Europäischer Antibiotikatag

Antibiotika-Fehlgebrauch vermeiden – auch Apotheken könnten helfen

Berlin - 18.11.2024, 17:50 Uhr

(Foto: IMAGO/Zoonar)

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Anlässlich des Europäischen Antibiotikatags macht Pharma Deutschland auf die Herausforderungen aufmerksam, die mit diesen lebenswichtigen Arzneimitteln zusammenhängen, etwa die zunehmenden Resistenzen, die auch eine Folge der häufig nicht sachgerechten Anwendung sind. Unter anderem Apotheken sollen helfen, dies zu ändern.  

Antibiotika zählen zu den bedeutendsten Errungenschaften der modernen Medizin. Doch sie sind mit einer Reihe von Schwierigkeiten verbunden: Auch hier in Deutschland gibt es immer wieder Lieferengpässe, die Abhängigkeit vor allem von China als Hauptproduzent der Wirkstoffe ist enorm. Zudem ist der Preisdruck erheblich. Immer mehr Hersteller listen Antibiotika daher aus. Weltweit nehmen überdies die Resistenzen zu. Auch, weil Antibiotika zu oft fälschlicherweise bei viralen Infektionen eingesetzt werden. All dies führt zu vielen Fragen: Welche Anreize können dazu führen, dass Unternehmen neue Antibiotika entwickeln? Und wie können sich Standard-Antibiotika für Hersteller wieder lohnen? Und wie lässt sich der zielgenaue Einsatz dieser Medikamente fördern?

Internationale Initiativen gefragt

Um über all dies zu diskutieren, hat Pharma Deutschland an diesem Montag, dem Europäischen Antibiotikatag, zu einem Pressegespräch und einer Diskussionsveranstaltung geladen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Georg Kippels, Schirmherr der Veranstaltung, betonte, dass die Politik sich durchaus gefordert sieht, Antworten auf die bestehenden Probleme zu finden. Was Forschung und Vertrieb angeht, könne sie zwar nichts anordnen – aber sie könne Leitplanken für diesen besonderen Markt setzen. Bei Antibiotika ist es schließlich so, dass sie möglichst wenig zum Einsatz kommen, aber zugleich immer besser werden sollen. Das macht es für die Unternehmen schwierig. Reserveantibiotika aus der Überprüfung des Zusatznutzens im Verhältnis zu einer Vergleichstherapie herauszunehmen, sei bereits ein sinnvoller Ansatz, reiche zur Bewältigung der Herausforderung aber nicht aus. Kippels betonte zudem, dass nicht Deutschland allein die Probleme lösen könne, er setzt vor allem auf internationale Initiativen.

PoC-Tests in Apotheken und Praxen

Um einen Beitrag zur zielgerichteteren Anwendung von Antibiotika zu leisten, kann sich Kippels überdies gut vorstellen, dass auch Apotheken einbezogen werden und Point-of-Care (PoC)-Tests auf Streptokokken anbieten. Genau diesen Ansatz schlägt nämlich Cosima Bauer, Geschäftsführerin des Forschungs- und Beratungsinstituts May und Bauer, vor. Während bei Kindern solche Tests in der Arztpraxis vergütet werden, sei dies bei Erwachsenen nicht der Fall, erklärte sie. Und so komme es zum Beispiel bei akuter Pharyngitis aktuell dazu, dass zwar jeder zweite Patient die Hausarztpraxis mit einem Rezept für ein Antibiotikum verlasse, obwohl nur jeder fünfte tatsächlich einen bakteriellen Infekt habe. Dabei ermöglichten PoC-Tests in Hausarztpraxen und Apotheken eine schnelle Identifikation bakterieller Infektionen. Nach Berechnungen ihres Unternehmens mache es für die Krankenkassen finanziell keinen Unterschied, ob die Tests zum Einsatz kommen oder vermehrt überflüssig Antibiotika verordnet werden. Doch für die Patientensicherheit wäre das Vorgehen ein Gewinn.

Was wissen junge Menschen über Antibiotika?

