- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 21/1998
- Vitaminforschung: Braucht...
DAZ aktuell
Vitaminforschung: Braucht man im Alter mehr Vitamine?
Prof. Dr. Karl-Heinz Schmidt, Tübingen, hob die Brisanz der Thematik des Symposiums aufgrund sorgfältiger demographischer Untersuchungen hinsichtlich der Zunahme des Anteils älterer Menschen hervor. Daher komme der Untersuchung physiologischer Alterungsprozesse und den Ursachen altersabhängiger pathologischer Veränderungen in Zukunft besondere Bedeutung zu. Während die Beantwortung der Frage nach den Faktoren, die zelluläre und molekuläre Regulation von Alterungsprozessen steuern, noch offensteht, hat es im Bereich der Pathophysiologie der Seneszenz, d.h. bei den altersabhängigen Erkrankungen, in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gegeben. Da die konventionelle medizinische Therapie bei der Behandlung von Alterskrankheiten und bei der Multimorbidität des älteren Menschen oft zu spät kommt, gilt nicht nur der Erkennung von Krankheiten, sondern der Erkennung von Krankheitsrisiken und der präventiven Risikominimierung besondere Aufmerksamkeit.
Antioxidanzien Prof. Dr. Stähelin, Med. Geriatr. Klinik des Kantonsspitals Basel, hob hervor, daß Alterungsprozesse maßgeblich durch freie Radikale beeinflußt werden, so daß die spezifische Lebensspanne mit dem antioxidativen Potential korreliert. Mit Antioxidanzien läßt sich nach Stähelin die Lebensspanne experimentell verlängern. Freie Radikale, die sich durch endogene und exogene Einflüsse bilden, haben sich ferner bei Erkrankungen wie Atherosklerose, Stoffwechselkrankheiten, speziell Diabetes mellitus, Krebs, degenerativen Hirnerkrankungen, speziell bei der Alzheimer Krankheit, als wesentlicher pathogenetischer Faktor erwiesen. Oxidativer Streß führt somit nicht nur generell zur Alterung, sondern genetisch bedingt in individuell unterschiedlicher Weise zu chronischen Krankheiten. Professor Stähelin hob hervor, daß Personen mit guter Vitamin-C- und b-Carotinversorgung der Basler Studie zufolge ein signifikant geringeres Herzinarkt- und Hirnschlagrisiko aufweisen gegenüber schlechter Versorgten. Allgemein anerkannt sei, daß eine reichliche Einnahme von Früchten und Gemüsen zu einer niedrigen Krebsinzidenz für wichtige Krebsarten (Lunge und Magen-Darm-Trakt) führt. Wenn in ausgewogener Vielfalt Antioxidanzien über lange Zeit verabreicht werden, vermögen sie nachhaltig gegen chronische Alterskrankheiten vorzubeugen und den Alterungsprozeß zu verzögern.
Vitamindefizit bei kranken Senioren Die Vitaminversorgung im Alter beurteilte Dr.Dorothee Volkert, Bonn, laut Zufuhrdaten und biochemischen Parametern. Mehreren nationalen Studien zufolge liegt bei Frauen mit Ausnahme von VitaminD und Folsäure und Niacin bei Männern und Frauen (Vera-Studie) die Vitaminversorgung bei über 80% der derzeitigen Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Während bei gesunden Senioren nach derzeitigem Kenntnisstand nur wenig Hinweise auf ein Vitamindefizit vorliegen, konnten im Rahmen der Bethanien-Studie bei 300 über 75jährigen Patienten aus dem Raum Heidelberg bei Aufnahme ins Krankenhaus unbefriedigende Vitamin-Blutwerte zwischen 9% und 50% beobachtet werden. Besonders auffallend waren niedrige Vitamin-A- und Vitamin-C-Plasmakonzentrationen. Auch die Vitaminzufuhr ist bei geriatrischen Senioren mit im Mittel nur ca. 60% der empfohlenen Menge deutlich geringer als bei gesunden Senioren. Bei kranken Senioren sind eine einseitige Ernährungsweise, akute und chronische Erkrankungen, hoher Zigaretten- und Alkoholkonsum sowie längerfristige und unkontrollierte Medikamenteneinnahme Ursachen der Vitamindefizite. Diese These unterstützte Dr.Klaus Schümann, Walter-Straub-Institut für Pharmakologie und Toxikologie, München. Arzneimittel können in vielfältiger Weise mit dem Vitaminstoffwechsel interagieren, indem sie den Appetit hemmen, die Resorption modifizieren oder über eine Wechselwirkung mit Mineralstoffen die Aktivierung von Vitaminen verhindern. Schümann hob hervor, daß es wichtig sei, Ärzte und Apotheker über solche Interaktionen gut zu informieren, da sich die Störungen des Vitaminstatus durch Medikamente im Alter ebenso wie die Beeinflussung der Medikamentenwirkung durch Vitamine durch bedarfsgerechte Supplementierung teilweise beheben lassen. Andererseits könne eine unkontrollierte Vitaminsubstitution die Wirkung von Arzneimitteln aufheben, so daß über eine Supplementierung im Einzelfall nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung entschieden werden muß. Als eine weitere Ursache für eine unzureichende Deckung des Vitaminbedarfs im Alter machte Prof. Dr.Heinrich Kasper, Medizinische Klinik, Universität Würzburg, Funktionseinbußen bzw. alterstypische Erkrankungen der Gastrointestinalorgane verantwortlich. Im Pankreas sind spätestens nach dem 60.Lebensjahr degenerative Veränderungen festzustellen sowie bis zum 80.Lebensjahr eine Verringerung des Organvolumens um die Hälfte. Ferner ist eine signifikante Abnahme der Bicarbonat- und Enzymsekretion nachweisbar, so daß nicht auf physiologische Voraussetzungen für eine optimale Vitaminaufnahme geschlossen werden kann. Betroffen sind hiervon besonders VitaminB12 und Folsäure.
