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Onpattro®
Patisiran
Behandlung der hereditären Transthyretin-Amyloidose
Erwachsene, die aufgrund einer hereditären Transthyretin(TTR)-vermittelten Amyloidose (hATTR) unter einer Polyneuropathie der Stadien 1 oder 2 leiden, können nun mit der doppelsträngigen, kleinen interferierenden Ribonukleinsäure (small interfering ribonucleic acid, siRNA) Patisiran (Onpattro®) behandelt werden. Das Präparat führt zu einer verringerten Biosynthese des veränderten Proteins Transthyretin, sodass die Ablagerung von pathogenen Amyloiden reduziert und das Fortschreiten der Krankheit gestoppt oder zumindest verlangsamt wird.
Patisiran
ATC-Code
N: Nervensystem
N07: Andere Mittel für das Nervensystem
N07X: Andere Mittel für das Nervensystem
N07XX: Andere Mittel für das Nervensystem
N07XX12: Patisiran
Wirkungsmechanismus
Das körpereigene Protein Transthyretin (TTR) wird in der Leber und im Plexus choroideus gebildet und ist für den Transport des Schilddrüsenhormons Thyroxin verantwortlich. Ebenso ist es ein Trägerprotein für das Retinol-bindende Protein 4, welches seinerseits Retinol (Vitamin A) im Blut transportiert. Bei Patienten mit hereditärer Transthyretin-vermittelter Amyloidose liegt Transthyretin aufgrund einer autosomal-dominant vererbten Einzelnucleotid-Mutation der kodierenden Gene in instabiler Form mit veränderter Proteinfaltung vor. Die somit modifizierten TTR-Amyloidproteine zerfallen und bilden irreversible Ablagerungen im Nervensystem, Herzen, Gastrointestinaltrakt, Knochenmark sowie in den Augen, Nieren und der Schilddrüse. Hieraus leiten sich in fortgeschrittenen Stadien Polyneuropathien mit Lähmungen und Krämpfen, Kardiomyopathien bis zum Herzversagen, schwere Verdauungsstörungen und andere Symptome wie Sehstörungen, Nierenfunktionsstörungen und Demenz ab. Die Erkrankung führt innerhalb eines Zeitraums von 2,5 bis 15 Jahre nach Symptombeginn zum Tod. Patisiran ist eine doppelsträngige, kleine interferierende Ribonukleinsäure (small interfering RNA, siRNA), die selektiv an die gesamte mRNA von mutiertem und normalem Wildtyp-TTR bindet, das Gen dadurch stilllegt und im weiteren Verlauf die Spaltung der TTR-mRNA auslöst. Der Effekt wird durch in der Zubereitung enthaltene Lipid-Nanopartikel verstärkt, die unter anderem aus einem ionisierbaren kationischen Lipid (DLin-MC3-DMA) und einem Polyethylenglycol (PEG) gebildet werden. Diese Nanopartikel transportieren die siRNA (Patisiran) zu den Hepatozyten, dem primären TTR-Biosyntheseort. Als Folge wird die TTR-Bildung langfristig um mehr als 80% reduziert. Patisiran ist derzeit für Erwachsene im ersten oder zweiten Stadium der Nervenschädigung zugelassen, die noch mit oder ohne Hilfe gehfähig sind.
Pharmakokinetik
Resorption: Patisiran wird intravenös injiziert, daher beträgt die Bioverfügbarkeit 100%. Der Steady-State wird innerhalb von 24 Wochen erreicht.
Proteinbindung, Verteilung: Die Ribonukleinsäure ist im intravasalen Raum zu mehr als 95% mit den gemeinsam applizierten Lipid-Nanopartikeln aus DLin-MC3-DMA und PEG 2000-C-DMG assoziiert. Die Plasmaproteinbindung von Patisiran ist mit < 2,1% gering, das Verteilungsvolumen beträgt 0,26 l/kg.
Metabolismus: Patisiran wird von Nucleasen in kürzere Nucleotide gespalten. Der Bestandteil DLin-MC3-DMA unterliegt primär einer Hydrolyse zu 4-Dimethylaminobutansäure. PEG 2000-C-DMG wird praktisch nicht metabolisiert.
Exkretion: Weniger als 1% des verabreichten Wirkstoffs erscheint unverändert im Urin. Die mittlere terminale Eliminationshalbwertszeit beträgt 3,2 Tage. DLin-MC3-DMA wird teilweise in metabolisierter Form renal ausgeschieden. PEG2000-C-DMG wurde zumindest im Tierexperiment unverändert in der Gallenflüssigkeit wiedergefunden.
