffe begonnen. Am 30. Oktober 2023 wurde dann in einem Schreiben [1] – auf welches wir noch zurückkommen werden – der Bayerische Apothekerverband (BAV) informiert, unter anderem über den frühesten Vertragsbeginn (1. Januar 2024) und eine Friedenspflicht (bis 28. Februar 2024), in welcher noch keine Vollretaxen vorgenommen würden. Der Verband informierte die Mitglieder über die vier betroffenen Moleküle Azacitidin, Pemetrexed, Paclitaxel und Irinotecan [2].
Am 4. Januar 2024 – also rückwirkend – erreicht die Apotheken dann die Information, dass doch keine Verträge geschlossen wurden und damit der erste März Startpunkt sei. Nach einer Sendepause meldet der Verband schließlich am 25. Juni 2024, dass nun ab 1. Juli (Vorlaufzeit damit drei! Werktage) die Rabattverträge gültig wären, und zwar für die vier Wirkstoffe Bortezomib, Bevacizumab, Rituximab und Trastuzumab [3]. Der geneigte Leser wird feststellen, dass wundersamerweise auf einmal völlig andere Wirkstoffe im Fokus standen.
Nicht zu einfach machen
Um es den bayerischen Apotheken nicht zu leicht zu machen, wurde kassenseitig für jeden Wirkstoff zunächst ein singulärer Hersteller vorgeschrieben, von denen der für Bortezomib zuständige sofort wieder aussteigen wollte und bis dahin lieferschwierig war und der für die anderen Wirkstoffe eine Software-Umstellung durchführte und daher über geraume Zeit Bestellungen nicht bearbeiten konnte [4].
Um diese widrigen Umstände optimal ausnutzen zu können, haben die bayerischen Kassen die Friedenspflicht auf einen Monat halbiert [5]. Selbst schuld, wer sich kurz davor noch mit der falschen Ware eingedeckt hat.
Natürlich hielt sich der Widerstand des BAV dabei in Grenzen, konnte doch im Gegenzug eine Verlängerung der Friedenspflicht fürs Entlassmanagement bis zum Jahresende erwirkt werden [6]. Vom Verband werden einfach die Interessen aller Mitglieder konsequent vertreten.
Jeden Monat eine neue Situation
In den zwei seither vergangenen Monaten hat sich die Vertragssituation jeden Monat [7] substanziell verändert – mal kommt ein Hersteller dazu, dann wieder steigt einer kurzfristig aus, Lieferfähigkeiten kommen und gehen, die Zubereitungsvorgaben entsprechend: kurz und knapp wie beim Roulette. Patienten erhalten je nachdem mal das eine, mal das andere Biosimilar, denn das macht ja kaum einen Unterschied – oder? Und als für die Versorgung verantwortlicher Pharmazeut verwirft man mit den eigenen ethischen Ansprüchen deshalb im selben Turnus Anbrüche, deren Bezahlung durch die GKV noch zu beweisen sein wird.
Zudem fragt man sich, ob die drei Biosimilars darunter nicht ursprünglich noch Patentschutz hätten und nicht so einfach wie Generika behandelt werden dürften?
Ach, Schwamm drüber! Es muss ein Preisdumping her!
Die Perspektive für die Zukunft? Schlimmer geht immer, darauf ist Verlass. So ist natürlich ein Rollout auf ganz Deutschland im Rahmen des Denkbaren. Wäre das schlimmer? Die Vergangenheit kennt die Antwort auf diese Frage: Wenn die Kassen Verträge mit bestimmten Herstellern schließen, verändern alle Hersteller ihr Produktions- und Distributionsverhalten. Denn es macht für sie keinen Sinn mehr, Warendruck hier aufrechtzuerhalten, wenn sie im Ausland deutlich bessere Preise erzielen und den hiesigen Markt nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll beliefern können [8]. Das wiederum führt zu einem kontinuierlich mäandernden Zustand der Lieferengpässe, wie jeder Pharmazeut aus leidvoller Erfahrung weiß. Was er ebenfalls weiß: Diese Lieferengpässe machen die tägliche Arbeit zur Hölle, aber die Verursacher auf GKV-Seite waschen ihre Hände in Unschuld.
Sogar beim Bundesgesundheitsminister wächst die Einsicht, nach der die Generikapreise hierzulande inzwischen so niedrig wären, dass Deutschland blöderweise nachrangig beliefert wird [9]. Die Kassen aber machen Kasse.
