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Arzneimittel und Therapie
Hirnforschung: Biologie von Gehirntumoren
Gliazellen können sich im Gegensatz zu Neuronen teilen und besitzen die Fähigkeit der Migration im Gehirngewebe. Glioblastome machen etwa 40 % der ZNS-Tumore aus. Durch den raumgreifenden Wachstumsprozeß entstehen Ödeme, die Gehirnfunktion wird beeinträchtigt, die Blut-Hirn-Schranke bricht zusammen, und es kommt zu einer Hämorrhagie (inneren Blutung). Die Überlebenszeit nach Diagnosestellung beträgt meist weniger als 2 Jahre, und bisher gibt es keine Heilung und auch keine ausreichende Therapie. Ein Problem bei der Behandlung liegt darin, daß die Gliome ein stark invasives Wachstum aufweisen. Eine operative Entfernung ist daher erfolglos. Im Gegensatz dazu sind Gehirnmetastasen von anderen Primärtumoren, wie etwa dem Brustkrebs, durch eine kompakte Zellmasse gekennzeichnet.
Warum sind Gliomazellen so invasiv? Einen Hinweis darauf geben Veränderungen in der Zusammensetzung der extrazellulären Gehirnmatrix während der Gehirnentwicklung. Im unreifen Gehirn ist die Matrix so aufgebaut, daß eine gute Mobilität der Gehirnzellen gewährleistet ist. Im adulten Gehirn verändert sich die Gehirnmatrix so, daß die Mobilität der Gehirnzellen abnimmt und der Zellverband erhalten bleibt. Ein extrazelluläres Matrixprotein, das BEHAB/brevican-Protein, kommt nur im ZNS vor. Während das Protein während der Entwicklung des Gehirns in großen Mengen vorzufinden ist, ist die Expression im nicht pathologisch veränderten adulten Gehirn sehr gering. Das Protein findet man im Gehirngewebe von Patienten mit Glioblastomen, aber nie im Gehirngewebe von Patienten, die Gehirnmetastasen anderer Krebsarten gebildet haben.
In vitro kann man verschiedene Glioma-Zellinien züchten, die später in Rattengehirnen transplantiert werden und dort invasive und nicht invasive Tumoren bilden. Das BEHAB/brevican-Protein ist nur in dem so entstandenen invasiven Tumorgewebe nachzuweisen. Wird das Protein gentechnisch in nicht invasives Tumorgewebe der Ratte transferiert, wird der Tumor invasiv. Außerdem muß das Protein gespalten werden, und die Spaltprodukte sind bereits charakterisiert. Mit der Entdeckung des für die Invasivität so wichtigen Proteins werden neue Forschungswege eröffnet, um die Invasivität zu vermindern oder gar auszuschalten.
Ein weiteres ≥Highlight" aus der Glioma-Forschung ist die Entdeckung eines neuen Chloridkanals. Diesen Kanal findet man nur in Glioma-Zellen, dort aber bei allen Malignitätsgraden. Es wird vermutet, daß das Vorhandensein der Chloridkanäle die Migration der Gliomazellen erleichtert und so auch zu deren Invasivität beiträgt. Dieser Chloridkanal kann mit Chlorotoxin, einem Protein, das im Gift einer bestimmten Skorpionart vorkommt, blockiert werden. In vitro konnte Chlorotoxin die Migration von Gliomazellen bereits effektiv verhindern. Für die Therapie bietet es sich also an, die Gliomazellen mit einem dem Chlorotoxin ähnlichen Antigen zu behandeln, so daß die Gliomazellen spezifisch markiert werden. Ein gegen dieses Antigen gerichteter Antikörper würde eine Immunreaktion auslösen, die eine spezifische Phagozytose der Gliomazellen bewirkt.
Ein anderer Ansatzpunkt für die Gliomatherapie ist die Gefäßneubildung im Tumorgewebe. Während seines Wachstums muß der Tumor seine Versorgung über das Blutgefäßsystem gewährleisten. Dazu ist eine Gefäßneubildung (Angiogenese) notwendig. Der Wachstumsfaktor Vascular endothelial growth factor (VEGF) induziert die Gefäßneubildung im Gliomagewebe. Ein möglicher neuer Therapieansatz ist die Blockade der Funktion von VEGF selbst oder seines Rezeptors. In vitro kann so bereits die Angiogenese gehemmt werden.
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