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Arzneimittel und Therapie
Können Frauen zu einer langjährigen Östrogensubstitution motiviert werden?
Osteoporoseschutz nur bei Langzeitanwendung von Östrogenen
Die Osteoporose wurde in den letzten Jahren von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in die Reihe der wichtigsten sozioökonomischen Krankheiten aufgenommen. In Deutschland sind 8 bis 10% der Bevölkerung von Osteoporose betroffen, darunter 85 bis 90% Frauen.
Für die Prävention gibt es verschiedene Maßnahmen. Während einerseits generell der Lebensstil beeinflußt werden kann - calciumarme Ernährung, Bewegungsmangel, Genußgifte - gibt es andererseits gezielte Arzneimittelanwendung bei Frauen mit nachgewiesenem Osteoporoserisiko. Letzteres besteht zum Beispiel bei positiver Familienanamnese für Osteoporose, Frakturen schon bei leichtem Trauma, reduzierter Knochenmasse, aber auch im Sinne sekundärer Osteoporose (Cortisontherapie, Hyperthyreose, Malabsorption).
Erste Wahl in der medikamentösen Prävention ist die langzeitige peri- oder postmenopausale Hormonsubstitutionstherapie (HST). Die HST besteht entweder in der transdermalen oder oralen Östrogengabe mit zyklisch intermittierender Gestagen-Applikation. Bei Frauen, denen der Uterus entfernt wurde, können auch Östrogene allein angewandt werden.
Als Nachweis dafür, daß HST den zuvor beschleunigten Knochenabbau normalisiert, gelten der Abfall biochemischer Marker des Knochenstoffwechsels und auch, daß Verluste der Knochenmasse vermieden werden (leichter Anstieg der Knochendichtewerte am zentralen und peripheren Skelett).
Osteoprotektiv wirken Dosierungen von 2 mg Östradiol oder 0,6 mg konjugierte Östrogene oral oder 50 mg transdermal täglich. Bei der Langzeitanwendung von Östrogenpflastern ist es von Vorteil, daß wie bei Demestril eine spezielle Galenik besonders hautverträglich ist.
Um aber eine Senkung der Frakturinzidenz zu erreichen, sind Anwendungszeiten der Östrogene von mindestens sechs bis acht Jahren erforderlich. Auch bei späterem Beginn der HST (z. B. nach 60 oder 65 Jahren), kann noch ein osteoprotektiver und fraktursenkender Effekt erzielt werden.
Sind Östrogene optimale Lipidsenker?
Koronare Herzkrankheiten (KHK) sind bei Frauen abhängig von der Ovarialfunktion. Bei Frauen mit Herzinfarkt sind 95% über 60 Jahre alt, bei Männern liegt das mittlere Infarktalter um 50 Jahre, also 10 Jahre vorher. Die Mortalität an KHK liegt bei Frauen mit 53% seit ca. fünf Jahren höher als bei Männern, die Mortalität durch Krebserkrankungen liegt bei den Frauen bei 22%.
Hormonellen KHK-Schutz fortsetzen
Wenn in und nach der Menopause Östrogene substituiert werden, denkt man an folgende Schutzmechanismen vor Koronarsklerose:
- Arterienwände der Koronarien bleiben "glatt"/elastisch;
- HDL wird erhöht und LDL dazu relativ gesenkt.
HDL-Senkung und LDL-Erhöhung sind typische Stoffwechselveränderungen nach der Menopause. Östrogene wirken gegenläufig.
Der Grund, warum hohes Cholesterol bei Frauen bisher zu wenig beachtet wurde, liegt in der Unterrepräsentation der Frauen in den großen Studien vor 1994. Erst eine skandinavische Studie sicherte, daß eine Absenkung des Cholesterolspiegels auch bei Frauen lebensrettend wirken kann. Lipidsenker reduzieren die KHK-Mortalität um 40% und die Gesamtmortalität um 30%. Dies ist deshalb von Bedeutung, da die Herzinfarkt-Mortalität bei Frauen mit 80% höher ist als bei Männern (65%). Gründe dafür sind einmal das höhere Infarktalter der Frauen und zum anderen das spätere bzw. Nichterkennen des Infarkts. Außerdem gibt es bei Frauen mit KHK oft eine kombiniert-komplexe Risikosituation: hohes Cholesterol + Fettsucht + Diabetes + Hochdruck. Deshalb müssen Frauen mit KHK-Risiko viel intensiver beraten werden; fettarme Ernährung + körperliche Aktivität + Östrogensubstitution nach der Menopause. Die Östrogensubstitution ist besonders Frauen mit bereits manifesten KHK-Symptomen und Koronarsklerose zu empfehlen. Bei über 50% der Betroffenen kann die HDL-LDL-Relation über den Wert 2 angehoben werden, dies bedeutet eine günstigere Prognose.
