Arzneimittel und Therapie

Neue Arzneimittel für Therapie und Prophylaxe

Es tut sich was bei der Migräne: In den letzten Jahren wurden neue Erkenntnisse zur Schmerzentstehung gewonnen und mehrere neue Akuttherapeutika zugelassen. Auch für die Prophylaxe steht heute eine Fülle von Substanzen zur Verfügung.


Migräne betrifft etwa 10 bis 15% der Frauen, 5 bis 7% der Männer und 5 bis 10% der Kinder. Diese Häufigkeit hat die Erkrankung praktisch überall auf der Welt.
In Deutschland leiden rund 8 Millionen Menschen an Migräne, eine Million befinden sich deshalb in ständiger ärztlicher Behandlung.

Was ist Migräne?


Migräne ist eine genetisch determinierte Erkrankung. Es gibt zwar verschiedene Triggerfaktoren (z. B. Hormone, vielleicht auch Nahrungsmittel, Streß), doch erkranken kann nur, wer tatsächlich die genetische Disposition hat.
Für eine Unterform der Migräne, die familiäre hemiplegische Migräne, wurde gezeigt, daß sie eine genetisch bedingte Ionenkanalerkrankung ist. Das defekte Gen auf Chromosom 19 kodiert für eine Untereinheit des P/Q-Calciumkanals. Möglicherweise sind auch die anderen Migräneformen genetisch festgelegte Ionenkanalerkrankungen.
Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft hat
die verschiedenen Kopfschmerzformen definiert. Als Definitionskriterien für Migräne nennt sie:

  • Dauer von 4 bis 72 Stunden,
  • pochender, stechender Schmerz,
  • einseitiges Auftreten,
  • Übelkeit und Erbrechen als Begleitsymptome,
  • sensorische Überempfindlichkeit (Lichtscheu und Schallempfindlichkeit),
  • Verhalten: Ruhe, Zurückziehen,
  • Diagnose: fünf Attacken.


Man unterscheidet Migräne mit oder ohne Aura. Aura bezeichnet Gesichtsfeldveränderungen, die etwa 20 bis
60 Minuten anhalten. Dies können Gesichtsfeldausfälle oder weiße, sich verändernde Zacken sein.

Wie entsteht der Schmerz?


Für die Schmerzentstehung bei der Migräne machte man bislang vor allem eine reflektorische Vasodilatation nach einer Vasokonstriktion kranialer Gefäße (vor allem der Hirnhautgefäße) verantwortlich. Seit den 80er Jahren weiß man, daß C-Fasern vom Trigeminusganglion nach oben zu den Hirnhäuten ziehen und in kleinen Vesikeln Neuropeptide enthalten. Die Freisetzung dieser vasoaktiven Neuropeptide (z.B. CGRP, Substanz P, Neurokinin A) an den Hirnhautgefäßen dürfte für die Schmerzentstehung in der Migräneattacke entscheidend sein.

Akuttherapie: nichtsteroidales Antirheumatikum und Antiemetikum


Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft empfiehlt für die Akutbehandlung einer leichten Migräneattacke die Kombination aus nichtsteroidalem Antirheumatikum (NSAR) und Antiemetikum. Das NSAR muß hoch genug dosiert werden, zum Beispiel 1,0 bis 1,5 g Acetylsalicylsäure, 1,0 bis 1,5 g Paracetamol oder 400 bis 800 mg Ibuprofen. Für eine schnelle Wirkung bietet sich die Einnahme einer Brausetablette an. Zusätzlich soll ein Antiemetikum eingenommen werden, und zwar nicht nur, weil viele Migränepatienten an Übelkeit und Erbrechen leiden, sondern auch, weil sonst die gastrointestinale Resorption während der Attacke auf ein Fünftel reduziert ist. Bei starkem Erbrechen sind oral eingenommene Medikamente nutzlos.
Eine schwere Migräneattacke kann ebenfalls mit einer Kombination aus NSAR und Antiemetikum behandelt werden. Alternativ werden Ergotamin, Dihydroergotamin oder eines der Triptane eingesetzt. Wenn der Patient nicht an Asthma bronchiale leidet, kann der Arzt auch Lysin-Acetylsalicylat intravenös geben.

"Krieg der Triptane"


Triptane sind eine neue Klasse von Migränetherapeutika. Sie wirken als Agonisten an Serotonin(5-Hydroxytryptamin, 5-HT)1B/1D-Rezeptoren. Indem sie präsynaptische 5-HT1D-Rezeptoren blockieren, hemmen sie die Freisetzung der vasoaktiven Neuropeptide. Unklar ist noch, ob die leichte Vasokonstriktion durch Angriff an 5-HT1B-Rezeptoren auf glatten Muskelzellen auch an der Wirkung in der Migräneattacke beteiligt ist.
Nur der erste Vertreter dieser Substanzklasse, Sumatriptan (Imigran(r)), steht in mehreren Darreichungsformen zur Verfügung: zur oralen Einnahme, zur subkutanen Injektion, als Nasenspray und als Suppositorium. Alle anderen - Zolmitriptan (AscoTop(r)), Naratriptan (Naramig(r)) und Rizatriptan (Maxalt(r)) - gibt es nur zur oralen Einnahme. In den nächsten Jahren ist die Zulassung weiterer Triptane zu erwarten; Eletriptan, Almotriptan und Frovatriptan befinden sich bereits in der "Pipeline".
Im Gegensatz zu Ergotamin, das viele Rezeptoren stimuliert, wirken Triptane selektiv und spezifisch an 5-HT1B/1D-Rezeptoren kranialer Gefäße. Darüber hinaus greifen sie allerdings mit niedriger Affinität an 5-HT2-Rezeptoren an, die sich auch auf Koronargefäßen befinden. Umfangreiche Studien mit Sumatriptan ergaben jedoch, daß koronare Komplikationen nur Einzelfällle waren.
Mit der Entwicklung immer neuer Triptane wurden folgende Verbesserungen angestrebt:

