Kommentar zu den Plänen von Lauterbach und Overwiening

„Mehr Apotheke wagen“ trotz Personalmangels?

Süsel - 11.10.2024, 12:15 Uhr

Wenig Zeit für pharmazeutische Arbeit wegen bürokratischer Belastung. (Foto: DAZ/Schelbert)

Wenig Zeit für pharmazeutische Arbeit wegen bürokratischer Belastung. (Foto: DAZ/Schelbert)


Bundesgesundheitsminister Lauterbach hält die Apotheken für reformbedürftig und übersieht offenbar ihre Leistungen. Außerdem verweist er auf Grenzen für die Apotheken durch den Personalmangel. Die Apothekerschaft will dagegen sogar „mehr Apotheke wagen“. Wie sich dieser Widerspruch auflösen lässt und „mehr Apotheke wagen“ gelingen kann, erläutert DAZ-Redakteur Thomas Müller-Bohn in einem Kommentar.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat in seiner Online-Rede beim Deutschen Apothekertag deutlich gesagt, dass es mit ihm keine neue Honorarregelung ohne eine Strukturreform geben wird. Eine Strukturreform müsse sein.

Diese Verknüpfung wäre allerdings nur schlüssig, wenn die Apotheken reformbedürftig wären. Unmittelbar nach Lauterbachs Auftritt hat die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) seinen Irrtum klar benannt und erklärt: Die Apotheken funktionieren. Das tun sie sogar in sehr schwierigen Situationen. Das haben sie besonders in der Pandemie bewiesen, und das zeigen sie weiter bei den Lieferengpässen.

Das System hat sich also bewährt und sollte nicht reformiert, sondern gestärkt werden. Wenn Lauterbach von einer falschen Prämisse ausgeht, darf es nicht wundern, wenn er zu falschen Schlüssen kommt.

Mehr Geld für mehr Personal

Doch es gibt noch mehr Widersprüche. Lauterbach prognostiziert, es werde künftig zu wenig Apotheker geben. Das ist eine weitere Voraussetzung für seine Idee der „Apotheken ohne Apotheker“. ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening fordert dagegen „Mehr Apotheke wagen“ und die Hauptversammlung hat eine Resolution mit diesem Ziel verabschiedet. Größer kann der Dissens zum Minister nicht sein.

Doch was ist dran an der Idee, die Zahl der Apothekerinnen und Apotheker werde künftig nicht ausreichen? Die Logik dabei ist zu einem Teil perfide. Wenn in Apotheken keine angemessenen Gehälter mehr gezahlt werden können, weil die Apothekenhonorierung praktisch eingefroren ist, wird es selbstverständlich nicht mehr genug Personal geben. Das ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung und ein Argument für mehr Honorar, aber nicht dagegen. Das spricht für eine Honorarerhöhung anstelle einer Strukturreform.

Weniger Bürokratie für mehr Apotheke

Leider ist das nicht alles. Denn der demographische Wandel setzt dem Nachwuchs Grenzen. Lauterbachs Annahme des Personalmangels ist nur dann falsch und Overwienings Idee hat nur dann eine gute Aussicht auf Erfolg, wenn es irgendwo erhebliches Potenzial für zusätzliche Apothekerarbeitszeit gibt. Migration allein reicht dafür wahrscheinlich nicht aus und würde wohl auch zu lange dauern. 

Doch es gibt eine andere viel größere Quelle für zusätzliche pharmazeutische Arbeitszeit: die enorme Menge an Zeit, die mit Bürokratie, insbesondere aufgrund der sozialrechtlichen Regularien vergeudet wird. Hier ist ein großes Potenzial zu erschließen. 

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„Mehr Apotheke wagen!“

Doch leider ist ehrlicherweise festzustellen: Der schöne und für Patienten und Apothekenteams gleichermaßen erfreuliche Plan „Mehr Apotheke wagen“ kann nur gelingen, wenn die Apothekenteams Zeit für mehr Apotheke haben und weniger Zeit für Bürokratie aufwenden müssen. Anderenfalls erscheint die Idee der ABDA-Präsidentin zwar als schöne Vision, aber leider wirklichkeitsfremd. 

Mit einer solchen Vision steigt allerdings die Aussicht, die nötige Voraussetzung zu schaffen. So wird noch deutlicher als bisher, warum wir weniger Bürokratie brauchen und was wir damit gewinnen können. Außerdem gilt es daran zu erinnern, dass bürokratische Kontrolle immer der Gegensatz zu Vertrauen ist. 

Dieser Gedanke macht erst den ganzen Widersinn deutlich. Den Apothekenteams wird die Arzneimittelversorgung anvertraut, und künftig sollen sie noch mehr Verantwortung für die Gesundheit der Patienten übernehmen, aber in der Beziehung zur GKV wird bei jedem Cent angenommen, die Apotheken wollten sich bereichern und seien nicht vertrauenswürdig. 

Erst wenn das Gesundheitswesen diesen Kardinalfehler überwindet und die Politik den freien Heilberuflern wirklich traut, ist der Weg für neue Ideen frei. Dann können wir alle wirklich mehr Apotheke wagen und dann wird sich noch viel besser zeigen, welches Potenzial im bewährten Konzept des freien Heilberufs steckt. Der demographische Wandel mit dem Problem des Personalmangels bietet die riesige Chance, dies zu erkennen und den bürokratischen Irrweg der vorigen Jahrzehnte zu korrigieren.


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Ehrgeiz wäre da

von Thomas am 11.10.2024 um 19:53 Uhr

Ohne Inflationsanpassung wie bei den großen Gewerkschaften reiße ich mir auch kein Bein mehr raus. Brauche die Energie für meine laufende Umschulung

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Passt

von Uwe Hansmann am 11.10.2024 um 12:24 Uhr

Danke für diesen treffenden Kommentar. Es ist alles gesagt. Ich habe nur die Befürchtung, daß nicht entsprechend gehandelt wird.

Sehr schade für den engagierten Berufsnachwuchs.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

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