Dosierung, Art und Dauer der Anwendung
Die Patisiran-Zubereitung wird alle drei Wochen in einer Dosis von 300 µg/kg Körpergewicht über etwa 80 Minuten durch einen 1,2-μm-Inline-Infusionsfilter aus Polyethersulfon intravenös appliziert. Bei Patienten mit mehr als 100 kg Körpergewicht beträgt die empfohlene Maximaldosis 30 mg. Zur Vermeidung von infusionsbedingten Reaktionen sollte mindestens 60 Minuten vor der Anwendung des eigentlichen Wirkstoffs eine Prämedikation mit intravenösen Corticosteroiden (z. B. Dexamethason), oralem Paracetamol sowie intravenösen H1- und H2-Rezeptor-Antagonisten (z. B. Diphenhydramin bzw. Ranitidin) erfolgen. Je nach Verträglichkeit der Patisiran-Injektion kann die Dosierung dieser Arzneistoffe angepasst werden. Beim Auftreten von infusionsbedingten Reaktionen ist eine Reduktion der Infusionsgeschwindigkeit zu erwägen. Für Patienten, die mindestens drei Infusionen in der Klinik gut vertragen haben, kann eine Applikation zu Hause in Betracht gezogen werden. Falls eine Dosis über maximal drei Tage versäumt wurde, kann diese nachgeholt und der übliche Applikationsrhythmus beibehalten werden. Nach mehr als dreitägigem Versäumnis sollte die Applikation von Patisiran alle drei Wochen nach diesem neuen Zeitpunkt fortgesetzt werden. Zur Behandlung von Patienten mit mittelschwerer oder schwerer Leber- bzw. schwerer oder terminaler Nierenfunktionsstörung sowie nach Lebertransplantation liegen keine Erfahrungen vor, sodass Patisiran hier nur nach strenger Nutzen-Risiko-Abwägung eingesetzt werden sollte. Dosisanpassungen werden jedoch nicht als notwendig erachtet. Sicherheit und Wirksamkeit für die Therapie von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren sind nicht erwiesen.
Kontraindikationen
Bei starker Überempfindlichkeit gegen Patisiran, die potenziell zu anaphylaktischen Reaktionen führt, besteht eine Kontraindikation.
Unerwünschte Wirkungen
Während der Behandlung kommt es sehr häufig zu infusionsbedingten Reaktionen und peripheren Ödemen. Häufig treten Bronchitis, Sinusitis, Rhinitis, Vertigo, Dyspnoe, Dyspepsie, Erytheme, Arthralgien und Muskelspasmen auf. Gelegentlich wird über Extravasationen berichtet.
Wechselwirkungen
Aufgrund von In-vitro-Untersuchungen ist davon auszugehen, dass es durch Patisiran zu einer Inhibition von CYP2B6-Isoenzymen kommt. Die klinische Relevanz für CYP2B6-Substrate wie Bupropion und Efavirenz wurde allerdings noch nicht ermittelt, sodass beim kombinierten Einsatz in jedem Fall Vorsicht geboten ist.
Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen
Wegen der Gefahr infusionsbedingter Reaktionen müssen die Patienten während und, falls klinisch angezeigt, auch nach der Infusion überwacht werden. Bei der Mehrzahl der besonders gefährdeten Patienten trat die erste Reaktion innerhalb der ersten zwei Infusionen auf. Es ist mit Symptomen wie Hitzegefühl, Rückenschmerzen, Übelkeit, Bauchschmerzen, Dyspnoe und Kopfschmerzen zu rechnen. Zu entsprechenden Maßnahmen siehe „Dosierung, Art und Dauer der Anwendung“. In schweren oder lebensbedrohlichen Fällen ist die Patisiran-Infusion dauerhaft abzubrechen. Nach 18-monatiger Anwendung von Patisiran wurden im Serum mittlere Reduktionen von Retinol-bindendem Protein um 45% und von Vitamin A um 62% beobachtet. Daher sollten bereits vor Therapiebeginn bestehende Mangelzustände korrigiert werden. Im weiteren Verlauf der Behandlung wird zu einer oralen Supplementierung von 2500 IE Vitamin A pro Tag geraten. Sobald okuläre Symptome wie vermindertes Nachtsehen, Nachtblindheit, anhaltend trockene Augen, Augenentzündungen, Entzündungen oder Ulzerationen der Cornea sowie Hornhautverdickungen oder -perforationen auftreten, ist ein Arzt zu konsultieren. Allerdings kann durch die Messung von Vitamin-A-Serumspiegeln während der Behandlung mit Patisiran nicht auf die Gesamtmenge an Vitamin A im Körper geschlossen werden, da der Transport und die Gewebeaufnahme von Vitamin A auch über alternative Mechanismen stattfinden kann.
