Leitlinie zur Hypertonie in der Schwangerschaft

Neuer Zielwert für Heimblutdruckmessung in der Schwangerschaft

07.10.2024, 17:50 Uhr

Hauptziel der neuen Leitlinie: Frauen mit erhöhtem Risiko für hypertensive Erkrankungen wie chronische Hypertonie, Gestationshypertonie oder Präeklampsie frühzeitig erkennen! (Foto: BurntRedHen/AdobeStock)

Hauptziel der neuen Leitlinie: Frauen mit erhöhtem Risiko für hypertensive Erkrankungen wie chronische Hypertonie, Gestationshypertonie oder Präeklampsie frühzeitig erkennen! (Foto: BurntRedHen/AdobeStock)


Die aktualisierte S2k-Leitlinie zu „hypertensiven Erkrankungen in der Schwangerschaft“ betont die Bedeutung einer regelmäßigen Kontrolle des Blutdrucks bei Schwangeren. Die Grenzwerte wurden dafür erneuert: In der Heimblutdruckmessung soll mit maximal 135/85 mmHg ein niedrigerer Zielblutdruckwert als in der Arztpraxis angestrebt werden.

Hauptziel der neuen Leitlinie ist es, Frauen mit erhöhtem Risiko für hypertensive Erkrankungen wie chronische Hypertonie, Gestationshypertonie oder Präeklampsie frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Bei 6 bis 8% aller Frauen entwickelt sich während der Schwangerschaft eine hypertensive Erkrankung, welche die Gesundheit der Mutter und des Fötus gefährden kann (siehe Kasten „Gefahr für Kind und Mutter“). Weltweit sterben jährlich 76.000 Frauen und 500.000 Babys an den Folgen einer Präeklampsie. Umso wichtiger ist eine frühzeitige Diagnose und ein gutes Blutdruckmanagement [1 – 3].

In der Arztpraxis und Klinik wird bei Schwangeren routinemäßig der Blutdruck gemessen. Für die weitere Kontrolle und zur Erstellung eines Blutdruckprofils sollen die Patientinnen den Blutdruck auch zu Hause messen (Heimblutdruckmessung). Die Leitlinie unterscheidet also zwischen zwei verschiedenen Blutdruckmessarten, für die auch verschiedene Grenzwerte gelten. Wird der Blutdruck in der Praxis gemessen, liegt der Grenzwert für eine Hypertonie-Diagnose bei 140/90 mmHg. Bei einer Heimblutdruckmessung ist bereits bei Werten von 135/85 mmHg die Rede von Hypertonie, und eine medikamentöse Therapie kann indiziert sein. Hintergrund ist, dass bei Messungen im heimischen Umfeld die gemessenen Werte oft niedriger sind (s. Kasten „Weißkittel-Effekt“). Im Endeffekt ist jeder erhöhte Blutdruck ein Risikofaktor für eine Präeklampsie.

Gefahr für Kind und Mutter

Wird bereits vor der Schwangerschaft oder im ersten Trimenon ein Bluthochdruck diagnostiziert, geht man von einer chronischen Hypertonie aus. Beim sogenannten Schwangerschafts-Bluthochdruck (Gestationshypertonie) treten bei einer zuvor normotensiven Schwangeren im Verlauf der Schwangerschaft erhöhte Blutdruckwerte von ≥ 140 / ≥ 90 mmHg auf. Scheidet die Betroffene nach der 20. Schwangerschaftswoche zusätzlich Proteine über den Urin aus, ist die Rede von einer Präeklampsie. Unbehandelt kann sich daraus eine Eklampsie entwickeln, die mit gefährlichen Krampfanfällen einhergeht und im schlimmsten Fall zum Tode führen kann [1, 4].

Wichtig ist, dass auch zu Hause die Messung korrekt durchgeführt wird. Auf folgende Punkte sollte die Schwangere hingewiesen werden [1]:

  • Messung in entspannt sitzender Position am Oberarm, nach mindestens fünfminütiger Ruhephase
  • Messung des Blutdrucks morgens und abends
  • Durchführung von jeweils zwei Messungen im Abstand von ein bis zwei Minuten
  • Ergebnis aus dem Mittelwert aller Messwerte über einen Zeitraum von sieben Tagen ermitteln

Mit ASS einer Präeklampsie vorbeugen?

Wird ein erhöhtes Risiko für Präeklampsie früh erkannt, können vorbeugende Maßnahmen eingeleitet werden. Die aktualisierte Leitlinie empfiehlt daher, alle Schwangeren im ersten Trimenon über die Möglichkeit eines Präeklampsie-Screenings aufzuklären und eine Risiko-Einschätzung durchzuführen. Ist dieses erhöht, empfiehlt die Leitlinie, spätestens ab der 16. Schwangerschaftswoche niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (ASS) vorbeugend einzunehmen, um das Risiko einer schweren Präeklampsie oder Gestationshypertonie zu senken (100 bis 150 mg pro Tag). Wichtig dabei: ASS sollte abends eingenommen werden, um den besten Schutz zu gewährleisten. Tritt trotz Prophylaxe eine Präeklampsie auf und erfordert dies eine frühzeitige Entbindung, sollte ASS wieder abgesetzt werden.

Entbindung ja oder nein?