Auch bei leicht pathologischen Blutfettwerten wird die zweifelsfreie Kardioprotektion durch Östrogene zu einem Drittel über Lipidabsenkung erzielt. Die anderen positiven Effekte kommen durch gefäßerweiternde Wirkungen zustande, über Anregung der NO- und Prostazyklin-Synthese.
Wenn erhöhte Fettwerte nach der Menopause auftreten, sind die Östrogene die Lipidsenker der ersten Wahl. Eine Ausnahme ist die isolierte Erhöhung von Triglyceriden, oft ein Symptom anderer Erkrankungen wie Fettsucht, Diabetes, Niereninsuffizienz und Alkoholismus, manchmal auch arzneimittelbedingt oder erblich.
Für nichtrauchende Frauen beginnt das KHK-Risiko meist erst nach der Menopause, vorher schützen die Ovarien vor Herzinfarkt.
Fettarme Diät kein Gegenargument für Hormone
Erst bei Hungern und nicht bei isokalorischer fettarmer Diät kommt es zur Lipidsenkung, es wird aber unerwünscht auch HDL gesenkt und die Triglyceride erhöht. Deshalb ist Hungern und Gewichtsverlust keine Dauerlösung. Vorzuziehen sind Östrogene mit ihren durchblutungsfördernden Wirkungen, ihrem Effekt auf die Endothelpermeabilität und damit leichterer Sauerstoff-Versorgung in den Koronarien und im Herzmuskel. Auch positive Wirkungen über Antioxidans-Eigenschaften auch in kardialen Zellen sind beschrieben.
Andere Lipidsenker haben weniger präventive Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System als die Östrogene und kosten mindestens das Doppelte, sie besitzen auch nicht die Zusatzvorteile der Osteoporoseprophylaxe und der Prävention von Morbus Alzheimer (jeweils 50% Risikominderung durch Östrogene).
Brustkrebsrisiko durch Östrogene?
Eine kürzliche Lancet-Publikation vom November 97 hat 51 epidemiologische Studien mit Frauen zwischen 50 und 70 Jahren reanalysiert. 52000 Frauen mit und 108000 Frauen ohne Brustkrebs wurden verglichen.
Bei 1000 Frauen ohne Östrogentherapie kam 45 mal Brustkrebs vor, nach zehn Jahren Östrogensubstitution kamen sechs Frauen mit Brustkrebs dazu. Die Chancen für einen Brustkrebs liegen also bei 6 : 941 = 0,54%.
Auch die Thrombose-Morbidität wird durch Östrogen-Substitution (nicht zu verwechseln mit den Steroiden zur Kontrazeption!) nur von einer auf drei Frauen pro 10000 erhöht, die Emboliemortalität von einer auf drei pro Million Frauen.
Demgegenüber bewirkt die Östrogensubstitution eine Senkung der KHK-Mortalität von 100 bis 150 auf 50 bis 80 pro 10000 Frauen.
Die Morbidität durch KHK ist bei Frauen etwa fünfmal höher als durch Brustkrebs (46 : 10), die KHK-Mortalität ist sogar zehnmal höher.
Was bewirken Lebensstil und Ernährung?
Günstige Einflüsse von Hormonsubstitution nach der Menopause auf Hitzewallungen, Schlafstörungen, trophische Veränderungen am Genitale, Osteoporose und Kardiosklerose lassen sich wissenschaftlich belegen, über die Auswirkungen von Lebensstil und Ernährung ist relativ wenig bekannt.
Prävention von KHK
Eine ausgewogene, fettarme und ballaststoffreiche Ernährung, verbunden mit einem regelmäßigen Ausdauertraining, kann nicht nur Gewicht und Fettstoffwechsel normalisieren, sondern auch das KHK-Risiko erheblich vermindern. Da Übergewicht häufig mit Bewegungsarmut eng korreliert ist, ist von besonderem Interesse, daß körperliche Betätigung gegenüber dem Körpergewicht eine höhere kardiovaskuläre Schutzwirkung hat.
Eine Schutzwirkung geht auch von der Ernährung aus. Ballaststoffe wie in Vollkornprodukten, Obst und Gemüse, adsorbieren nicht nur Fette und vermindern deren Absorption, sondern die darin enthaltenen Phytoöstrogene (Lignane und Isoflavone) üben auch eine erhebliche Schutzwirkung durch Radikalfängerfunktion und Minderung der LDL-Oxidation aus.
Protektion gegen Karzinome
Die Zusammenhänge zwischen Fettsucht, fettreicher Ernährung, Bewegungsarmut, Alkoholkonsum und Mammakarzinom sind in zahlreichen Studien nachgewiesen worden. Ernährung hat nicht nur Einfluß auf die Adipositas, sondern bietet als vegetarische Kost mit viel Gemüse (vor allem Broccoli und Weißkohl), Salaten, Beeren, Vollkornprodukten und besonders Sojaprodukten (30 bis 50 g pro Tag) eine konkrete Schutzfunktion gegenüber den Mammakarzinomen an. Diese Erkenntnisse beruhen auf der Beobachtung, daß asiatische Frauen ein erheblich geringeres Risiko für Mamma- und Kolonkarzinom haben. Dabei spielen Lignane und Isoflavone eine besondere Rolle, letztere hemmen Enzyme wie die Aromatase, blockieren Wachstumsfaktoren und erhöhen SHBG (sex hormone binding globulin). Die Mammakarzinom-Protektion ist durch fünf kontrollierte Studien belegt. Auch körperliche, sportliche Aktivität von mehr als vier Stunden pro Woche hat einen diesbezüglichen Effekt.