Herz-Kreislauf-Schutz mit E und B Vitamin E trägt nach Professor Bisalski, Institut für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaften, Universität Hohenheim, ganz wesentlich zur Prävention von Herzerkrankungen bei. Vitamin E kann durch die Hemmung der Lipidperoxidation und die dadurch reduzierte Bildung von oxidierten Lipoproteinen den Prozeß der Atherosklerose bereits in frühen Phasen beeinflussen. Insofern komme der Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit mit Vitamin E eine große Bedeutung zu. Eine Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist Professor Klaus Pietrzik zufolge ebenfalls durch B-Vitamine möglich. In einer großangelegten Studie mit 80000 Teilnehmern in den USA konnte nachgewiesen werden, daß Studienteilnehmer, die zur Nahrung zusätzlich Folsäure und VitaminB6 zuführten, während der Beobachtungszeit von 14 Jahren ein um 45% vermindertes Herzinfarktrisiko aufweisen (JAMA, 279, 359-364, 1998). Professor Pietrzik zieht daraus den Schluß, daß die gegenwärtigen Empfehlungen für die Vitaminaufnahme zu niedrig sind. Folsäure und VitaminB6 spielen dabei besonders neben VitaminB12 für den Abbau der toxischen Aminosäure Homocystein eine bedeutende Rolle. Anhand tierexperimenteller Ergebnisse und aufgrund zahlreicher epidemiologischer Studien konnte Homocystein als eigenständiger Risikofaktor für Atherosklerose definiert werden. Professor Pietrzik empfiehlt, eine höhere B-Vitamin-Aufnahme zu propagieren als das bisher der Fall ist (Folsäure 400mg, B6 3mg), da im vorgeschlagenen Dosierungsbereich Nebenwirkungen nicht zu erwarten sind, ein präventiver Effekt jedoch sehr wahrscheinlich ist.
Vitamine zur Osteoporose-Prävention Eine bedeutende Rolle von Vitaminen bei der Prävention der Osteoporose schreibt Dr. Peter Weber, Research Department, Roche Vitamins, Basel, zu. Neben genetischen Faktoren, Alter, Geschlecht, Rasse, Bewegung, Genußmittelkonsum spielen auch Störungen des Vitaminstoffwechsels eine bedeutende Rolle bei der Pathogenese der Osteoporose. Das klassische für die Gesundheit des Knochens verantwortliche Enzym ist Vitamin D, das die intestinale Calciumabsorption und die renale Reabsorption reguliert. Eine höhere Vitamin-D-Zufuhr ist signifikant mit einer höheren Knochenmasse assoziiert. Auch Vitamin C besitzt als essentieller Faktor für die Kollagenbiosynthese für die organische Matrix des Knochens eine wichtige Bedeutung. Untersuchungen am Menschen, die den Effekt von Vitamin-C-Supplementierung auf den Knochenstatus untersuchen, stehen jedoch aus. Ebenso ist das Datenmaterial über den Zusammenhang zwischen Vitamin-B6-Defiziten und Vitamin-B6-Gabe eher spärlich, obwohl die Beteiligung von VitaminB6 an der Stabilität von Kollagensträngen unbestritten ist. Anders ist die Datenlage über die Beteiligung von Vitamin K am Knochenstoffwechsel. Neben der Gamma-Carboxylierung von Osteocalcin spielt Vitamin K eine Rolle auf andere Faktoren des Knochenstoffwechsels wie Calcium-Homöostase, ProstaglandinE2 und Interleukin-6-Produktion. Die tägliche Aufnahme von 0,2mg bis 1mg pro Tag verbessert biochemische Marker des Knochenstoffwechsels und erhöht die Knochendichte.
