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- DAZ 44/1998
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Arzneimittel und Therapie
Depressionen - häufig unerkannt und nicht optimal therapiert
Epidemiologische Untersuchungen zeigen, daß rund ein Viertel der Bevölkerung an behandlungsbedürftigen psychischen Störungen leidet. Schätzungsweise erkranken zwischen 8 und 20% der Gesamtbevölkerung im Laufe ihres Lebens an einer Depression. Zwischen 12 und 25% der Patienten eines Allgemeinarztes weisen depressive Symptome unterschiedlichen Schweregrads auf. Allerdings wird nur bei ca. der Hälfte der Patienten die richtige Diagnose gestellt. Rund ein Viertel aller depressiv Erkrankten konsultiert keinen Arzt. Etwa 10% der stark depressiven Patienten begehen Suizid; die Rate der Suizidversuche liegt deutlich höher.
Das therapeutische Bündnis zwischen Arzt und Patient ist entscheidend
Je nach Weltanschauung und medizinischer Schule werden die Ursachen einer Depression in einer biologischen Funktionsstörung, in einschneidenden psychischen Erlebnissen oder im Umfeld des Patienten vermutet. Die Therapie ruht in der Regel auf mehreren Säulen und umfaßt verschiedene kognitive Lernverfahren, die psychologische Betreuung, physikalische Behandlungen und den Einsatz von Antidepressiva. Von großer Bedeutung ist das therapeutische Bündnis zwischen Arzt und Patient.
Arzneimittel greifen in den Neurotransmitter-Stoffwechsel ein
Bei einer Depression spielen auf biochemischer Ebene Noradrenalin und Serotonin eine wichtige Rolle. Noradrenalin beeinflußt vorwiegend Wachheit, Antrieb und Motivation, Serotonin vor allem Impuls, Aggression und Appetit; Stimmung, Gefühl und Angst werden von beiden Neurotransmittern gesteuert. Alle gängigen Antidepressiva greifen in den Neurotransmitterstoffwechsel ein, indem sie die Verfügbarkeit von Noradrenalin und/oder Serotonin erhöhen. Ältere, nicht selektive Antidepressiva beeinflussen darüber hinaus auch noch das histaminerge und cholinerge System, was wiederum zu zahlreichen unerwünschten Wirkungen führt. 70% der Depressionspatienten sprechen auf eine Therapie mit Antidepressiva an. Der Behandlungserfolg hängt von mehreren Faktoren ab, wie der Wahl des richtigen Arzneimittels, der Dosierung, der Behandlungsdauer und der Compliance des Patienten.
Entwicklung zum "spezifischen" Antidepressivum
Die "klassischen" Antidepressiva (tri- und tetrazyklische Antidepressiva) unterscheiden sich hauptsächlich in ihrem Nebenwirkungsprofil, vor allem in ihrer antihistaminergen und anticholinergen Wirkung. Da die unerwünschten Begleiterscheinungen vor der antidepressiven Wirkung einsetzen und darüber hinaus die Compliance verschlechtern, versuchte man Arzneimittel zu entwickeln, die weniger unerwünschte histaminerge und cholinerge Begleiterscheinungen aufweisen.
- Ein erster Schritt in diese Richtung waren die MAO-Hemmer. Sie blockieren die Monoaminoxidase und verlangsamen den Abbau von Noradrenalin und Serotonin. Irreversible MAO-Hemmer weisen zwar eine starke Wirkpotenz auf, sind aber auch mit schweren Nebenwirkungen behaftet (Blutdruckanstieg, hypertone Krise). Reversible Hemmer der MAO A sind besser verträglich, aber schwächer wirksam.
- Serotoninspezifische Wiederaufnahmehemmer (selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren, SSRI) wie Fluoxetin oder Fluvoxamin sind nicht ganz so wirksam wie Trizyklika, aber mit weniger anticholinergen und sedierenden antihistaminergen Nebenwirkungen behaftet. Sie werden bevorzugt bei Zwangsstörungen eingesetzt. SSRI können serotonerge Nebenwirkungen wie Kopfschmerz, Übelkeit und Inappetenz hervorrufen.
- Mit Venlafaxin wurde eine Substanz entwickelt, die die Wiederaufnah-
me von Noradrenalin und Serotonin hemmt (SNRI); allerdings wird die
Noradrenalin-Wiederaufnahme nur in hohen Dosen beeinträchtigt.
JDie jüngste Entwicklung bei den Antidepressiva ist der selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NARI) Reboxetin, der die Wirksamkeit von Trizyklika besitzt und auch bei schweren Depressionen eingesetzt werden kann. Nebenwirkungs- und Abbruchrate sind relativ gering, an unerwünschten Wirkungen können vor allem Mundtrockenheit, Verstopfung, Schlafstörungen und Schwitzen auftreten.
Johanniskraut ist nur bei
leichten bis mittelschweren Depressionen indiziert
Johanniskrautpräparate weisen eine große Akzeptanz auf, was zum einen ihrer Stellung als Phytotherapeutikum, zum anderen ihrer guten Verträglichkeit zuzuschreiben ist. Die bei hellhäutigen Weidetieren beobachtete Phototoxizität nach Fraß von Johanniskraut scheint mit großer Wahrscheinlichkeit keine Bedeutung für den Menschen zu haben. Johanniskrautpräparate sind allerdings nur bei leichten bis mittelschweren Formen der Depression indiziert und sollten bei ernsthaften Erkrankungen nicht eingesetzt werden.
Rezidivprophylaxe ist wichtig
Normalerweise müssen Antidepressiva sechs bis zwölf Monate lang eingenommen werden, dann wird die Dosis ausschleichend reduziert. Nach mehreren depressiven Episoden ist zur Rezidivprophylaxe eine Langzeittherapie mit Antidepressiva oder Lithium erforderlich. Die Rezidivprophylaxe wird zur Zeit jedoch noch zu wenig praktiziert.
Quelle
Dr. Steffen Haas, Eltville, Dr. Peter Schüler, Erlangen, Dr. Michael Friede, Salzgitter; BPI-Presseseminar "Schatten auf der Seele: Arzneimittel in der Psychiatrie", Eltville, 21. bis 22. September 1998, veranstaltet vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI).
Dr. Petra Jungmayr, Esslingen
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