Angst vor Nebenwirkungen
Die Vorbehalte von Frauen gegenüber den Nebenwirkungen von Hormonen in Form von Blutungen, Brustspannen, Krebsentstehung und Übergewicht sind tief verwurzelt. Der Anteil der Frauen, die im 65. Lebensjahr noch Hormone einnehmen, liegt deutlich unter 5%, dabei ist in dieser Lebensphase der Nutzen der Hormonsubstitution am größten. Um so wichtiger ist, Fragen des Lebensstils, der Ernährung, sportlicher Betätigung und die Streßverarbeitung zu erörtern. Durch gezielte Veränderungen in Ernährung und Bewegungsmotivation kann Erhebliches erreicht werden, die Risiken für die Frauengesundheit nach der Menopause zu vermindern.
Jede Frau braucht ihr eigenes Beratungsgespräch
In der Perimenopause steht die Entscheidung an, ob wegen bestehender Wechseljahrsbeschwerden oder prophylaktisch wegen positiver Familienanamnese mit der Hormonsubstitution begonnen werden soll.
Was die Osteoporoseprophylaxe betrifft, so muß diesen Frauen vermittelt werden, daß Östrogene die Knochenmasse weitgehend erhalten und damit die Anzahl osteoporosebedingter Brüche absenken, auch wenn erst jenseits von 60 Jahren mit der Substitution begonnen wird.
Bezüglich der Reduzierung von KHK und Herzinfarkt ist es unerläßlich, den Frauen die Zusammenhänge aufzuzeigen und den positiven Effekt einer Östrogensubstitution auf das Herz-Kreislauf-System zu verdeutlichen.
Der therapeutische Erfolg der Östrogengabe hängt außer von der Akzeptanz durch die betroffenen Frauen auch vom Wissen, Engagement und Fingerspitzengefühl der beratenden Ärzte ab. Oft führt die für Ärzte logische, für Patientinnen überraschende Aufrechterhaltung oder Wiedereinsetzen von Blutungen zur Ernüchterung von Frauen, die ansonsten einer Hormongabe zur Behandlung klimakterischer Beschwerden positiv gegenüberstehen. Deshalb müssen die Patientinnen darüber informiert werden, um die Therapieentscheidung bewußt mitzutreffen.
Auch die therapiebedingte, östrogenabhängige Rehydrierung um 1 bis 2 kg (Gewichtszunahme) ist anzusprechen und vom langsam fortschreitenden Übergewicht infolge chronischer Fehlernährung zu trennen.
Zentraler Punkt der Beratung ist die Sicherheit langfristiger Hormongaben, sowie die Relation zwischen Mammakarzinom und Hormongabe. Nach neuesten Ergebnissen ist damit zu rechnen, daß bei bestehender Hormonsubstitution mit einer Zunahme der Diagnosehäufigkeit für Brustkrebs von 2,3% pro Jahr Hormonanwendung zu rechnen ist. Zwei zusätzliche Fälle pro 1000 Frauen zwischen 50 und 70 Jahren sind zu erwarten, wenn fünf Jahre mit Östrogenen substituiert wird. Erhöht sich die Anwendung auf 10 bzw. 15 Jahre, sind 6 bzw. 12 zusätzliche Mammakarzinome zuzüglich zu den etwa 63 je 1000 Frauen zu erwarten, mit denen bis 70jährigen Frauen ohne Hormonsubstitution zu rechnen ist. Nach Beendigung der Hormongaben war nach Ablauf von fünf Jahren keine vermehrte Diagnosehäufigkeit für Brustkrebs mehr feststellbar.
Ärztliche Aufgabe ist es, zu vermitteln, daß eine Hormonsubstitution keinen Brustkrebs initiiert. Heute wird die Zunahme der Prognosehäufigkeit von Brustkrebs bei Langzeitanwenderinnen durch eine viel häufigere Inanspruchnahme von Vorsorgemaßnahmen unter Einschluß der Mammographie erklärt, was zu einer Mehrerfassung von Frühstadien führt.
Wolfgang Schlemmer, Schliersee
Nach Vorträgen von PD Dr. med. Martina Dören, London; Prof. Dr. Johann D. Ringe, Leverkusen; Prof. Dr.. J. Matthias Wenderlein, Ulm; Prof. Dr. Alfred Wolf, Ulm;
Veranstalter: Opfermann Arzneimittel GmbH, Wiehl
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