Nur 38 Prozent der 18- bis 29-Jährigen wissen, dass Antibiotika ausschließlich gegen bakterielle Infektionen wirken. In der Gesamtbevölkerung liegt dieser Wert bei immerhin 50 Prozent. Das zeigt eine aktuelle Befragung im Auftrag von Pharma Deutschland. Auch beim Thema Resistenzen zeigen sich demnach Defizite: Während in der Gesamtbevölkerung 81 Prozent über die Gefahr von Antibiotikaresistenzen informiert sind, liegt dieser Wert bei den 18- bis 29-Jährigen nur bei 63 Prozent. Ebenfalls bedenklich: Mehr als ein Viertel der Befragten hat schon einmal Antibiotika ohne ärztliche Verschreibung eingenommen, 40 Prozent bewahren vorsorglich angebrochene Packungen im Arzneimittelschrank auf.

Beim Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschuss hat May und Bauer bereits einen Antrag auf Förderung ihres Projekts gestellt: Sie wollen untersuchen, welche Folgen es genau hat, wenn die Tests in Praxen und Apotheken angeboten werden. Bauer jedenfalls sieht ein „Riesenpotenzial“ in den Apotheken – nach einem positiven Test soll die ärztliche Behandlung telemedizinisch in der Apotheke erfolgen. Damit könnten die Praxen entlastet und überdies Ansteckungen in Wartezimmern vermieden werden. Nun wartet Bauer auf die Entscheidung des G-BA. 

Auch Kippels glaubt, dass dieses Vorgehen „segensreich“ wäre. Die Ampel-Koalition hatte bereits geplant, den Apotheken mehr Testmöglichkeiten einzuräumen – wenngleich (noch) nicht auf Streptokokken –, doch das entsprechende Gesetzgebungsverfahren ist infolge ihres Zusammenbruchs auf der Strecke geblieben. Kippels kündigte an, dass eine unionsgeführte Regierung eine Regelung zu erweiterten Testkompetenzen schnell – zusammen mit einer nötigen Apothekenreform – auf den Weg bringen wolle. 

Aus Sicht der Hersteller kam Thomas Weigold von Sandoz/Hexal AG – dem größten Antibiotika-Lieferanten Deutschlands – zu Wort. Für ihn ist ganz klar: Die Antibiotikaversorgung gehört zur Sicherheitsarchitektur unseres Landes. Wir seien in dieser Hinsicht viel abhängiger als es beim Gas der Fall sei. Vier Produktionsstandorte gebe es in Deutschland – und im österreichischen Kundl überdies ein perfektes Beispiel für eine vernetzte Herangehensweise, den europäischen Standort zu stärken. Hier arbeiteten Gesundheits-, Wirtschafts-, Umwelt- und Sicherheitspolitik ressortübergreifend miteinander. Wichtig sei mit Blick auf die Preise überdies ein „atmendes“ System. Für die Antibiotikahersteller brauche es Energie und Zucker – für beides hätten sich die Kosten zuletzt um 100 Prozent erhöht. Wenn zugleich Festbeträge sinken, seien Verwerfungen unvermeidlich.

Weigold gesteht der Ampel-Koalition zwar zu, im Hinblick auf Antibiotika die Probleme zwar endlich erkannt zu haben. Mit dem Arzneimittellieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsversorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) habe sich die Lage nicht entscheidend geändert. Mag man Kindersäften noch Verbesserungen erreicht haben, sei das Europa-Los bei Antibiotika-Ausschreibungen kein Gewinn, wenn es gar keine Anbieter für bestimmte Wirkstoffe in Europa gebe, erklärte Thomas Weigold von Sandoz/Hexal AG. Bedenke man überdies, dass durch die neue „Zwangslagerhaltung“ ein weiterer riesiger Kostenblock für die Hersteller hinzugekommen sei, müsse man gar vom ALBVVG als „klassischem Verschlimmbesserungsgesetz“ reden.

Forschung und neue Wertschätzung gefordert

Elmar Kroth, stellvertretender Hauptgeschäftsführer von Pharma Deutschland, forderte letztlich eine neue Wertschätzung der Antibiotikaproduktion: „Ohne attraktive Rahmenbedingungen für Forschung und Produktion bleibt die Gesundheitsversorgung gefährdet. Deutschland hat die Chance, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen.“


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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