Vitamine und Diabetes Für Prof. Dr.Rösen, Diabetes-Forschungsinstitut, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf, stellen vaskuläre Komplikationen die wichtigste Ursache für die erhöhte Mortalität und Morbidität diabetischer Patienten dar. Neueste Erkenntnisse lassen den Schluß zu, daß reaktive Sauerstoffintermediate (ROI) eine entscheidende Rolle für die Entwicklung vaskulärer Komplikationen spielen. Deshalb sollte die Verminderung von oxidativem Streß eine wichtige Maßnahme darstellen, um das vaskuläre Risiko dieser Patienten zu vermindern. Nach Dr. Rösen sind die vermehrte Erzeugung von ROI und die für den Diabetes typische Hyperglykämie kausal miteinander verknüpft. ROI vermindern die biologische Aktivität von Stickstoffmonoxid, das neben seiner gefäßerweiternden Wirkung auch antithrombotisch und antiproliferativ wirkt. ROI fördern zusammen mit der erhöhten Permeabilität der Gefäßwand unter Bedingungen des oxidativen Streß die thrombogene Transformation der Gefäßwand und die Bildung atherosklerotischer Läsionen, vermindern gleichzeitig die Stabilität von atherosklerotischen Plaques, was als akute Ursache für kardiale Komplikationen angesehen wird. Die genannten Prozesse werden durch Vitamin E und andere Antioxidanzien inhibiert. Erste unveröffentlichte Daten der Harvard Medical School lassen eine Hemmung der Entwicklung von Retino- und Nephropathie durch Einsatz von hohen Dosierungen an Vitamin E (1500 I.U./Tag) bei Typ-I-Diabetikern erkennen.
Vitamin E mit neuroprotektiven Effekten Einen neuroprotektiven Effekt bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson-Erkrankung, myotrophe Lateralsklerose, Schlaganfall und Alzheimer-Erkrankung beschreibt Dr. Christian Behl, Max-Planck-Institut für Psychiatrie München, für Vitamin E und andere Antioxidanzien. Die Pathogenese ist trotz zahlreicher Hypothesen noch ungeklärt. Viel Aufsehen hat die oxidative Streßhypothese erregt. Histopathologische Untersuchungen deuten darauf hin, daß im Gehirn von Alzheimer-Patienten tatsächlich ein erhöhtes Maß an Oxidationsreaktionen stattgefunden hat, die von Entzündungsprozessen stammen und zum anderen von der Ablagerung eines Proteins ausgehen, dem Amyloid-b-Protein (Ab). Neben den histopathologischen Befunden gibt es eine Reihe von Untersuchungen an Nervenzellkulturen, daß Ab allein oder auch im Zusammenspiel mit anderen pathologischen Faktoren, wie einem Überschuß an Glutamat direkt freie Radikale in der Nervenzelle induzieren kann. Seit 1992 ist bekannt, daß der fettlösliche Radikalfänger Alpha-Tocopherol (Vitamin E) Nervenzellen in der Kultur effektiv vor der Toxizität des Ab-Proteins schützen kann. Eine Multicenterstudie aus den USA erbrachte den Beweis, daß VitaminE das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit bei mittelschwer erkrankten Patienten verlangsamen kann.
Vitamin C bei Helicobacter pylori Dr.Peter Reed von der Upper Digestive Tract Cancer Group des Wexham-Park Hospital, England, empfiehlt die Substitution von VitaminC bei Helicobacter-pylori-Infektionen. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen H.-pylori-Besiedelung des Magnes, chronischem Vitamin-C-Mangel und defekter Sekretion von Vitamin C in den Magen sowie Magenkarzinomen. Obwohl die Ergebnisse bisheriger Studien nicht übereinstimmen, scheint sich die Auffassung durchzusetzen, daß langfristige hochdosierte Ascorbinsäuregabe (2g/Tag) die Apoptose von Magenepithelzellen verhindern kann und die Vitamin-C-Konzentration im Magensaft auch bei einer bestehenden H.-pylori-Infektion erhöhen kann. Zur Zeit werden fünf Studien durchgeführt, deren Ergebnisse im Jahre 2003 erwartet werden. Vitamin C soll dadurch antikanzerogen wirken, indem es die N-Nitrosierung im Gastro-Intestinaltrakt signifikant reduziert. Professor Dieter Loew, Wiesbaden, wies auf die Möglichkeit der Störung einer passiven Resorption nach Resektion größerer Ileumabschnitte, Pankreasinsuffizienz und chronisch entzündlichen Prozessen wie dem Morbus Crohn hin. Aufgrund der sicheren Bioverfügbarkeit ist die parenterale Verabreichung von Vitamin B12 nach wie vor Mittel der Wahl. Nach Untersuchungen zur Bioverfügbarkeit von VitaminB12 bei gesunden Probanden dürfte nach parenteraler Aufsättigung eine orale Dosis von 300 Mikrogramm als Erhaltungsdosis ausreichen.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.