Schwangerschaft und Stillzeit
Zum Einsatz von Patisiran während der Schwangerschaft sind keine klinischen und nur sehr begrenzt präklinische Daten verfügbar. Für die normale intrauterine Entwicklung ist insbesondere innerhalb der ersten Monate ein ausgeglichener Vitamin-A-Säure-Spiegel erforderlich. Nachdem Patisiran eine Hypovitaminose A herbeiführen kann, sollte die Substanz wegen der potenziellen Teratogenität während der Schwangerschaft nur bei zwingendem Erfordernis eingesetzt werden. Es ist nicht geklärt, ob eine Vitamin-A-Supplementierung zur Verringerung des Risikos ausreicht. Frauen im gebärfähigen Alter müssen daher während der Behandlung mit Patisiran eine zuverlässige Kontrazeptionsmethode anwenden. Falls eine Frau beabsichtigt, schwanger zu werden, sind Patisiran und die Vitamin-A-Supplementierung abzusetzen. Vor einer Empfängnis sollten sich die Vitamin-A-Plasmaspiegel normalisiert haben. Es ist nicht bekannt, ob Patisiran und seine Metaboliten in die Muttermilch übergehen. Im Tierexperiment wurden jedoch geringe Mengen der Lipidkomponenten DLin-MC3-DMA und PEG 2000-C-DMG in der Milch wiedergefunden. Nachdem ein Risiko für das gestillte Kind nicht ausgeschlossen werden kann, muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob auf das Stillen oder die Behandlung mit Patisiran verzichtet werden soll.
Handelspräparat Onpattro®
Hersteller
Einführungsdatum
Zusammensetzung
10 mg Patisiran als Natriumsalz
Sonstige Bestandteile
[(all-Z)-Heptatriaconta-6,9,28,31-tetraen-19-yl][4-dimethylamino)butanoat][(2R)-2,3-Bis(tetradecyloxy)propyl](N-{3-[omega-methoxypoly(oxyethylen)<n>-alpha-yl]propyl}carbamat), n = ca. 47 (D-Lin-MC3-DMA, kationisches Lipid zur Bildung von Lipid-Nanopartikeln); Colfoscerilstearat, Cholesterol, Dinatriumhydrogenphosphat 7 H2O, Kaliumdihydrogenphosphat, Natriumchlorid, Wasser für Injektionszwecke
Packungsgrößen, Preise, PZN
1 Durchstechflasche mit Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, 10464,62 Euro, PZN 14362735
Indikation
Behandlung der hereditären Transthyretin-Amyloidose (hATTR-Amyloidose) bei erwachsenen Patienten mit Polyneuropathie der Stadien 1 oder 2
Dosierung
Die empfohlene Dosis beträgt 300 µg pro kg Körpergewicht und wird mittels intravenöser Infusion einmal alle drei Wochen verabreicht.
Kontraindikationen
starke Überempfindlichkeit (z. B. Anaphylaxie) gegen Patisiran
Unerwünschte Wirkungen
Die häufigsten Nebenwirkungen in klinischen Studien waren periphere Ödeme (29,7%) und infusionsbedingte Reaktionen (18,9%). Die einzige Nebenwirkung, die in einem Fall zum Absetzen von Patisiran führte, war ebenfalls eine infusionsbedingte Reaktion.
Wechselwirkungen
Es wurden keine formalen klinischen Studien zur Erfassung von Interaktionen durchgeführt.
Warnhinweise, Vorsichtsmaßnahme
Um das Risiko von infusionsbedingten Reaktionen zu senken, sollten die Patienten am Tag der Patisiran-Applikation mindestens 60 Minuten vor Infusionsbeginn intravenöse Corticosteroide, orales Paracetamol sowie intravenöse H1- und H2-Blocker als Prämedikation erhalten. Patienten unter Patisiran-Therapie müssen eine orale Supplementierung von etwa 2500 IE Vitamin A pro Tag einnehmen, um das potenzielle Risiko einer okulären Toxizität aufgrund eines Vitamin-A-Mangels zu reduzieren. Im Falle einer ungeplanten Schwangerschaft sollte Patisiran umgehend abgesetzt werden.
Literatur
[1] Fachinformation zu Onpattro®, Stand Oktober 2018
[2] Adams D, Gonzalez-Duarte A, O’Riordan WD, Yang CC et al. Patisiran, an RNAi therapeutic, for hereditary transthyretin amyloidosis. N Engl J Med 2018;379(1):11-21
[3] EPAR summary for the public. Onpattro® Patisiran. EMA/521473/2018; European Medicines Agency; www.ema.europe.eu
01.10.2018