Liegt bei einer Schwangeren eine hypertone Erkrankung vor, ist die einzige kausale Therapie die Einleitung der Geburt. In früheren Leitlinien wurde empfohlen, spätestens in der 37. Schwangerschaftswoche zu entbinden. Heute wird auch eine Verlängerung der Schwangerschaft bis zum Geburtstermin als Option angesehen, besonders bei leichter Hypertonie. Die Vorteile einer Verlängerung der Schwangerschaft müssen gegen die Risiken abgewogen werden. Bei schweren Komplikationen sollte jederzeit eine frühere Entbindung in Betracht ge­zogen werden.

Helfen Heparin, Fischöl und Co?

Ob niedermolekulares Heparin vor einer Präeklampsie schützen kann, ist umstritten. In einer Metaanalyse von 2022 wird Heparin in Kombination mit ASS ein additiver präventiver Effekt zugeschrieben. Allerdings weist die Metaanalyse der Leitlinie zufolge methodische Mängel auf, weshalb die Anwendung nicht empfohlen wird. Genauso gibt es nach aktueller Studienlage keine Evidenz für die Einnahme von Magnesium, Selen, Vitaminen, Calcium, NO-Donatoren (Nitraten) oder Fischöl. Stattdessen rückt ein aktiver Lebensstil in den Fokus: Wer sich bereits vor oder früh in der Schwangerschaft körperlich bewegt und Sport treibt, kann das Risiko hypertensiver Erkrankungen reduzieren. Besonders anaerobes Training, Krafttraining oder Yoga scheinen einen schützenden Effekt zu haben [1].

Nachsorgepass entwickelt

Nach einer hypertensiven Erkrankung in der Schwangerschaft haben Frauen ein erhöhtes Risiko für meist kardiovaskuläre Langzeitfolgen. Um das Risiko zu minimieren, kann den Patientinnen ein Nachsorgepass ausgehändigt werden. Eine entsprechende Vorlage findet sich im Anhang der Leitlinie [3]. Darin wird den Betroffenen unter anderem empfohlen, sich gesund zu ernähren, auf ihr Körpergewicht zu achten, rauchfrei zu leben und regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen zu gehen. Auch ein empfohlener Zeitplan für die Gesundheitsuntersuchungen ist enthalten, der Arztbesuche nach sechs Wochen sowie sechs und zwölf Monate nach der Schwangerschaftshypertonie vorsieht. Im besten Fall wird die regelmäßige kardiovaskuläre Kon­trolle lebenslang fortgesetzt [1]. Hierbei kann auch die Apotheke mit der Pharmazeutischen Dienstleistung „Standardisierte Risikoerfassung hoher Blutdruck“ unterstützen. Anspruch haben alle Patienten mit diagnostizierter Hypertonie und mindestens einem verordneten Antihypertensivum.

„Weißkittel-Effekt“...

auch „Weißkittel-Hypertonie“, „Weißkittel-Syndrom“ oder Praxishochdruck genannt, ist ein erhöhter Blutdruck, der ausschließlich bei der Messung in Arztpraxis oder Apotheke auftaucht – wenn also die oder der Messende einen weißen Kittel trägt.

Ausgelöst wird die Weißkittel-Hypertonie durch Aufregung oder Stress beim Arztbesuch. Sie tritt vor allem bei älteren Patienten auf und fällt geringer aus, wenn nicht der Arzt oder die Ärztin, sondern eine medizinische Fachangestellte oder im Krankenhaus eine Pflegekraft die Messung durchführt.

Die Differenz zwischen Weißkittel-Hypertonie und zu Hause gemessenem Blutdruckwert kann systolisch bis zu 20 mmHg betragen. Um realistische Werte zu erhalten, kann auf eine 24-Stunden-Messung oder die heimische Blutdruckmessung durch den Patienten zurückgegriffen werden.

Ist die Frau wieder schwanger, muss berücksichtigt werden, dass die Messung nach oszillometrischem Messprinzip bei fortgeschrittener Schwangerschaft fehler­behaftet sein kann. Als Alternative empfiehlt die Bundesapothekerkammer die Blutdruckmessung nach Riva-Rocci mit einem Stethoskop [5].

Literatur

[1] Sk2-Leitlinie „Hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft (HES): Diagnostik und Therapie“ der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) e. V., AWMF Reg.Nr. 015-018, Stand 17. Juli 2024

[2] Geisslinger G et al. Mutschler Arzneimittelwirkungen, 11. Auflage 2020, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart

[3] Schönborn S, Hohenhaus H, Rank M, Herberger M. S2k-Leitlinie zu hypertensiven Erkrankungen in der Schwangerschaft überarbeitet. Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. www.dggg.de/presse/pressemitteilungen-und-nachrichten/s2k-leitlinie-zu-hypertensiven-erkrankungen-in-der-schwangerschaft-ueberarbeitet

[4] Antonette T. Dulay, MD, Main Line Health System, www.msdmanuals.com/de-de/heim/gesundheitsprobleme-von-frauen/schwangerschaftskomplikationen/pr%C3%A4eklampsie-und-eklampsie, Stand: April 2024

[5] Bundesapothekerkammer, Arbeitsmaterialien für Standardisierte Risikoerfassung hoher Blutdruck, Stand: 25.05.2022


Sarah Decker-Izzo, Apothekerin, DAZ-Redakteurin
redaktion@daz.online


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