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Arzneimittel-Richtlinien: Schwerstkranke sollen Sondennahrung selbst bezahlen

KÖLN (vfed). "Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen war sich der Tragweite seines Entschlusses gar nicht bewußt", so das Fazit von Sven-David Müller, dem ersten Vorsitzenden des Vereins für gesunde Ernährung und Diätetik e.V. (VFED), bei der Pressekonferenz des Vereins am 5.August 1998 in Köln. Nur so sei es zu erklären, daß Schwerstkranke, die ambulant betreut werden, in Zukunft ihre Sondennahrung selbst bezahlen sollen.

Das sieht zumindest der Entwurf für die Arzneimittel-Richtlinien vor. Damit werden Menschen, die durch ihre Erkrankung ohnehin finanziell besonders belastet sind, neue Kosten aufgebürdet. Der VFED fordert die Rücknahme des Entwurfs und ein Beratungs- oder Anhörungsrecht. Betroffen von der geplanten Neuregelung sind vor allem Menschen, die z.B. an Krebs, Schluckstörungen, Mukoviszidose, AIDS/HIV, Morbus Crohn und Colitis ulcerosa leiden. Zwar könnten die Krankenkassen argumentieren, durch die Sondennahrung würden die Erkrankten das Geld sparen, das jeder für seine Ernährung aufbringen muß. Doch dabei dürfen zwei Dinge nicht übersehen werden: Erstens: Kaum eine Einzelperson gibt für ihr Essen monatlich 900DM aus. Zweitens: Die Sondennahrung ist keine freiwillige Sache oder ein Luxus, nach dem sich die Schwerstkranken reißen, sondern ein lebensnotwendiges Muß, um nicht zu verhungern.

Kosten-Umverteilung Tritt die Neuregelung in Kraft, ist mit einer Umverteilung der Kosten zu rechnen. Da bei stationärer Betreuung im Krankenhaus die Sondennahrung auch weiterhin im Tagessatz des Krankenhauses enthalten ist, könnte ein nicht unerheblicher Teil der Patienten im Krankenhaus bleiben, bzw. müßte wieder eingewiesen werden. Statt 600 bis 900DM im Monat bei ambulanter Betreuung fallen für den gleichen Zeitraum Kosten von 19500DM für die Krankenhausunterbringung an. Eine weitere Alternative könnte darin liegen, auf die parenterale Ernährung zurückzugreifen. Sie erfolgt immer im Krankenhaus, da es sich um eine Infusion handelt, die in die Herzvorkammer geleitet wird. Diese Form der künstlichen Ernährung ist risikoreicher, mit Mehraufwand verbunden und bis zu zehnmal teurer als die ambulante Versorgung mit Sondennahrung. Parenterale Ernährung wird weiterhin von den Krankenkassen finanziert. Die geplante Neuregelung betrifft auch die Sozialämter, die Sozialhilfeempfängern die Ausgaben für Sondennahrung erstatten müssen. Trauen sich Kranke oder Angehörige aus Scham nicht, zuzugeben, daß sie finanziell überfordert sind, werden die Betroffenen hochgradig unterversorgt sein oder müssen gar verhungern.

Sondennahrung = Lebensmittel? Hintergrund für die Streichung der Sondennahrung ist ein Gerichtsurteil des Bundessozialgerichtes. Bei dem Rechtsstreit ging es um ein Kind, das aufgrund einer angeborenen Stoffwechselstörung eine Diät braucht, bei der u.a. haushaltsübliche Getreideprodukte nicht vertragen werden. Die speziellen Eiweißpräparate, die Grundlage der Diät sind, zahlte die Krankenkasse; die Mutter des Kindes wollte erreichen, daß auch die Ausgaben für eiweißarme Nudeln übernommen werden sollten. Das Gericht entschied im Dezember 1997, erstattungsfähig seien Arzneimittel, Kosten für Lebensmittel dagegen nicht (Az.: 1RK 23/95). Da auch Sondennahrung zu den Lebensmitteln zählt, wird sie in Zukunft nicht mehr bezahlt. Bei einer genaueren Definition des Begriffs "diätetische Lebensmittel", wie sie zum Beispiel in den USA als "medical food" existiert, wäre es nicht zu diesem Dilemma gekommen. Der VFED fordert daher den Gesetzgeber auf, den Begriff "diätetische Lebensmittel" neu zu fassen und eine Trennung zwischen lebensnotwendigen und anderen diätetischen Lebensmitteln vorzunehmen.

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