  • Bioverfügbarkeit erhöhen,
  • Anflutungszeit verkürzen,
  • Halbwertszeit verkürzen, um Recurrence-Rate (Wiederkehr-Kopfschmerzen) zu reduzieren,
  • Vasokonstriktion peripherer Arterien verringern.


Im Vergleich zum oralen Sumatriptan konnte die Bioverfügbarkeit der neuen Triptane tatsächlich erhöht werden. Die Anflutungszeit von Rizatriptan und Eletriptan ist mit 50 bis 60 Minuten relativ kurz (Sumatriptan 90 Minuten). Naratriptan hat dagegen eine lange Anflutungszeit (150 Minuten).
Die Verlängerung der Halbwertszeit blieb ohne Auswirkung auf die Recurrence-Rate. Auch unter den neueren Triptanen leiden etwa 30% der Behandelten an Wiederkehr-Kopfschmerzen.
Beim Wirksamkeitskriterium Schmerzfreiheit nach zwei Stunden scheinen Zolmitriptan und Naratriptan ungünstiger, Rizatriptan und Eletriptan günstiger als orales Sumatriptan abzuschneiden.
Alle Triptane haben den Nachteil der hohen Kosten. In der Aura wirken sie nicht. Immerhin 30 bis 40% der Behandelten sprechen nicht auf ein Triptan an. Entgegen den Versprechungen der Hersteller können auch die Triptane
zu medikamenteninduziertem Kopfschmerz führen.
Weitere neue Therapieansätze, die sich in der Entwicklung befinden, sind:

  • Alpha2-Agonisten,
  • GABAA-Agonisten (Neurosteroide),
  • CGRP-Antagonisten,
  • schnell anflutende NSAR.

Eine Migräneprophylaxe verringert Häufigkeit und Intensität der Attacken


Unter bestimmten Bedingungen ist eine Migräneprophylaxe zu erwägen. Hiermit sollen Häufigkeit und Intensität der Attacken verringert und der Bedarf an Akutmedikamenten reduziert werden. Einige wichtige Prinzipien sind einzuhalten, damit die Prophylaxe gelingen kann:

  • Der Patient muß erklärt bekommen, daß sein Medikament eigentlich für ein anderes Anwendungsgebiet entwickelt wurde (z.B. Epilepsie, Depressionen), sich aber auch zur Migräneprophylaxe eignet.
  • Mögliche Nebenwirkungen müssen erläutert werden.
  • Es dürfen keine falschen Erwartungen (Heilung) geweckt werden.
  • Die Prophylaxe muß mindestens drei bis sechs Monate, besser ein Jahr durchgeführt werden. Mit einem Wirkungseintritt ist erst nach vier bis acht Wochen zu rechnen.
  • Der Patient muß in einem Tagebuch Migräneattacken und seine Medikamenteneinnahme dokumentieren.


Zur Migräneprophylaxe verwendete Medikamente werden häufig einschleichend dosiert. Als Mittel der ersten Wahl kommen die Betablocker Metoprolol sowie Propranolol oder der Calciumüberladungsblocker Flunarizin in Frage. Mittel der zweiten Wahl sind der Calciumantagonist Cyclandelat, Valproinsäure oder nichtsteroidale Antirheumatika (z. B. Naproxen). Als Mittel der dritten Wahl werden die Serotoninantagonisten Pizotifen und Methysergid, das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin, niedrigdosierte Acetylsalicylsäure (300 mg täglich) oder Magnesium eingesetzt.
Bei menstrueller Migräne (Die Diagnose muß stimmen! Tagebuch führen!) zeigt eine Kurzzeitprophylaxe mit NSAR gute Erfolge. Dazu werden beispielsweise zweimal 250 bis 500 mg Naproxen ein bis zwei Tage vor Einsetzen der Kopfschmerzen bis zum Ende der Regel eingenommen. 50 bis 60% der Frauen kommen mit diesem Schema ohne weitere Medikamente gut zurecht.
Quelle
Dr. Volker Limmroth, Neurologische Universitätsklinik Essen, "Migräne - akutelle Aspekte zur Pathophysiologie und Pharmakotherapie", Münster, 27. Oktober 1998, veranstaltet von der Apothekerkammer Westfalen-Lippe.
Susanne Wasielewski, Münster

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