Die Zwickmühle der Apotheken
Das Tolle aus Kassensicht dabei ist die Zwickmühle für die Apotheken. Apotheken haben zwar keinerlei Einflussmöglichkeit, müssen aber die ihnen bekannten Teile der ansonsten streng geheimen Rabattvereinbarungen zwischen Kasse und Hersteller erfüllen, ansonsten erfolgt die Vollretaxe (übrigens ein netter Begriff für legalisierte Übervorteilung). Und sollte die Apotheke überlegen, ob die Umsetzung überhaupt noch wirtschaftlich tragfähig ist, gibt es die Keule des Kontrahierungszwangs. Der stammt zwar aus einer Zeit, als die Finanzierung jeder Art von Arzneimittelabgabe gegeben war, aber solche Details werden kassenseitig gerne übersehen. Es bleibt – sollte sich das Drohszenario bewahrheiten – aus pharmazeutischer Sicht also nur der Schritt, die Fähigkeit zur Zubereitung aufzugeben, ergo den Schlüssel zum Sterillabor umzudrehen.
Ein witziges Detail am Rande: Alleine der Umstand, dass die sterilaktiven Apotheken die Zubereitungen in der ambulanten Versorgung ad hoc herstellen, spart der GKV jährlich weit über eine halbe Milliarde Euro (nur in 2016 waren es 657 Millionen Euro [10]). Darüber hinaus liegen die Kosten, die anfallen würden, wenn die Versorgung stationär stattfinden müsste und nicht ambulant, bei einem Vielfachen dessen. Die Bedeutung für die Lebensqualität betroffener Patienten mag sich jeder selbst ausmalen. Es gibt also wirtschaftlich wie ethisch nur Argumente für die ambulante onkologische Versorgung. Statt dies wertzuschätzen, wird nun wieder einmal von Kassenseite versucht, den allerletzten Tropfen auszupressen und das resultierende Gebräu als Fortschritt zu verkaufen.
Als einziger Lichtblick in dieser Situation erweist sich für den Ironie-affinen Beobachter die mantraartige Wiederholung der Lagebewertung durch die Kassen aus dem eingangs erwähnten Schriftstück: „Es ändert sich weder etwas an der Qualität noch an der Versorgungssicherheit. … Sowohl in der Zytostatika herstellenden Apotheke als auch in der onkologischen Praxis ändern sich die eingespielten Prozesse nicht.“
Wie gut, dass wir das jetzt auch wissen, von selbst wäre man darauf wohl nicht gekommen.
Man sieht (wieder einmal), dass die Anwendung sogenannter alternative facts nicht nur in der Politik, sondern auch bei den Krankenkassen ein probates Mittel ist, um Pfusch schönzureden.
Quellen:
[1] Brief der Kooperation für die Vorbereitung und Durchführung von Rabattverträgen gemäß §130a Abs. 8c SGB V in der Vertragsregion Bayern an den Bayerischen Apothekenverband vom Oktober 2023
[2] BAV aktuell 131/2023
[3] BAV aktuell 62/2024
[4] Persönliche Korrespondenz, Schreiben der Hersteller
[5] Brief der Kooperation für die Vorbereitung und Durchführung von Rabattverträgen gemäß §130a Abs. 8c SGB V in der Vertragsregion Bayern an den Bayerischen Apothekenverband vom Juni 2024
[6] BAV aktuell 65/2024
[7] Rabattverträge – parenterale Zytostatika in Bayern – aktuelle Rabattpartner Stand Juli 2024 vom 24.6.2024 / dito vom 04.07.2024 / dito Stand Juli 2024 vom 28.07.2024 / dito Stand August vom 29.08.2024
[8] Siehe die Ausschreibungen und Rabattverträge in anderen Bereichen wie Generika oder Grippe-Impfstoffe
[9] Lauterbach K: Presseäußerung vom 6. September 2024
[10] Wellenhofer T: Der Wert steriler Ad-hoc-Zubereitungen. DAZ, 158. Jahrgang; 23.08.2018; Nr 34; 18-21
[11] Brief der Kooperation für die Vorbereitung und Durchführung von Rabattverträgen gemäß §130a Abs. 8c SGB V in der Vertragsregion Bayern an den Bayerischen Apothekenverband vom Oktober 2023
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